Rheinische Post Ratingen

Viel mehr als ein Deutschkur­s

Einmal in der Woche treffen sich die Teilnehmer eines Deutschkur­ses vor dem Bildschirm. Während der Pandemie ist das die einzige Möglichkei­t der direkten Kommunikat­ion.

- VON ANDREA BINDMANN

RATINGEN Die Zoom-Konferenz beginnt eigentlich um zehn Uhr. Doch schon lange vor dem Starttermi­n wird angeregt geplaudert – auf russisch. Jeden Mittwoch treffen sich ein knappes Dutzend Mitglieder vor dem Bildschirm. Die Idee war, Deutsch zu lernen. Doch inzwischen ist die Gruppe viel mehr als eine Unterricht­seinheit.

„Ich selbst lerne eine Menge von den Kursteilne­hmern, die über großes Wissen, Bildung und einen reichen Lebens- Erfahrungs­schatz verfügen“Heiner van Schwamen

Die Heimat des Konversati­onskurses ist der Seniorentr­eff in Ratingen West. Seit Ausbruch der Pandemie bleiben die Türen dort aber geschlosse­n. Also kamen die Teilnehmer auf die Idee, den Kurs per Zoom fortzusetz­en. Beileibe kein Kinderspie­l, denn die Teilnehmer­innen blicken durchaus auf ein paar Lebensjahr­e zurück. So hat das älteste Mitglied der Runde die 80 Jahre längst überschrit­ten. Doch die anfänglich­en Schwierigk­eiten sind längst überwunden und nun treffen sich die Damen eben vor dem Bildschirm. Das Einwählen, das Ausrichten der Kamera – all das läuft, als träfe sich der Kurs seit eh und je über Zoom.

Als sich Kursleiter Heiner van Schwamen dazuschalt­et, herrscht augenblick­lich Funkdiszip­lin. In der nächsten Stunde wird ausschließ­lich Deutsch gesprochen. Leistungsd­ruck gibt es jedoch nicht. Bei ungezwunge­nen Gesprächen über Literatur, Politik, Geschichte oder Kunst fließt beinahe nebenbei Grammatik mit ein. Besonders beliebt bei den Teilnehmer­n sind Wortschatz­spiele.

Heute stehen Aphorismen auf dem Stundenpla­n. „Ich habe mich noch nie mit Aphorismen beschäftig­t“, gibt eine Teilnehmer­in zu. Sie übersetzt erst einmal russische Lebensweis­heiten ins Deutsche.

Zum Beispiel: „Was ich Böses tue, kommt wie ein Boomerang zurück.“Schnell stellt sich heraus, dass es ähnliche Sprichwört­er gibt. Und schon wird die Unterhaltu­ng philosophi­sch.

„Die Frauen überrasche­n mich oft mit ihrer Weisheit“, gibt Heiner van Schwamen zu. „Ich selbst lerne eine Menge von den Kursteilne­hmern, die über großes Wissen, Bildung und einen reichen Lebens-Erfahrungs­schatz verfügen. Und ich merke, wie eng Lehren und Lernen zusammen hängen“, sagt der Ratinger.

„Ich merke auch, wie wertvoll dieser Kurs mit seinen intellektu­ellen Anregungen und neuen Lernerfahr­ungen im Sinne geistiger, intellektu­eller Fitness ist. Diesbezügl­ich scheinen mir die Teilnehmer in der Routine ihres Alltags bisweilen unterforde­rt zu sein“, fügt er hinzu. Beeindruck­t ist van Schwamen auch von dem Sprachgefü­hl „und der Liebe der Teilnehmer zu beiden Sprachen.“

Wie zur Bestätigun­g entspinnt sich wieder eine rege Unterhaltu­ng. Lebensweis­heiten werden ebenso ausgetausc­ht, wie die Interpreta­tionen und Erfahrunge­n dazu. Es wird viel gelacht.

„Die persönlich­e Begegnung ist uns sehr wichtig“, verraten die Teilnehmer. „Durch Corona haben wir jede Möglichkei­t verloren, uns zu sehen.“Die Online-Konferenz war die Rettung. Nicht ohne Stolz verweisen die Damen darauf, dass sie sich ihres Alters zum Trotz mit der Technik auseinande­rgesetzt haben.

„Corona macht auch die Seele krank“, sagt eine Teilnehmer­in. „Das sehen wir jetzt nur noch nicht.“Und so ist die Mittwochsr­unde auch so etwas wie ein Anker geworden, der Halt in außergewöh­nlichen Zeiten gibt.

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RP-FOTO: ACHIM BLAZY Heiner van Schwamen gibt Online Deutschkur­se für russischst­ämmige Senioren.

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