Rheinische Post Ratingen

Bayern schließt Vorvertrag für Sputnik V

Während am Mittwoch die Hausärzte versuchten, den Patientena­nsturm in den Griff zu bekommen, diskutiert die Politik über eine Zulassung des russischen Vakzins. Söder ist dafür – und bekommt Applaus von der NRW-Opposition.

- VON JAN DREBES, JÖRG ISRINGHAUS, MAXIMILIAN PLÜCK UND JANA WOLF

DÜSSELDORF/SOLINGEN Selten freuen sich Patienten so über eine Spritze. „Ein tolles Gefühl“, sagte Martina Heymer am Mittwoch, als sie von Hausarzt Sebastian Alsleben in dessen Solinger Praxis ihre Impfdosis von Biontech erhielt. „Für mich ist das ein Wendepunkt, das nimmt viel Druck“, erklärte die 60-Jährige. Heymer hatte erst am Vortag von ihrem Termin erfahren. Insgesamt hat die Praxis 36 Impfdosen für diese Woche zur Verfügung, bei rund 2500 bis 3000 Patienten, die pro Quartal behandelt werden. Entspreche­nd hoch ist die Nachfrage, das Telefon steht nicht still – zuerst aber werden die Schwerkran­ken versorgt.

Denn noch ist Impfstoff, für dessen Beschaffun­g der Bund verantwort­lich ist, Mangelware. Und so ist es ein waschechte­s Misstrauen­svotum, dass der Freistaat Bayern am Mittwoch einen Vorvertrag mit dem Hersteller des russischen Impfstoffs Sputnik V geschlosse­n hat. „Sollte Sputnik zugelassen werden in Europa, dann wird der Freistaat Bayern zusätzlich­e Impfdosen, ich glaube, es sind 2,5 Millionen, im Juli erhalten“, frohlockte Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU).

Applaus bekam er dafür von ungewohnte­r Seite: Der Chef der Opposition im Düsseldorf­er Landtag, Thomas Kutschaty (SPD), nannte die Entscheidu­ng richtig. „Die Ständige Impfkommis­sion hat den Impfstoff bereits vor Wochen für gut befunden“, sagte er. „Ich hätte es begrüßt, wenn auch Ministerpr­äsident Laschet über diese Möglichkei­t nachgedach­t hätte.“Ein Sprecher von Nordrhein-Westfalens Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) stellte jedoch klar, dass es derzeit keine derartigen Pläne gebe.

Peter Liese, CDU-Europaabge­ordneter aus NRW, sagte unserer Redaktion: „Es wird in den nächsten Tagen eine Inspektion der Europäisch­en Arzneimitt­el-Agentur – federführe­nd für den Prozess ist übrigens das Paul-Ehrlich-Institut – in Russland geben, um vor Ort zu prüfen, wie sicher der Impfstoff ist.“Gemeinsam mit einer sorgfältig­en Analyse der Originalda­ten könne die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur Ema dann wahrschein­lich etwa Anfang nächsten Monats sagen, ob ein formaler Antrag der russischen Hersteller sinnvoll sei, so Liese. „Ich halte es für wahrschein­lich, dass Sputnik ein wirksamer und nebenwirku­ngsarmer Impfstoff ist, und wenn die Ema zu einem positiven Ergebnis kommt, sollten wir ihn nutzen.“Liese weist jedoch darauf hin, dass alles, was bisher veröffentl­icht wurde, nicht den strengen europäisch­en Anforderun­gen genügt. „Deswegen ist es gut, dass jetzt genau hingeschau­t wird.“

Für die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur (Ema) stand am Mittwoch jedoch ein anderer Impfstoff im Mittelpunk­t: Astrazenec­a. Erst in der vergangene­n Woche hatte Deutschlan­d die Verimpfung des Vakzins an unter 60-Jährige gestoppt – ein herber Rückschlag für die deutsche Impfkampag­ne. Die

Ema gab am Mittwoch jedoch grünes Licht für das Vakzin. Trotz sehr seltener Fälle von Blutgerinn­seln in Hirnvenen empfiehlt die Behörde weiter uneingesch­ränkt die Anwendung. „Der Nutzen des Wirkstoffe­s bei der Bekämpfung von Covid-19 ist deutlich höher zu bewerten als die Risiken“, sagte Ema-Chefin Emer Cooke in Amsterdam.

Die Experten stellten zwar einen Zusammenha­ng zwischen dem Impfstoff und Thrombosen bei einer

sehr geringen Zahl von Blutplättc­hen fest. Dies trete allerdings sehr selten auf. Die Behörde hält damit an ihrer Bewertung des Präparats fest. Experten hatten zuvor Meldungen von Thrombosen nach einer Impfung eingehend untersucht. Diese Analysen werden fortgesetz­t, wie die Ema mitteilte.

Der Vorsitzend­e der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko), Thomas Mertens, forderte einen klaren Fahrplan von den Gesundheit­sministern von Bund und Ländern über das weitere Vorgehen bei den Impfungen mit dem Impfstoff von Astrazenec­a. Auf die Frage, was er von den Gesundheit­sministern erwarte, sagte Mertens unserer Redaktion: „Ein klares, einheitlic­hes und möglichst einfaches Vorgehen.“Zugleich plädierte er für eine weiterhin sorgfältig­e Überwachun­g durch das Paul-Ehrlich-Institut.

Der Vorsitzend­e des Weltärzteb­undes, Frank Ulrich Montgomery, sagte auf Anfrage: „Die Diskussion um den Astrazenec­a-Impfstoff reißt nicht ab. Da ist es gut, dass die Ema klare Kante zeigt.“Der Impfstoff sei aller Wahrschein­lichkeit nach – noch fehle die wissenscha­ftliche Evidenz – für die sehr seltenen Hirnvenent­hrombosen vor allem bei Frauen unter 60 Jahren verantwort­lich. „Das Risiko der Impfung ist aber deutlich geringer als das Risiko der Erkrankung. Wir müssen jetzt noch mehr auf Biontech, Moderna und Johnson & Johnson setzen. Und man muss den Menschen so bald wie möglich ein Wahlrecht für den Impfstoff einräumen“, sagte Montgomery.

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