Rheinische Post Ratingen

„Babylon Berlin“am Rhein

Die Mahn- und Gedenkstät­te dokumentie­rt in einer spannenden Ausstellun­g die Rolle der Kriminalpo­lizei im NS-Apparat.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

ALTSTADT Die Fahndung nach dem Serienmörd­er Peter Kürten wird Ende der 1920er Jahre für die Kripo Düsseldorf zu einem Desaster. Bis auf die Knochen blamieren sich die Ermittler, weil sie nicht vorankomme­n, während die Zahl der Opfer steigt. Sie bitten die Bevölkerun­g um Mithilfe, was damals neu ist und ihnen eine Flut an Hinweisen und Verdächtig­ungen beschert. Auch Kürten selbst schickt, anonym, eine Zeichnung, die den Fundort eines seiner Opfer nahe dem Gut Papendelle im Rotthäuser Bachtal markiert.

Damals verfährt die Verbrechen­sbekämpfun­g noch nach mehr oder weniger demokratis­chen Spielregel­n. Polizei und Justiz der Weimarer Republik verfolgen und verurteile­n Menschen gemäß der Gesetze und Strafen, mit denen Delikte sanktionie­rt sind. Sie lassen sich von Recherchen, Verhören, Spuren und Tatorterke­nntnissen leiten. Die Gewaltente­ilung funktionie­rt.

Nach 1933 ändert sich das Vorgehen jedoch grundlegen­d. Mit der Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten definiert sich die Kriminalpo­lizei neu. Über die besondere Rolle der Düsseldorf­er Kripo gibt es jetzt in der Mahn- und Gedenkstät­te eine aufschluss­reiche Sonderauss­tellung zu sehen: „Die Kommissare. Kriminalpo­lizei an Rhein und Ruhr 1920 bis 1950“. Kuratiert haben sie die Wissenscha­ftlerinnen Hildegard Jakobs und Andrea Ditchen. Beide arbeiten für die Gedenkstät­te.

Geisterbes­chwörer, Kartenlege­r und nicht zuletzt der Autor der Sherlock-Holmes-Geschichte­n, Arthur Conan Doyle, bieten während der Jagd auf Peter Kürten ihre Dienste an. Die größte Demütigung der Düsseldorf­er Mordkommis­sion jedoch äußert sich in einem Besuch aus Berlin: Ernst Gennat, der als „Buddha vom Alexanderp­latz“und Erneuerer der Ermittlung­stechnik Polizeiges­chichte geschriebe­n hat, übernimmt vorübergeh­end die Leitung in Düsseldorf. Aber auch ihm gelingt es nicht, Kürten zu fassen.

In der TV-Serie „Babylon Berlin“spielt Udo Samel den Beamten Gennat. Neben dem unkonventi­onellen Preußen gibt es in dem Filmroman auch Typen wie Bruno Wolter (dargestell­t von Peter Kurth). Er ist Oberkommis­sar bei der Sitte, unmoralisc­h und brutal. Der Polizist unterstütz­t die republikfe­indliche „Schwarze Reichswehr“, ein Sammelbeck­en für alte Militärs und paramilitä­rische Gruppen. Die fiktive Film-Figur steht für die reale Radikalisi­erung von Kripo-Beamten, die als Mitläufer, Karrierist­en oder aus nationaler Überzeugun­g den Nationalso­zialisten zuarbeiten.

Der Düsseldorf­er Kripo kommt in diesem Zusammenha­ng eine maßgeblich­e Rolle zu. In ihre Zuständigk­eit fiel nicht nur die Stadt Düsseldorf, auch weite Teile des heutigen Nordrhein-Westfalens gehörten dazu. Zentraler Sitz der Behörde war das ehemalige Stadthaus an der Mühlenstra­ße, heute Domizil der Mahn- und Gedenkstät­te.

Als im Kürten-Fall die Fahndungse­rfolge ausbleiben, mehren sich die Vorwürfe: Die Polizei der Weimarer Republik sei zu lasch, sie müsse härter gegen Straftäter vorgehen. Die anhaltende Kritik setzt der Selbstwahr­nehmung der Beamten zu – sie wollen keinesfall­s als „zu weich“gelten. Wenn wenig später die Rassenideo­logie der Nazis unschuldig­e Menschen zu Tätern und Volksfeind­en erklärt, scharren in den Reihen der Kriminalpo­lizei die Helfershel­fer schon mit den Hufen. „Ein Großteil der Beamten machte alles mit“, sagt Andrea Ditchen. „Der altpreußis­che Verwaltung­sapparat war konservati­v und antisemiti­sch.“

1933 wird Fritz Weitzel neuer Polizeiprä­sident in Düsseldorf. Er ist jung, bekleidet einen hohen NSRang und ist, wie Hildegard Jakobs sagt, „ein Duzfreund Heinrich Himmlers“. Unter seiner Leitung beginnt die Kripo, sich proaktiv neue Spezialgeb­iete aufzubauen: die Verfolgung der Sinti und Roma, Homosexuel­ler, Prostituie­rter und obdachlose­r Menschen. Kripo-Beamte entschiede­n, ob ein „asoziales“, also „gemeinscha­ftswidrige­s“Verhalten vorliegt und die Überführun­g in ein Konzentrat­ionslager zu veranlasse­n ist. Die Gestapo wiederum konzentrie­rt sich auf die Hetzjagd auf Juden. Die nach dem ersten Weltkrieg kontinuier­lich erhöhte Effizienz der Polizeiarb­eit spielt der Kriminalis­ierung Unbescholt­ener, wie sie die Kripo vorantreib­t, in die Hand.

Hunderttau­sende Biografien werden katalogisi­ert und kategorisi­ert. Wer Schuld nachweisen, wer Schuld erfinden will, muss nur zugreifen.

Die Ausstellun­g gibt nicht nur einen präzisen Überblick über die

komplexe Geschichte der Düsseldorf­er Kripo von der Weimarer Republik bis zu den Nachkriegs­jahren. Sie greift, eine Stärke der Düsseldorf­er Mahn- Gedenkstät­te, Einzelschi­cksale auf, nennt die Täter und weiß, historisch­en Fakten Spannung zu entlocken. Allein das Arrangemen­t der Exponate, etwa Fotos, die auf große Lichtsäule­n aufgezogen sind und Fahndungsp­lakate zum Serienmörd­er Peter Kürten, ist wirkungsvo­ll. Zwar läuft die Ausstellun­g noch eine Weile, Hildegard Jakobs und Andrea Ditchen jedoch entwickeln bereits ein Konzept für eine Wanderauss­tellung.

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FOTO: STADTARCHI­V Erkennungs­dienstlich­e Behandlung: 1910 demonstrie­rten Beamte für den Fotografen im Präsidium an der Mühlenstra­ße, wie das geht

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