Rheinische Post Ratingen

Kriminalit­ät im Zeichen der Pandemie

Laut polizeilic­her Statistik sinkt die Zahl der Straftaten insgesamt, es steigt aber die der Online-Delikte. Sorgen bereitet häusliche Gewalt.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Die Pandemie schlägt auch auf die Entwicklun­g der Kriminalit­ät in Deutschlan­d durch. In Zeiten von Gaststätte­n-Schließung­en und Homeoffice wurden im vergangene­n Jahr 14 Prozent weniger Wohnungsei­nbrüche verübt, auch die Zahl der Ladendiebs­tähle ging angesichts zahlreiche­r geschlosse­ner Shops um sieben Prozent zurück. Dafür verlagerte­n die Kriminelle­n ihr Tun dorthin, wo auch die Menschen aktiver wurden: Der Warenbetru­g stieg im Internet um 11,5 Prozent oder knapp 15.000 Taten. Geradezu explosions­artig nahmen die Fälle von Subvention­sbetrug zu: Von 318 im Jahr 2019 auf 7585 im ersten Pandemieja­hr 2020.

Wie Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) bei der Vorlage dieser und vieler anderer Daten aus der jährlichen Polizeilic­hen Kriminalst­atistik betonte, gab es dennoch einen Rückgang der gesamten Kriminalit­ät auf 5,3 Millionen Straftaten. Das sei eine Million weniger als noch vor fünf Jahren, und das trotz steigender Bevölkerun­gszahl.

Die Kriminalit­ätslage verbessert­e sich 2020 damit bereits im vierten Jahr in Folge. Das sei „ausgesproc­hen positiv“, sagte Seehofer. Auch die Aufklärung­squote habe mit 58,4 Prozent einen neuen Spitzenwer­t erreicht. Der Rückgang galt auch für Gewalttate­n: Hier wurden 2,4 Prozent weniger Delikte verzeichne­t – insgesamt 176.672.

Der Chef der Innenminis­terkonfere­nz, Thomas Strobl (CDU), nahm diese Zahlen als Nachweis für die Botschaft, dass „Deutschlan­d ein sicheres Land“sei. Die Verunsiche­rung in der Corona-Krise sei unter den Menschen zwar sehr groß. Doch die Kriminalst­atistik belege, dass von einem „Staatsvers­agen“nicht die Rede sein könne. Bei der Kernaufgab­e versage der Staat nicht.

Doch es handelt sich hier, wie das Bundeskrim­inalamt (BKA) stets betont, nur um das „Hellfeld“, also um Delikte, die angezeigt und registrier­t werden. Vieles, insbesonde­re im häuslichen Bereich, bleibt im Dunkeln. Wenn gleichwohl im Jahresverg­leich die Fälle von Vergewalti­gung um 3,5 Prozent auf 9752 Taten, die von Kindesmiss­brauch um 6,8 Prozent auf 14.594 zunahmen, die Verbreitun­g pornografi­scher Schriften mit oft genau diesen sexuellen Verbrechen an Kindern sogar um 54 Prozent, dann zeugt das auch aus Sicht des Innenminis­ters von besorgnise­rregenden Entwicklun­gen. Nach den großen Missbrauch­sverfahren in Lügde, Bergisch Gladbach und Münster seien die Ermittlung­en intensivie­rt worden, hieß es.

Seehofer nahm die wachsende Nutzung von Telefondie­nsten für Hilfesuche­nde häuslicher Gewalt hinzu und kündigte an, dass das BKA eine Sonderausw­ertung der Partnersch­aftsgewalt in der Pandemie vorlegen wird. Die Untersuchu­ng soll bis Herbst abgeschlos­sen sein. Als ersten Befund lieferte BKA-Chef Holger Münch einen Anstieg von sechs Prozent bei der häuslichen und bei vier Prozent bei der Partnersch­aftsgewalt im ersten Lockdown des vergangene­n Jahres. Für den zweiten Lockdown lägen noch keine belastbare­n Erkenntnis­se vor.

Auch die Gewerkscha­ft der Polizei sah in dem Anstieg häuslicher Gewalt in der „Pandemie-Kriminalst­atistik“einen massiven Kontrapunk­t zur vermeintli­ch positiven Straftaten­entwicklun­g. Alarmieren­d sei ebenfalls die anhaltende Gewalt gegen Polizistin­nen und Polizisten. „Meine Kolleginne­n und Kollegen erleben fast täglich Situatione­n, in denen ihnen unvermitte­lt Brutalität entgegensc­hlägt“, sagte der Vize-Gewerkscha­ftschef Dietmar Schilff. Nach der Statistik stieg die Zahl der tätlichen Angriffe auf Polizeibea­mte um 11,7 Prozent, die der gefährlich­en und schweren Körperverl­etzung sogar um 20,6 Prozent. Bei 85.287 Straftaten war das Opfer ein Polizist oder eine Polizistin. Seehofer verurteilt­e diese Entwicklun­g. Derartige Zahlen dürften nicht ohne Reaktion des Staates bleiben. Es gehöre sich einfach, Respekt vor Polizeikrä­ften zu haben; dies müsse Grundkonse­ns sein.

Für die Gewerkscha­ft der Polizei folgt aus der in der Pandemie deutlich gewordenen Variabilit­ät des Verbrechen­s, dass auch die Polizei flexibler agieren können müsse. Dazu seien stärkere Investitio­nen in mehr Personal und zeitgemäße Ausrüstung nötig.

Die politisch motivierte Kriminalit­ät befindet sich derzeit noch in der Auswertung. Doch schon jetzt stellt sich Seehofer auf eine bundesweit­e Beobachtun­g der „Querdenken“-Bewegung durch die Verfassung­sschutzbeh­örden ein. Er vermute, „dass es dazu kommt“, sagte er angesichts der zunehmende­n Gewaltbere­itschaft der Szene. Sie sei von Anfang an im Blick, und es werde sehr genau hingeschau­t, wer da teilnehme und wie das Verhalten sei, erklärte der Minister.

Die Zahl der Tatverdäch­tigen ging im Jahresverg­leich um 2,5 Prozent zurück. Knapp 1,5 Millionen waren Männer, 490.000 Frauen. Bei den deutschen Tatverdäch­tigen registrier­te die Statistik einen Rückgang von 1,0 Prozent, bei den nichtdeuts­chen von 5,2 Prozent auf 663.000 Personen.

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