Die Diversity-Debatte hat in den vergangenen Jahren rasant an Fahrt aufgenommen und geht an keinem Unternehmen, an keiner Rechtsanwaltskanzlei vorbei. Die Experten beim „1. Düsseldorfer Dialog zur Rechtspolitik 2021“stellen heraus, dass Diversity eine hoh
Diversität von Teams ist längst ein Kriterium zur Vergabe von Aufträgen für Unternehmen und Mandaten für Kanzleien. Sind Mitarbeiterteams nicht divers genug aufgestellt, droht der Verlust von wertvollen Kundenbeziehungen. Und gerade auch hinsichtlich des Wettbewerbs um hochqualifizierten Nachwuchs sind Kanzleien und Unternehmen gefragt, diverse, wertschätzende Strukturen zu schaffen. Aber wo stehen Wirtschaft und Gesellschaft eigentlich?
Dr. Claudia Mayfeld ist Rechtsanwältin, Aufsichtsrätin und vormals Chefjustitiarin von RWE AG und innogy SE und betont, dass Diversität seit vielen Jahren ein bedeutendes Thema ist und sich kontinuierlich verändert. Heute umfasse die Debatte nicht mehr nur die Geschlechter-Diversität, sondern insbesondere auch die Dimensionen der ethnischen Herkunft und Nationalität, der sozialen Herkunft, Religion und Weltanschauung, Disability, Alter und sexuellen Orientierung. Daran sehe man den gesellschaftspolitischen Wandel, sodass Diversity für Unternehmen und Kanzleien weiterhin sehr wichtig bleibt und sich Organisationen damit immer wieder neu befassen müssen.
Dass weiterhin großer Diskussionsbedarf besteht, stellt auch Dr. Alexa Ningelgen heraus. Sie ist Partnerin bei McDermott Will & Emery und für Diversity zuständig – und Person of Color. Sie sagt: „Ich würde mir wünschen, dass das gesamte Panel überflüssig wäre, aber es besteht weiterhin Bedarf, darüber zu reden. Ich habe selbst zum Beispiel immer wieder erlebt, dass Frauen bestimmte Funktionen nicht zugetraut werden, und man muss sich generell fragen, warum Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind. McDermott Will & Emery hat ein Maßnahmenbündel entwickelt, um Frauen gezielt zu fördern.“Alexa Ningelgen hat dabei bereits die Erfahrung gemacht, dass sich mehr Frauen bewerben, weil diese sich eben bei Alexa Ningelgen als zuständige Partnerin teilweise besser aufgehoben fühlten. „Diversity hat etwas mit Role Models, also Vorbildern, zu tun. Wir müssen diese diversen Vorbilder in den Kanzleien schaffen und fördern, um Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund oder einer anderen sexuellen Orientierung zu motivieren, sich zu bewerben.“
Zwar studieren mittlerweile mehr Frauen als Männer Jura, aber der Anteil an Frauen in der Partnerschaft liegt bei unter 20 Prozent, zeigen Studien. In den Vorständen der Top-200-Unternehmen ist die Quote sogar noch niedriger und liegt bei zwölf Prozent. Zumindest ist Dr. Heiko Gemmel, Partner bei Hogan Lovells, davon überzeugt, dass in Zukunft mehr Frauen in Kanzlei-Führungspositionen tätig sein werden. Bei Hogan Lovells sind mittlerweile 55 Prozent der Berufseinsteiger Frauen. „Wir haben diese Förderung als eines der Topthemen identifiziert.“
Hengeler Mueller-Partner Prof. Dr. Dirk Uwer erkennt das Problem schon in der juristischen Ausbildung: „Wir sind darauf angewiesen, was Universitäten und Referendariate an Nachwuchskräften hervorbringen. Daher müssen wir früher ansetzen und die Diversität an den juristischen Fakultäten erhöhen. Das gilt auch für andere Diversity-Aspekte. Ist vielleicht die juristische Welt für Menschen mit Migrationshintergrund etc. nicht ansprechend genug und werden daher eher andere Studiengänge gewählt? Wir müssen in den Kanzleien und Unternehmen so attraktiv werden, dass es für Menschen aus Diversity-Sicht interessant wird, Jura zu studieren.“
Das hänge auch mit dem Problem des sogenannten Unconscious Bias zusammen, also unbewusster Voreingenommenheit. Dies erschwere Diversity, weiß Franziska Gräfin Grote, Counsel bei Orrick, Herrington & Sutcliffe: „Wir sind alle aufgrund unserer Rollenbilder von Vorurteilen gesteuert und richten unsere Entscheidungen und unser Verhalten daran aus. Wir brauchen dafür eine Bewusstseinsschärfung in Kanzleien und Unternehmen. So können wir viel ändern. Ein Beispiel für ein Unconscious Bias ist, dass Mütter, die ganztags arbeiten, auch heute noch oft anders beurteilt werden als arbeitende Väter. Auch in alltäglichen Situationen wird dasselbe Verhalten, zum Beispiel das Unterbrechen in einer Diskussionsrunde, bei Frauen häufiger als negativ eingestuft (zum Beispiel als vorlaut), während Männer dann als durchsetzungsstark angesehen werden. Dadurch müssen Frauen viel mehr Kraft aufwenden, um ernst genommen zu werden und aufzusteigen.“
