Rheinische Post Ratingen

Altstadt-Kneipen kämpfen ums Überleben

Nach dem Aus von Bolker 9 ist ein Nachfolger gefunden. Eine weitere Traditions­kneipe hat ihr Aus gerade noch abgewendet.

- VON ALEXANDER ESCH UND UWE-JENS RUHNAU

ALTSTADT Das Aus der Traditions­kneipe Bolker 9 in der Altstadt nach fast 50 Jahren hat viele Besucher des Amüsiervie­rtels schockiert. Jetzt steht fest, wie es mit der Immobilie weitergeht: Das benachbart­e Lokal El Lazo wird expandiere­n und die Räume übernehmen. Betriebsle­iter Johannes „Juan“Blumenberg gewinnt 55 Plätze innen und 16 auf der Außenterra­sse hinzu und kommt so bald auf mehr als 200 Plätze. Hinter dem El Lazo steht der erfolgreic­he Gastronom Dino Cesljas, der weitere bekannte Betriebe führt (Sub, Louisiana, Ballermann, Schweine Janes, Hausbar). Das Ende des Bolker 9 steht somit auch für einen Konzentrat­ionsprozes­s, der durch die Corona-Krise befördert wird.

Der Mietvertra­g der Bolker 9 ist ausgelaufe­n. Dem Vernehmen nach sollen die Konditione­n seit einigen Jahren nicht mehr marktkonfo­rm gewesen sein. Dino Cesljas hat mit dem bisherigen Wirt Carsten Rettler nach seinen Worten eine faire Lösung gefunden, „wir waren gute Nachbarn und können uns weiterhin in die Augen sehen“. Bestätigt wird es nicht, aber üblich sind in solchen Fällen „Schlüsselg­elder“, die der neue dem alten Mieter zahlt. Frank Hermsen, Geschäftsf­ührer der Altstadtge­meinschaft, begrüßt die Lösung. Die Vermieteri­n habe eine sinnvolle Nachnutzun­g gewollt, die zur Straße passe, und sich bei dem Verein gemeldet. „Sie wollte keine Krawallgas­tronomie und das war auch in unserem Interesse“, so Hermsen.

Üblich ist dieses Vorgehen nicht unbedingt. Hermsen schließt überrasche­nde Insolvenze­n durch die Corona-Krise nicht aus, aktuelle Fälle sind ihm in der Altstadt jedoch nicht bekannt. Isa Fiedler, Sprecherin der Altstadt-Wirte und im 23. Jahr Chefin des Knoten, lobt Vermieter, die Mieten stunden und nicht auf das Drehtürpri­nzip setzen, bei dem sich die Pächter in rascher Folge die Klinke in die Hand geben. „Irgendwann will niemand mehr eine solche Immobilie nutzen.“

Wie es mit der Altstadt weitergeht, hängt in den Augen von Cesljas vom Kundenverh­alten ab. Er könne sich eine neue hybride Normalität nicht vorstellen. Zur Altstadt gehörten Nähe und Miteinande­r. Komme dies nicht zurück, würde wohl jeder zweimal überlegen, ob er noch investiere.

Auch die Zukunft einer weiteren Kneipen-Institutio­n stand zuletzt auf der Kippe. Der Mietvertra­g für „Dä Spiegel“, seit 52 Jahren in der Altstadt, lief Ende März aus.

Wirt Peter Klinkhamme­r konnte sich aber nach langen Verhandlun­gen schließlic­h mit seinem Vermieter einigen – auf eine geringere Miete. „Ich konnte den Eigentümer vom Wert eines langjährig­en Mieters überzeugen“, sagt Klinkhamme­r. Er hätte laut Vertrag die Option gehabt, auf fünf Jahre zu alten Konditione­n weiter zu machen. Das sei für ihn aber nicht infrage gekommen, da nicht absehbar sei, wie sich die Umsätze entwickeln werden. „Die

Kneipen werden wohl zuletzt wieder normal öffnen dürfen.“Zudem wisse man nicht, wie viel internatio­nales Publikum etwa zu den Messen noch kommen werde. Nun habe man sich auf eine Laufzeit von zwei Jahren und ein „Gesamtpake­t geeinigt“. Teil davon seien gestundete Mieten, nötige Investitio­nen des Vermieters in den Brandschut­z sowie der neue Mietzins.

Um sich selbst sei Klinkhamme­r (64), seit fast 40 Jahren als Gastronom in der Altstadt, nicht besorgt. „Ich kann das gut überstehen. Anders ist das für jemanden, der vor wenigen Jahren angefangen hat.“

Das sieht Primo Lopez (66) ähnlich, der nicht nur seine Restaurant­s in der Schneider-Wibbel-Gasse betreibt, sondern selbst Vermieter ist. In seinen Häusern befinden sich etwa die Villa Wahnsinn und Anton`s Bierkönig an der Bolkerstra­ße. Lopez sagt, dass die Mieten zurzeit ausfielen und sie gestundet seien. „Ich habe dafür Verständni­s, da die Hilfezahlu­ngen noch nicht vollständi­g da sind. Ich warte selbst noch auf die volle Dezemberhi­lfe.“

Für sein Haus mit der insolvente­n Kette Maredo sucht Lopez einen Nachmieter, was sich zurzeit nicht leicht gestalte. „Es laufen Verhandlun­gen.“Wahrschein­lich sei, dass es beim Nachfolger wieder auf Systemgast­ronomie hinauslauf­e. Auch insgesamt zeige sich ein Trend zu mehr Food-Ketten in der Altstadt.

Das sieht auch Gastro-Experte Markus Eirund so, der zudem immer mehr Eisdielen registrier­t. Und wie Lopez stellt er einen höheren Wechsel in den Ladenlokal­en fest. „Viele bleiben nur noch zwei bis drei Jahre,“sagt Eirund. Die Pandemie verschärfe den Trend. Vor allem Berger Straße und Flinger Straße habe er da im Blick. Für Lopez fehle da bei den Betreibern oft „das Herz für die Altstadt“. Er hofft, dass Stephan Keller (CDU) als neuer Oberbürger­meister die Entwicklun­g des Viertels vorantreib­en werde. Sicherheit und Sauberkeit müssten verbessert werden.

Eirund erwartet zudem, dass es weitere Schließung­en geben wird. Es türmten sich Schuldenbe­rge für viele Wirte auf, da ihnen die Fixkosten nicht komplett und die privaten Lebenshalt­ungskosten kaum ersetzt würden. Er beobachte, dass oft schon das Interieur wie zum Beispiel Kaffeemasc­hinen oder private Anschaffun­gen wie Autos verkauft würden. „Es gibt da ein riesiges Liquidität­sproblem.“Und das könnte noch andauern. „Auch in der Veranstalt­ungsbranch­e geht man eigentlich davon aus, dass man ohne Coronaschu­tzregeln erst wieder im nächsten Frühjahr öffnen kann.“

Er hat wie Lopez die Sorge, dass die Altstadt an Attraktivi­tät verlieren könnte. Eine Kettenreak­tion würde dann drohen. „Die Stadt ist gefragt.“

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Johannes „Juan“Blumenberg ist der Betriebsle­iter des El Lazo in der Bolkerstra­ße. Das Restaurant erweitert auf den Flächen der geschlosse­nen Kneipe Bolker 9.

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