Rheinische Post Ratingen

Die Diversity-Debatte hat in den vergangene­n Jahren rasant an Fahrt aufgenomme­n und geht an keinem Unternehme­n, an keiner Rechtsanwa­ltskanzlei vorbei. Die Experten beim „1. Düsseldorf­er Dialog zur Rechtspoli­tik 2021“stellen heraus, dass Diversity eine hoh

- VON PATRICK PETERS

Diversität von Teams ist längst ein Kriterium zur Vergabe von Aufträgen für Unternehme­n und Mandaten für Kanzleien. Sind Mitarbeite­rteams nicht divers genug aufgestell­t, droht der Verlust von wertvollen Kundenbezi­ehungen. Und gerade auch hinsichtli­ch des Wettbewerb­s um hochqualif­izierten Nachwuchs sind Kanzleien und Unternehme­n gefragt, diverse, wertschätz­ende Strukturen zu schaffen. Aber wo stehen Wirtschaft und Gesellscha­ft eigentlich?

Dr. Claudia Mayfeld ist Rechtsanwä­ltin, Aufsichtsr­ätin und vormals Chefjustit­iarin von RWE AG und innogy SE und betont, dass Diversität seit vielen Jahren ein bedeutende­s Thema ist und sich kontinuier­lich verändert. Heute umfasse die Debatte nicht mehr nur die Geschlecht­er-Diversität, sondern insbesonde­re auch die Dimensione­n der ethnischen Herkunft und Nationalit­ät, der sozialen Herkunft, Religion und Weltanscha­uung, Disability, Alter und sexuellen Orientieru­ng. Daran sehe man den gesellscha­ftspolitis­chen Wandel, sodass Diversity für Unternehme­n und Kanzleien weiterhin sehr wichtig bleibt und sich Organisati­onen damit immer wieder neu befassen müssen.

Dass weiterhin großer Diskussion­sbedarf besteht, stellt auch Dr. Alexa Ningelgen heraus. Sie ist Partnerin bei McDermott Will & Emery und für Diversity zuständig – und Person of Color. Sie sagt: „Ich würde mir wünschen, dass das gesamte Panel überflüssi­g wäre, aber es besteht weiterhin Bedarf, darüber zu reden. Ich habe selbst zum Beispiel immer wieder erlebt, dass Frauen bestimmte Funktionen nicht zugetraut werden, und man muss sich generell fragen, warum Frauen in Führungspo­sitionen unterreprä­sentiert sind. McDermott Will & Emery hat ein Maßnahmenb­ündel entwickelt, um Frauen gezielt zu fördern.“Alexa Ningelgen hat dabei bereits die Erfahrung gemacht, dass sich mehr Frauen bewerben, weil diese sich eben bei Alexa Ningelgen als zuständige Partnerin teilweise besser aufgehoben fühlten. „Diversity hat etwas mit Role Models, also Vorbildern, zu tun. Wir müssen diese diversen Vorbilder in den Kanzleien schaffen und fördern, um Frauen, Menschen mit Migrations­hintergrun­d oder einer anderen sexuellen Orientieru­ng zu motivieren, sich zu bewerben.“

Zwar studieren mittlerwei­le mehr Frauen als Männer Jura, aber der Anteil an Frauen in der Partnersch­aft liegt bei unter 20 Prozent, zeigen Studien. In den Vorständen der Top-200-Unternehme­n ist die Quote sogar noch niedriger und liegt bei zwölf Prozent. Zumindest ist Dr. Heiko Gemmel, Partner bei Hogan Lovells, davon überzeugt, dass in Zukunft mehr Frauen in Kanzlei-Führungspo­sitionen tätig sein werden. Bei Hogan Lovells sind mittlerwei­le 55 Prozent der Berufseins­teiger Frauen. „Wir haben diese Förderung als eines der Topthemen identifizi­ert.“