In vielen Unternehmen gebe es bereits Seminare und Bewusstseins-Trainings zu Unconscious Bias, um sein Verhalten und zu treffende Entscheidungen zu hinterfragen, ob man auf dem richtigen Weg ist oder man einen Perspektivwechsel brauche, bemerkt Dr. Claudia Mayfeld. Man müsse offene Dialoge führen. Und Hengeler Mueller-Rechtsanwalt Dr. Norman Koschmieder sagt mit Blick auf seine Kanzlei: „Unconscious Bias-Seminare werden mit zunehmender Karrierestufe auch mit Blick auf das Recruiting immer wichtiger.“
Apropos juristische Ausbildung: Dr. Norman Koschmieder verweist auf Studien, dass Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund in der mündlichen Prüfung der juristischen Staatsexamina schlechter abschneiden. Er regt deshalb an, Prüfungskommissionen diverser zu besetzen. Dafür gibt Dr. Alexa Ningelgen ein Beispiel: „In meiner mündlichen Prüfung ging es um die Straftat eines Ausländers und der Prüfer sagte, dass ich das ja kennen müsste.“Sie fordert daher, dass sich mehr Anwälte in Prüfungsausschüssen engagierten, auch wenn es anstrengend sei: „Wenn man will, dass sich etwas verändert, muss man selbst Teil dieser Veränderung sein.“
Von verpflichtenden Quoten und vor allem der Reduzierung von Qualitätsanforderungen im Sinne der Diversity halten die Experten grundsätzlich nichts. Dr. Alexa Ningelgen sagt beispielsweise: „Niemand möchte die Quotenfrau sein, ich halte es aber übergangsweise für den richtigen Weg, um Frauen die Möglichkeit zu geben, solche Positionen zu besetzen. Wir sollten definitiv keine Abstriche bei der juristischen Exzellenz machen, um Stellen divers zu besetzen, sondern eher darüber nachdenken, bei der Karriereplanung weniger stark auf Elemente wie die abgerechneten Stunden zu schauen, wenn beispielsweise jemand ein Kind bekommt oder sich um Eltern gekümmert hat.“
Auch Dr. Norman Koschmieder ist im Allgemeinen gegen Quoten. Er fordert aber, dass sich in den Unternehmen widerspiegele, dass mehr als 50 Prozent der Gesellschaft weiblich sei. Die Frauenquote ist für ihn aus rechtlicher Sicht die Ultima Ratio, aber keinesfalls dürften in dem Zusammenhang Diversity-Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Bei Diversity handele es sich im Kern um die Herstellung von Chancengleichheit. Es müsse sichergestellt sein, dass man es auch mit Diversity-Hintergrund an die Spitze schaffen kann.
Einig sind die Anwälte in der Einschätzung, dass Diversity eine hohe wirtschaftliche Relevanz hat, sodass sich Kanzleien und Unternehmen aus betriebswirtschaftlicher Sicht beinahe zwingend mit Diversity strategisch auseinandersetzen müssen. Vor allem internationale Mandanten fordern diese Vielfalt und weisen in Ausschreibungen dezidiert darauf hin. So sagt beispielsweise Dr. Nikolas Hübschen (Uniper Global Commodities SE): „Abgesehen von der ethischen und sozialen Richtigkeit, ist Diversity auch eine unternehmerische Notwendigkeit. Gerade für unser internationales, diverses Geschäftsumfeld sind diverse Teams wichtig. Zudem wird das Thema zukünftig vermutlich auch Kapitalmarktrelevanz erhalten.“Prof. Dr. Dirk Uwer verweist auf das Beispiel New Yorker Private Equity-Firmen, die von ihren Beratern Auskünfte über Diversity-Faktoren erbäten, deren Beantwortung aber in Deutschland und der EU rechtlich schwierig sei, etwa im Hinblick auf die Datenschutzgrundverordnung.
Und generell ist es im Wettbewerb um die besten Talente unabdingbar, Diversity in der Unternehmenskultur zu verankern: In den nachwachsenden Generationen wird Diversität als selbstverständlicher Bestandteil einer Unternehmenskultur vorausgesetzt, sodass dies auch vom Arbeitgeber erwartet wird – gerade dann, wenn die Bewerber selbst zu einer diversen Gruppe gehören.
Prof. Dr. Dirk Uwer wirft letztlich auch die Frage auf, wie das konsentierte Ziel einer diversen Unternehmenskultur praktisch zu erreichen sei. Für Dr. Claudia Mayfeld ist Diversity eine Reise. Es braucht die Zustimmung des Top-Managements im Sinne von „Committment“und „tone from the top“und die Unterstützung der Mitarbeiter, die wiederum Diversity-Netzwerke bildeten. „Aus den Netzwerken kommt sehr oft wichtiger Input für die Organisationen, aus denen konkrete Maßnahmen oder Initiativen erwachsen können. Dann wird es normal, dass der Kulturwandel erfolgen kann. Es ist ein Marathon, kein Sprint.“Diese Bedeutung stellt auch Dr. Norman Koschmieder heraus: „Die Unterstützung durch die Partnerschaft ist das Entscheidende, um Diversity-Initiativen zu fördern. Diversity muss Managementaufgabe sein.“Dr. Tobias Larisch von Latham & Watkins betont in dem Zusammenhang, dass seine Kanzlei ein strukturiertes Programm entwickelt, um Anwälte mit diversem Hintergrund durch interne Mentoren zu fördern. Letztlich gehe es, so Dr. Alexa Ningelgen, bei der Diversity-Frage um die Schaffung eines Umfelds, „in dem sich alle wohlfühlen“.