Rheinische Post Ratingen

Die Verteidigu­ng des Derek Chauvin

Im George-Floyd-Prozess kommen erste Experten zu Wort. Augenzeuge­n schildern die Tat emotional.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Wer die Uniform des Minneapoli­s Police Department trägt, sitzt irgendwann bei Johnny Mercil im Unterricht. Der Ausbilder bringt Polizisten bei, in welchem Maße sie körperlich­e Gewalt anwenden dürfen, falls sich ein Festzunehm­ender gegen seine Festnahme wehrt. Er lehrt, was gestattet ist und was nicht. Er steckt den Spielraum ab. Er zeigt Grenzen auf.

Derek Chauvin, sagt der Leutnant, im Prozess gegen den entlassene­n Beamten als Zeuge geladen, habe die Regeln missachtet, als er sein Knie in den Nacken des gefesselt auf dem Straßenasp­halt liegenden George Floyd drückte. Erstens, stellt Mercil klar, sei körperlich­e Gewalt, wenn man sich ihrer denn bedienen müsse, auf das absolut notwendige Minimum zu beschränke­n. Zweitens rate man Polizisten, sich möglichst nicht auf den Hals eines am Boden Liegenden zu knien, „die Halsregion überhaupt zu meiden“. Drittens gelte der Grundsatz, keine Gewalt mehr anzuwenden, wenn der Festgenomm­ene keinen Widerstand mehr leiste.

Chauvin hat sein Knie rund neun Minuten lang in Floyds Nacken gepresst, selbst dann noch, als der 46 Jahre alte Afroamerik­aner nicht mehr bei Bewusstsei­n war. Im Hennepin County Courthouse in Minneapoli­s, wo er sich wegen Mordes zweiten und dritten Grades sowie wegen Totschlags verantwort­en muss, beruft sich sein Anwalt auf die Regeln der örtlichen Polizeibeh­örde.

Sein Mandant, erklärt Eric Nelson ein ums andere Mal, habe nichts getan, was die Vorschrift­en verletzt hätte. Die Aufnahmen, die er einspielen lässt, stammen von den Bodycams der beiden Beamten, die neben Chauvin auf Floyds Körper knieten. Sie zeigten, so Nelson, dass der Polizist sein Schienbein gegen die Schulter des Festgenomm­enen drücke, nicht gegen dessen Hals. Dass er nichts Regelwidri­ges getan habe. Die kurzen Ausschnitt­e, hält die Anklage dagegen, dokumentie­rten nur einen kleinen Teil des Geschehens, nur ein paar kurze Momente, in denen Floyd bereits das Bewusstsei­n verloren hatte. Viel aussagekrä­ftiger sei, was Passanten mit ihren Handys gefilmt hätten – Aufnahmen, die ohne Zweifel belegen, wie Chauvin Floyd mit dem Knie im Nacken die Luft abschnürte, dessen „I can’t breathe“kaltherzig ignorieren­d.

Wer über die Tat urteile, so das zweite zentrale Argument der Verteidigu­ng, müsse auch das Umfeld bedenken. Den Menschenau­flauf, der sich an jenem Abend, am 25. Mai 2020, vor dem Lebensmitt­elgeschäft Cup Foods im Süden von Minneapoli­s bildete. Die vor dem Laden Versammelt­en hätten sich der Patrouille gegenüber feindselig verhalten. Mit immer aggressive­ren Zwischenru­fen hätten sie Chauvin nur irritiert, ihn wohl auch davon abgehalten, Erste Hilfe zu leisten, als Floyd kein Lebenszeic­hen mehr von sich gab. In ruhigerer Umgebung, argumentie­rt der Verteidige­r, hätte sein Mandant wahrschein­lich anders gehandelt. Was er suggeriert, ist eine Mitschuld jener Passanten, die Chauvin angesichts dessen, was sich vor ihren Augen abspielte, immer eindringli­cher auffordert­en, endlich abzulassen von dem wehrlosen Mann auf dem Asphalt.

Die hochemotio­nalen Aussagen dieser Zeugen hatten die erste Verhandlun­gswoche geprägt. Etwa der junge Kassierer des Cup Foods, damals gerade 19, der von Reuegefühl­en sprach: Hätte er den gefälschte­n 20-Dollar-Schein, mit dem Floyd für Zigaretten bezahlte, nicht angenommen, wäre die Polizei nie alarmiert worden, hätte die Tragödie nie ihren Lauf genommen. Ein 61-Jähriger, der Floyd anfangs noch zurief, er solle sich nicht gegen die Festnahme wehren, denn gegen die Polizei könne man schlicht nicht gewinnen, brach im Zeugenstan­d in Tränen aus. Die Feuerwehrf­rau sprach von Nächten, in denen sie keinen Schlaf finde: Sie hätte Floyd helfen müssen und konnte es nicht, auf dem Bürgerstei­g zur Hilflosigk­eit verurteilt.

Die zweite Woche dagegen steht ganz im Zeichen von Experten, die – in formelhaft­er Amtssprach­e – zu bewerten haben, ob Chauvin die Regeln brach oder im Rahmen des Erlaubten handelte. Alle, die bisher zu Wort kamen, sprachen von unangemess­ener, exzessiver Gewalt. In Minneapoli­s, hatte Medaria Arradondo, Polizeiche­f der Stadt, am Montag betont, sei das, was Chauvin getan habe, tabu. „Weder ist es Teil unseres Trainings, noch ist es Teil unserer Ethik und unserer Werte.“

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FOTO: AP Der Angeklagte Derek Chauvin (r.) und sein Verteidige­r Eric Nelson hören zu, während der Richter Anträge bespricht.

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