Der Online-Handel wächst und wächst
Mehr als 90 Milliarden Euro haben die Deutschen 2020 im Internet für Waren und Dienstleistungen ausgegeben. Der Trend hält an.
DÜSSELDORF Im Durchschnitt hat jeder Deutsche, sozusagen vom Säugling bis zum Senior, im vergangenen Jahr im Internet für 1000 Euro eingekauft. Das sind immerhin vier Prozent des durchschnittlichen verfügbaren Einkommens, das jeder Bürger besitzt. Anders gesagt: Jeder 25. Euro wird mittlerweile online ausgegeben. Und der Trend wächst, weil die Zahl der nicht internet-affinen Menschen abnimmt und Corona auch beim Handel über das weltweite Netz als Brandbeschleuniger wirkt.
„Fast jeder dritte Onlinekäufer im Jahr 2020 war älter als 60 Jahre. Vor Jahresfrist lag der Umsatzanteil der Kundinnen und Kunden in dieser Altersgruppe noch unter einem Viertel“, erklärte jüngst der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH). Auch das, wofür die Menschen zu anderen Zeiten stets in den Super- oder Drogeriemarkt gingen – Lebensmittel,
Kosmetik, Putz- und Reinigungsmittel, Hygienepapiere –, wird immer öfter bestellt und geliefert. Ganz zu schweigen von Medikamenten, die im ersten Lockdown und den Monaten danach einen Online-Umsatzschub von 90 Prozent erlebten, weil sich womöglich auch ältere Menschen offensichtlich für Monate mit notwendiger Medizin eindeckten, die nicht verschreibungspflichtig und damit auch problemlos ohne die Apotheken erhältlich war.
Für mehr als 83 Milliarden Euro brutto (rund 71 Milliarden Euro netto) haben die Deutschen im vergangenen Jahr Waren gekauft. Dazu kommen noch einmal neun Milliarden Euro brutto, die sie für Dienstleistungen im Internet bezahlt haben. Und weil dieser Bereich in der Pandemie sogar um die Hälfte geschrumpft ist (beispielsweise weil Konzertveranstaltungen und andere Events, für die Tickets vielfach online bestellt und bezahlt werden, in Massen ausfielen), gerät das Plus insgesamt bescheidener, als das zu Normalzeiten der Fall gewesen wäre. Für das laufende Jahr ist der BEVH zuversichtlich. Er geht von einem Umsatzplus von 12,5 Prozent aus, womit die online verkauften Waren und Dienstleistungen zusammen mehr als 100 Milliarden Euro Umsatz bringen würden. Es sei denn, bei den Dienstleistungen geht es wegen der anhaltenden Pandemie
noch einmal so brachial abwärts wie im vergangenen Jahr.
Wie lange geht das noch so weiter? „Ich gehe davon aus dass der Online-Handel auch in den kommenden Jahren mit zweistelligen Raten wächst“, meint der Mönchengladbacher Handelsexperte Gerrit Heinemann, Professor an der Hochschule Niederrhein. Aber: „Es wird eine Verlagerung zu Warengruppen geben, die bisher weniger online-affin waren“, so Heinemann. Das heißt: In Bereichen wie dem Lebensmittelgeschäft, dem Möbelverkauf, dem Baumarkthandel und dem Drogeriegeschäft schlummert noch erhebliches Potenzial.
Allein der Möbel-, Baumarkt- und Drogeriebereich hat aus Heinemanns Sicht noch ein zusätzliches Marktvolumen von zusammengerechnet 50 Milliarden Euro. „Andere stoßen im Online-Geschäft irgendwann an ihre Grenzen“, sagt er. Gemeint ist damit etwa der Modehandel, der online im Lockdown 2020 freilich noch gewachsen ist, aber auch der Handel mit Elektronikwaren. Wobei auch diese Bereiche nach Heinemanns Einschätzung immer noch einstellige Wachstumsraten aufweisen werden.
Was das Online-Geschäft derzeit zusätzlich anschiebt: Die Menschen haben sich an das Einkaufen im Internet gewöhnt, und sie tun das auch aus der Erkenntnis heraus, dass der Zeitpunkt unsicher ist, zu dem die Pandemie wirklich beherrschbar erscheint. Und außerdem gibt es da noch diesen Teufelskreislauf, in dem Händler, die sich dem Internet-Handel komplett verweigern, vom Markt und damit aus den Innenstädten verschwinden. Die einfache Logik, die daraus folgt: Je weniger Ladenlokale existieren, desto mehr kaufen die Menschen im Netz ein. Und umgekehrt.
„E-Commerce und seine Prozesse sind künftig die Basis, von der aus Kunden ihren Einkauf beginnen“, sagte BEVH-Präsident Gero Furchheim entsprechend vor einigen Wochen. Die Innenstädte und der Einzelhandel bräuchten „dieses digitale Fundament, um mit ihren stationären Angeboten den Kunden noch Mehrwerte zu bieten“. Furchheims Forderung: „Die Stadtentwicklung muss sich dieser Realität endlich stellen und diejenigen konsequent einbinden, die den neuen Handel gestalten.“Andernfalls drohen viele triste Zentren.