Tantra, Trommeln, Tralala
Von freier Liebe und fast fatalen Fehlern handelt der Münster-„Tatort“. Ein Fall nur für Fans.
MÜNSTER Hier könnte Ihre Werbung stehen. Oder jedenfalls eine Reihe von Pressefotos zum hier vorzustellenden Sonntagskrimi mit dem Titel „Rhythm and Love“: Boerne mit der Leiche. Thiel auf seinem Fahrrad. Boerne bei einem so unangenehmen wie unnötigen Privatvortrag für seine Assistentin Haller. Staatsanwältin Klemm bei einer Standpauke für Thiel. Assistent Mirko Schrader beim Kaffeekochen. Und Thiel senior in seinem Taxi. Ein Schelm, wer an dieser Stelle denkt, dass diese Bilder zu jeder Episode aus der Metropole des Münsterlands passen würden, weil ja neben den Gags auch die Garderobe stets dieselbe sei.
Der Punkt ist: Kritiken der Krimi-Komödien mit Jan Josef Liefers und Axel Prahl sind möglich, aber letztlich komplett sinnlos. Handelsübliche 90 Minuten aus Münster machen keinen, der die sehr spezielle Machart der Filme mit Thiel und Boerne verachtet, zum Freund des Duos, und andersherum gilt das erst recht. Die Fronten sind verhärtet und werden es auf ewig bleiben, denn das Phänomen Münster-„Tatort“ist eine zentrale Frontlinie im Kulturkampf. Gegenüber stehen sich hier zwei Gruppen mit völlig konträren Motiven des Fernsehguckens insgesamt. Am Ende wird die Quote immer mindestens so gut, wie die Kritiken vernichtend sind, die das oft aus guten Gründen sind, aber manchmal auch bloß aus Gewohnheit und Faulheit.
Nichts von alledem ist schlimm
auch nur besonders relevant. Es ist schlicht, wie es ist. Und weil dem so ist, belassen wir es hiermit bei einem einzigen Satz der persönlichen Bewertung: Trotz großen Rätselratens um den Täter ist dieser Fall einer, den nur Fans genießen werden.
In ihrem 39. Einsatz tummeln sich Thiel und Boerne in der Hippie-Kommune Erlenhof. Denn dort war die nackte Leiche aktiv, früher, als sie noch keine war, aber meist ebenso unbekleidet. Maik Koslowski war Aktmodell, Gemüsebauer und Sex-Guru. Das Beziehungsgeflecht des Völkchens zwischen Bauernhof, Bauwagensiedlung und Bunga-Bunga-Tagungshaus ist so dick, dass die Macher einen Grundpfeiler der üblichen Handlung fast schon revolutionär abwandeln: Den Undercover-Agenten
gibt diesmal nicht Boerne, sondern Thiel senior. Weil der ja auch ein Hippie ist, und dieselbe Rauchware bevorzugt.
Professor Boerne wäre ohnehin unabkömmlich, weil verloren in emotionalen Ausnahmezuständen. Einerseits verzückt ihn die polyamouröse französische Trommel-Lehrerin Inès (Maëlle Giovanetti), andererseits kursieren Gerüchte um eine Plagiats-Affäre, die ihn mal wüten und mal winseln lassen. Thiel hat parallel damit zu kämpfen, dass sowohl sein Assistent als auch Boernes berufliche bessere Hälfte Silke Haller mit ihren Gedanken ganz woanderssind.
Sonst noch was? Ach so, ja natürlich. In den Episodenhauptrollen des atmosphärisch schön in Szene gesetzten Kommunen-Kappes geben sich sowohl Künstler- als auch tatsächlicher Adel vor der Kamera die Ehre: Nikolai Kinski ist beispielsweise der Sohn aus dritter Ehe von Klaus Kinski, August Wittgenstein („Ku’damm”, „Das Boot”) heißt mit vollem Namen August-Frederik Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Das sind die harten Fakten. Machen Sie sich einen schönen Sonntagabend damit.
„Tatort: Rhythm and Love”, Das Erste, 20.15 Uhr