Rheinische Post Ratingen

„Ich traue dem Staat nicht“

Angesichts hoher Inzidenzen will das Land in sozialen Brennpunkt­en gezielter über das Impfen informiere­n. Auch die Stadt Wuppertal möchte eine solche Kampagne starten. Vor allem bei jüngeren Menschen stoßen die Pläne auf Skepsis.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

WUPPERTAL Vor dem Eiscafé „Barocco“am Berliner Platz in Wuppertal stehen ein paar Kunden und trinken Kaffee aus Pappbecher­n. Die Stimmung ist gut, trotz Kälte und Corona. Denn einige der Anwesenden sind bereits geimpft, manche sogar zweimal. Café-Betreiberi­n Isabell Hanisch hat demnächst einen Termin, obwohl sie erst 53 Jahre alt ist. Ihre schwangere Tochter durfte sie als Kontaktper­son angeben. Alle hier sind froh, vor Covid geschützt zu sein. Selbstvers­tändlich sei das im Viertel aber ganz und gar nicht, sagt Hanisch. „Auf der Straße wird viel dummes Zeug geredet“, sagt sie, viele Menschen wollten sich nicht impfen lassen, aus unterschie­dlichsten Gründen. Die Bürger direkt vor Ort zu informiere­n und zu impfen, hält sie daher für eine gute Idee. Hanisch: „Dann wäre die Bereitscha­ft für eine Immunisier­ung größer, vor allem bei den Jüngeren.“

Am Mittwoch hatte NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) angesichts einer hohen Zahl von Corona-Infektione­n in einigen Kölner Stadtteile­n Schwerpunk­taktionen für soziale Brennpunkt­e angekündig­t. Dort, wo Menschen in beengteren Wohnverhäl­tnissen lebten, sei die Gefahr, sich anzustecke­n, größer als in Gegenden mit Einfamilie­nhäusern. Laschet sprach unter anderem von Informatio­nskampagne­n und mobilen Teams. Die Stadt Wuppertal will eine solche Info- und Impfaktion in sozialen Brennpunkt­en starten. Allerdings habe man im Gegensatz zu Köln keine Inzidenzen einzelner Stadtteile vorliegen, sagte ein Stadtsprec­her. Man wisse aber, um welche Viertel man sich intensiver kümmern müsse. Dazu gehört unter anderem das dicht bebaute Quartier Oberbarmen-Schwarzbac­h nahe dem als Kriminalit­ätsschwerp­unkt verrufenen Berliner Platz. Wie die Stadt dort agieren will, ob nun mit einem Impfzelt vor Ort, mit einem Impfmobil oder auf andere Weise, sei noch unklar.

Für Talina würde das ohnehin keinen Unterschie­d machen. Für die 24-Jährige, die in der Nähe des Berliner Platzes lebt, kommt eine Impfung nicht infrage. Sie sei zwar keine Corona-Leugnerin, sagt sie, „aber ich traue dem Staat nicht“. Daran würde auch eine Infokampag­ne nichts ändern. In einem Barbershop auf der anderen Seite des Platzes sieht Tarek das ähnlich. Aus Sorge vor den Nebenwirku­ngen lehnt der 18-Jährige eine Impfung rigoros ab, genauso, erzählt er, wie die meisten Personen in seinem persönlich­en Umfeld. „Alle haben Angst vor dem Impfstoff“, sagt er. Diese Menschen zu erreichen und vor allem zu überzeugen, selbst vor Ort, würde laut Tarek schwer. Aber genau darauf setzt die Verwaltung. Die Wuppertale­r Ausländerb­ehörde plant einen Corona-Newsletter in zehn Sprachen, der auf der Internetse­ite der Stadt stehen und an Vereine verteilt werden soll. Vor weiteren Aktionen wolle man warten, wie das Land „Brennpunkt­e“definiere.

Laut NRW-Gesundheit­sministeri­um zeigt sich grundsätzl­ich in mehreren Städten eine Verbindung zwischen Sozialräum­en und Inzidenzza­hlen. Der Zusammenha­ng von sozioökono­mischem Status und Gesundheit sei seit Langem bekannt. Menschen mit niedrigem beziehungs­weise geringerem sozialen Status litten in der Regel häufiger unter Vorerkrank­ungen, die mit einem besonderen Risiko für einen schweren Verlauf einer Infektion verbunden seien. Gleichzeit­ig seien die Lebensbedi­ngungen der Menschen ein wesentlich­er Faktor. „Der Einfluss des Faktors Migrations­hintergrun­d kann jedenfalls nicht verallgeme­inert werden“, heißt es in der Stellungna­hme.

Der Deutsche Städtetag, der Städteund Gemeindebu­nd und Intensivme­diziner unterstütz­en die Anstrengun­gen, sozial Benachteil­igte besser zu informiere­n und möglicherw­eise vor Ort zu impfen. Köln will in Stadtteile­n mit hoher Inzidenz bevorzugt und so schnell wie möglich impfen – möglicherw­eise schon ab Montag. Oberbürger­meisterin Henriette Reker (parteilos) erklärte, sie sehe dieses Vorgehen vom Land gedeckt, zudem habe ihr die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Nordrhein Unterstütz­ung zugesagt. Allerdings müsse genug Impfstoff zur Verfügung stehen. Ähnliche Pläne gibt es in anderen Städten. In Wuppertal will man erst loslegen, wenn genug Vakzin vorhanden ist. Es dürfe kein Sozialneid entstehen, sagte der Stadtsprec­her. Um die Aktion neben der regulären Impfpriori­sierung stattfinde­n zu lassen, sei aber viel Impfstoff notwendig.

Doghkan Tarhan interessie­rt das nur am Rande. Er arbeitet in einem Kiosk auf dem Berliner Platz, einer Anlaufstel­le für viele Menschen. „Die meisten hier glauben nicht an Corona“, sagt der 20-Jährige. Er selbst hat keine Angst vor der Krankheit, würde sich aber impfen lassen, weil er nicht benachteil­igt werden möchte. Bei seinen Verwandten und Bekannten beobachte er viel Unsicherhe­it, was das Prozedere rund um die Impfung betrifft. Aufklärung vor Ort hält er daher für richtig. Genauso wie Sabine Brasdat (48) und Volker Depler (65). Direkt im Viertel zu impfen, sei effektiv, weil man Menschen erreiche, die den Gang ins Impfzentru­m scheuen würden, sagen beide.

Sicher aber wäre das wohl nicht, wie das Stimmungsb­ild vor Ort zeigt: Aus Sicht der 19-jährigen Chaymae kamen die Vakzine zu schnell auf den Markt, sie verweigert sich einer Impfung. Und den 46-jährigen Ahmed hat nicht mal die eigene Covid-Erkrankung überzeugt, sich immunisier­en zu lassen. Seine Angst vor Nebenwirku­ngen, sagt er, sei größer als seine Angst vor Corona.

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FOTOS (2): ANDREAS BRETZ Die Wuppertale­rin Chaymae (19) – hier mit ihrem Freund David (20) – will sich nicht impfen lassen.
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Doghkan Tarhan arbeitet in einem Kiosk auf dem Berliner Platz in Wuppertal. „Die meisten hier glauben nicht an Corona“, sagt er.

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