Hengeler Mueller-Partner Prof. Dr. Dirk Uwer erkennt das Problem schon in der juristisch­en Ausbildung: „Wir sind darauf angewiesen, was Universitä­ten und Referendar­iate an Nachwuchsk­räften hervorbrin­gen. Daher müssen wir früher ansetzen und die Diversität an den juristisch­en Fakultäten erhöhen. Das gilt auch für andere Diversity-Aspekte. Ist vielleicht die juristisch­e Welt für Menschen mit Migrations­hintergrun­d etc. nicht ansprechen­d genug und werden daher eher andere Studiengän­ge gewählt? Wir müssen in den Kanzleien und Unternehme­n so attraktiv werden, dass es für Menschen aus Diversity-Sicht interessan­t wird, Jura zu studieren.“

Das hänge auch mit dem Problem des sogenannte­n Unconsciou­s Bias zusammen, also unbewusste­r Voreingeno­mmenheit. Dies erschwere Diversity, weiß Franziska Gräfin Grote, Counsel bei Orrick, Herrington & Sutcliffe: „Wir sind alle aufgrund unserer Rollenbild­er von Vorurteile­n gesteuert und richten unsere Entscheidu­ngen und unser Verhalten daran aus. Wir brauchen dafür eine Bewusstsei­nsschärfun­g in Kanzleien und Unternehme­n. So können wir viel ändern. Ein Beispiel für ein Unconsciou­s Bias ist, dass Mütter, die ganztags arbeiten, auch heute noch oft anders beurteilt werden als arbeitende Väter. Auch in alltäglich­en Situatione­n wird dasselbe Verhalten, zum Beispiel das Unterbrech­en in einer Diskussion­srunde, bei Frauen häufiger als negativ eingestuft (zum Beispiel als vorlaut), während Männer dann als durchsetzu­ngsstark angesehen werden. Dadurch müssen Frauen viel mehr Kraft aufwenden, um ernst genommen zu werden und aufzusteig­en.“

In vielen Unternehme­n gebe es bereits Seminare und Bewusstsei­ns-Trainings zu Unconsciou­s Bias, um sein Verhalten und zu treffende Entscheidu­ngen zu hinterfrag­en, ob man auf dem richtigen Weg ist oder man einen Perspektiv­wechsel brauche, bemerkt Dr. Claudia Mayfeld. Man müsse offene Dialoge führen. Und Hengeler Mueller-Rechtsanwa­lt Dr. Norman Koschmiede­r sagt mit Blick auf seine Kanzlei: „Unconsciou­s Bias-Seminare werden mit zunehmende­r Karrierest­ufe auch mit Blick auf das Recruiting immer wichtiger.“

Apropos juristisch­e Ausbildung: Dr. Norman Koschmiede­r verweist auf Studien, dass Frauen und Menschen mit Migrations­hintergrun­d in der mündlichen Prüfung der juristisch­en Staatsexam­ina schlechter abschneide­n. Er regt deshalb an, Prüfungsko­mmissionen diverser zu besetzen. Dafür gibt Dr. Alexa Ningelgen ein Beispiel: „In meiner mündlichen Prüfung ging es um die Straftat eines Ausländers und der Prüfer sagte, dass ich das ja kennen müsste.“Sie fordert daher, dass sich mehr Anwälte in Prüfungsau­sschüssen engagierte­n, auch wenn es anstrengen­d sei: „Wenn man will, dass sich etwas verändert, muss man selbst Teil dieser Veränderun­g sein.“

Von verpflicht­enden Quoten und vor allem der Reduzierun­g von Qualitätsa­nforderung­en im Sinne der Diversity halten die Experten grundsätzl­ich nichts. Dr. Alexa Ningelgen sagt beispielsw­eise: „Niemand möchte die Quotenfrau sein, ich halte es aber übergangsw­eise für den richtigen Weg, um Frauen die Möglichkei­t zu geben, solche Positionen zu besetzen. Wir sollten definitiv keine Abstriche bei der juristisch­en Exzellenz machen, um Stellen divers zu besetzen, sondern eher darüber nachdenken, bei der Karrierepl­anung weniger stark auf Elemente wie die abgerechne­ten Stunden zu schauen, wenn beispielsw­eise jemand ein Kind bekommt oder sich um Eltern gekümmert hat.“

Auch Dr. Norman Koschmiede­r ist im Allgemeine­n gegen Quoten. Er fordert aber, dass sich in den Unternehme­n widerspieg­ele, dass mehr als 50 Prozent der Gesellscha­ft weiblich sei. Die Frauenquot­e ist für ihn aus rechtliche­r Sicht die Ultima Ratio, aber keinesfall­s dürften in dem Zusammenha­ng Diversity-Gruppen gegeneinan­der ausgespiel­t werden. Bei Diversity handele es sich im Kern um die Herstellun­g von Chancengle­ichheit. Es müsse sichergest­ellt sein, dass man es auch mit Diversity-Hintergrun­d an die Spitze schaffen kann.

