Der grausame Irrweg eines Medizinpioniers
Ein neues Buch über Robert Koch gibt schockierende Einblicke über seine Experimente in Afrika und kratzt am Denkmal des Forschers.
Hatte Robert Koch tatsächlich einen Affen, der in wechselnden Uniformen Gästen in seiner Berliner Villa die Tür öffnete? Und war es wirklich Kochs Gärtner Witold, der seinen Pflanzen die besten Farbstoffe fürs Labor entlockte? Die Beantwortung dieser Fragen ist zweitrangig. Denn wer das neue Buch von Michael Lichtwarck-Aschoff einmal zu lesen begonnen hat, der wird es ohnehin nicht mehr zur Seite legen. In „Robert Kochs Affe“geht es um den Entdecker und Bekämpfer zahlreicher Krankheitserreger, den Nobelpreisträger und Weitgereisten. Um denjenigen, dessen Namen wir alle seit rund eineinhalb Jahren beinahe täglich im Pandemiebericht des nach ihm benannten Robert-Koch-Instituts hören.
Das Werk ist keine Fiktion. Es sind Episoden aus dem Leben des Gelehrten, die allesamt einen geschichtlich fundierten Kern haben. Aber der Autor und Arzt hat an der einen oder anderen Stelle Geschehnisse oder Aspekte hinzugefügt, die sich ereignet haben könnten. So gelingt Lichtwarck-Aschoff der Spagat vom reinen Sachbuch zum unterhaltsamen Lesestück.
Der Intensivmediziner nähert sich seinem Protagonisten auf drei verschiedenen zeitlichen Ebenen und an drei Orten. Es beginnt mit dem Sommer 1881, und schöner und schräger könnte man sich das Leben der damals Privilegierten im alten Berlin kaum vorstellen: Das Ehepaar Koch haust mit Affe Storm in einer großen Villa mit verwunschenem Garten, in dem der verschrobene Witold ebenso verschrobene Pflanzen hegt und pflegt. Witold ist Kochs „Mädchen für alles“– Gärtner, Laborgehilfe, Kräuterkundler.
Schon im ersten Teil des Buches bekommt das Denkmal Robert Koch erste Risse. Denn während der Hausherr in Trier dem Typhuserreger nachjagt, genießen seine Frau Emmi und die neu eingezogenen Mitbewohner das Sommerleben in der heimischen Garten-Dependance: Da wären der Mediziner Walther Hesse und seine Frau Fanny (die ihn auf die Idee für den perfekten Nährboden zur Anzucht von Bakterien bringt) sowie der Mediziner und spätere Nobelpreisträger Paul Ehrlich, Experte für Färbemethoden im Labor. Sie alle scheinen Koch wenig zu vermissen beim Genuss reifer Früchte und bei entspannten Abenden in lauer Sommerluft, an denen Kochs Ehefrau zur Unterhaltung sämtliche (an sie gerichtete) Briefe ihres Mannes vorliest.
Überhaupt erscheint Robert Koch zunächst eher als graue Maus denn als Lichtgestalt der Forschung. Seine erste Begegnung mit dem großen Gelehrten beschreibt Weggefährte Walther Hesse so: „Er war ja nicht größer als andere Männer seiner Zeit, im Gegenteil. Er passte in diese Zeit nur besser hinein als andere, größere.“Und an anderer Stelle heißt es: „Hesse fragte sich, warum es ihm so vorkam, als starre ihn ein furchtsamer Hirschkäfer durch die runden Brillengläser an.“
Der große Irrtum, auf den der Untertitel des Buches anspielt, wird schon zu Anfang deutlich: Wo Erreger sind, muss Krankheit sein. An dieser Theorie hielt Koch sein Leben lang unerschütterlich fest: „,Gesunde Bazillenträger, ich bitte Sie recht herzlich’, raunte Koch. Eine einzige Schweinerei sind diese gesunden Bazillenträger.“
Dieser fatale Irrglaube leitet ihn auch Jahre später bei seinen Expeditionen in die deutschen Kolonien. Unterstützt und finanziert von der deutschen Generalität, soll er in Deutsch-Ostafrika die Schlafkrankheit erforschen und ausrotten. Hintergedanke ist dabei weniger die Gesundung der Kranken, sondern ein seuchenfreies Schutzgebiet für die weitere Erschließung des Landes.
Der Leser lernt in dieser zweiten Episode Johann Kindsmüller kennen. Der ehemalige Soldat ist seit mehr als 20 Jahren als Patient in der Psychiatrie eingesperrt. Warum, das erfährt man nach und nach durch seine Gespräche mit dem behandelnden Arzt: Kindsmüller ist 1906 als Schreiber einem Begleittrupp Kochs bei dessen Afrika-Expedition zugeteilt. Er muss die medizinischen Versuche an den erkrankten Eingeborenen dokumentieren, später auch selbst mitmachen. Er berichtet von isolierten Kranken, die die deutschen Kolonialisten in einer Art Konzentrationslager („concentration camps“) einsperren – mit Holztäfelchen um den Hals, die ihren Untersuchungsstatus angeben. Er schildert unmenschliche Untersuchungsmethoden. Schmerz, Gewalt, Erniedrigungen. Das Unreine, Kranke muss isoliert und ausgerottet werden um jeden Preis, davon ist Koch überzeugt.
Schließlich lässt er den Eingesperrten das arsenhaltige Atoxyl spritzen. Die schweren Nebenwirkungen bis hin zur Erblindung der Behandelten nimmt der Expeditionsführer in Kauf. Sein Leitmotto
lautet: „Säubern und Entseuchen zuerst, die detaillierte Diagnose danach“. Die Behandlung fordert zahlreiche Opfer. Die schlichte und unverblümte Art und Weise, wie der traumatisierte Patient Kindsmüller das Leben im Lager und die Behandlung der Kranken schildert, lässt das medizinische Verbrechen umso drastischer erscheinen: „Außer an den steingrauen Handflächen erkennt man den Tod daran, dass Bremsen fehlen. Auf denen, die noch lebten, krochen morgens übersättigte Bremsen herum. Auf den Toten waren es blaue Fleischfliegen.“Autor Lichtwarck-Aschoff zitiert immer wieder aus Briefen und Aufzeichnungen Kochs. Sie lassen ihn als eitlen und unbelehrbareren Despoten erscheinen.
Letzter Szenenwechsel eines bewegten Lebens: Hier lässt der Autor eine Ärztin die Geschichte von Mary Mallon erzählen. Sie galt als „gesunder Träger“von Typhusbazillen und wurde deshalb 26 Jahre ihres Lebens in Isolation gesteckt. Robert Koch erlebt diese Geschichte 1908, zwei Jahre vor seinem Tod, selbst als Patient. Er ist nun kränklich und körperlich gebrochen. An seiner These der absoluten Reinheit als unerlässliche Voraussetzung für Gesundheit hält er fest – auch bei seiner eigenen Behandlung.
Dies ist ein Buch zwischen Geschichte und anregender Fiktion. Und ein Werk von bedrückender Aktualität. Den von Robert Koch so verabscheuten „gesunden Träger“kennen wir seit der Pandemie alle. Und es ist ein Buch, nach dessen Lektüre man sich unweigerlich die Frage stellt: Ist Robert Koch als Namensgeber für eine der führenden deutschen Institutionen wissenschaftlicher Expertise noch zeitgemäß?
„Eine einzige Schweinerei sind diese gesunden Bazillenträger“
Robert Koch