Viel mehr als ein Deutschkurs
Einmal in der Woche treffen sich die Teilnehmer eines Deutschkurses vor dem Bildschirm. Während der Pandemie ist das die einzige Möglichkeit der direkten Kommunikation.
RATINGEN Die Zoom-Konferenz beginnt eigentlich um zehn Uhr. Doch schon lange vor dem Starttermin wird angeregt geplaudert – auf russisch. Jeden Mittwoch treffen sich ein knappes Dutzend Mitglieder vor dem Bildschirm. Die Idee war, Deutsch zu lernen. Doch inzwischen ist die Gruppe viel mehr als eine Unterrichtseinheit.
„Ich selbst lerne eine Menge von den Kursteilnehmern, die über großes Wissen, Bildung und einen reichen Lebens- Erfahrungsschatz verfügen“Heiner van Schwamen
Die Heimat des Konversationskurses ist der Seniorentreff in Ratingen West. Seit Ausbruch der Pandemie bleiben die Türen dort aber geschlossen. Also kamen die Teilnehmer auf die Idee, den Kurs per Zoom fortzusetzen. Beileibe kein Kinderspiel, denn die Teilnehmerinnen blicken durchaus auf ein paar Lebensjahre zurück. So hat das älteste Mitglied der Runde die 80 Jahre längst überschritten. Doch die anfänglichen Schwierigkeiten sind längst überwunden und nun treffen sich die Damen eben vor dem Bildschirm. Das Einwählen, das Ausrichten der Kamera – all das läuft, als träfe sich der Kurs seit eh und je über Zoom.
Als sich Kursleiter Heiner van Schwamen dazuschaltet, herrscht augenblicklich Funkdisziplin. In der nächsten Stunde wird ausschließlich Deutsch gesprochen. Leistungsdruck gibt es jedoch nicht. Bei ungezwungenen Gesprächen über Literatur, Politik, Geschichte oder Kunst fließt beinahe nebenbei Grammatik mit ein. Besonders beliebt bei den Teilnehmern sind Wortschatzspiele.
Heute stehen Aphorismen auf dem Stundenplan. „Ich habe mich noch nie mit Aphorismen beschäftigt“, gibt eine Teilnehmerin zu. Sie übersetzt erst einmal russische Lebensweisheiten ins Deutsche.
Zum Beispiel: „Was ich Böses tue, kommt wie ein Boomerang zurück.“Schnell stellt sich heraus, dass es ähnliche Sprichwörter gibt. Und schon wird die Unterhaltung philosophisch.
„Die Frauen überraschen mich oft mit ihrer Weisheit“, gibt Heiner van Schwamen zu. „Ich selbst lerne eine Menge von den Kursteilnehmern, die über großes Wissen, Bildung und einen reichen Lebens-Erfahrungsschatz verfügen. Und ich merke, wie eng Lehren und Lernen zusammen hängen“, sagt der Ratinger.
„Ich merke auch, wie wertvoll dieser Kurs mit seinen intellektuellen Anregungen und neuen Lernerfahrungen im Sinne geistiger, intellektueller Fitness ist. Diesbezüglich scheinen mir die Teilnehmer in der Routine ihres Alltags bisweilen unterfordert zu sein“, fügt er hinzu. Beeindruckt ist van Schwamen auch von dem Sprachgefühl „und der Liebe der Teilnehmer zu beiden Sprachen.“
Wie zur Bestätigung entspinnt sich wieder eine rege Unterhaltung. Lebensweisheiten werden ebenso ausgetauscht, wie die Interpretationen und Erfahrungen dazu. Es wird viel gelacht.
„Die persönliche Begegnung ist uns sehr wichtig“, verraten die Teilnehmer. „Durch Corona haben wir jede Möglichkeit verloren, uns zu sehen.“Die Online-Konferenz war die Rettung. Nicht ohne Stolz verweisen die Damen darauf, dass sie sich ihres Alters zum Trotz mit der Technik auseinandergesetzt haben.
„Corona macht auch die Seele krank“, sagt eine Teilnehmerin. „Das sehen wir jetzt nur noch nicht.“Und so ist die Mittwochsrunde auch so etwas wie ein Anker geworden, der Halt in außergewöhnlichen Zeiten gibt.