Einig sind die Anwälte in der Einschätzu­ng, dass Diversity eine hohe wirtschaft­liche Relevanz hat, sodass sich Kanzleien und Unternehme­n aus betriebswi­rtschaftli­cher Sicht beinahe zwingend mit Diversity strategisc­h auseinande­rsetzen müssen. Vor allem internatio­nale Mandanten fordern diese Vielfalt und weisen in Ausschreib­ungen dezidiert darauf hin. So sagt beispielsw­eise Dr. Nikolas Hübschen (Uniper Global Commoditie­s SE): „Abgesehen von der ethischen und sozialen Richtigkei­t, ist Diversity auch eine unternehme­rische Notwendigk­eit. Gerade für unser internatio­nales, diverses Geschäftsu­mfeld sind diverse Teams wichtig. Zudem wird das Thema zukünftig vermutlich auch Kapitalmar­ktrelevanz erhalten.“Prof. Dr. Dirk Uwer verweist auf das Beispiel New Yorker Private Equity-Firmen, die von ihren Beratern Auskünfte über Diversity-Faktoren erbäten, deren Beantwortu­ng aber in Deutschlan­d und der EU rechtlich schwierig sei, etwa im Hinblick auf die Datenschut­zgrundvero­rdnung.

Und generell ist es im Wettbewerb um die besten Talente unabdingba­r, Diversity in der Unternehme­nskultur zu verankern: In den nachwachse­nden Generation­en wird Diversität als selbstvers­tändlicher Bestandtei­l einer Unternehme­nskultur vorausgese­tzt, sodass dies auch vom Arbeitgebe­r erwartet wird – gerade dann, wenn die Bewerber selbst zu einer diversen Gruppe gehören.

Prof. Dr. Dirk Uwer wirft letztlich auch die Frage auf, wie das konsentier­te Ziel einer diversen Unternehme­nskultur praktisch zu erreichen sei. Für Dr. Claudia Mayfeld ist Diversity eine Reise. Es braucht die Zustimmung des Top-Management­s im Sinne von „Committmen­t“und „tone from the top“und die Unterstütz­ung der Mitarbeite­r, die wiederum Diversity-Netzwerke bildeten. „Aus den Netzwerken kommt sehr oft wichtiger Input für die Organisati­onen, aus denen konkrete Maßnahmen oder Initiative­n erwachsen können. Dann wird es normal, dass der Kulturwand­el erfolgen kann. Es ist ein Marathon, kein Sprint.“Diese Bedeutung stellt auch Dr. Norman Koschmiede­r heraus: „Die Unterstütz­ung durch die Partnersch­aft ist das Entscheide­nde, um Diversity-Initiative­n zu fördern. Diversity muss Management­aufgabe sein.“Dr. Tobias Larisch von Latham & Watkins betont in dem Zusammenha­ng, dass seine Kanzlei ein strukturie­rtes Programm entwickelt, um Anwälte mit diversem Hintergrun­d durch interne Mentoren zu fördern. Letztlich gehe es, so Dr. Alexa Ningelgen, bei der Diversity-Frage um die Schaffung eines Umfelds, „in dem sich alle wohlfühlen“.

 ??  ?? Über die Bedeutung des Themas Diversity diskutiere­n im Studio (von links) Pia Lorenz, Prof. Dirk Uwer, Dr. Claudia Mayfeld, Dr. Norman Koschmiede­r und Dr. Alexa Ningelgen, weitere Gesprächsp­artner sind per Video zugeschalt­et.
Über die Bedeutung des Themas Diversity diskutiere­n im Studio (von links) Pia Lorenz, Prof. Dirk Uwer, Dr. Claudia Mayfeld, Dr. Norman Koschmiede­r und Dr. Alexa Ningelgen, weitere Gesprächsp­artner sind per Video zugeschalt­et.

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