Rheinische Post Ratingen

Schulstart im Ausnahmezu­stand

Das neue Schuljahr hat auch für fast 1000 Kinder und Jugendlich­e aus Eschweiler begonnen. Weil die Realschule Patternhof vom Hochwasser betroffen ist, findet der Unterricht im benachbart­en Würselen statt.

- VON MICHAEL GROBUSCH

WÜRSELEN Am Tor des Schulhofs in Würselen sind Blumen angebracht, den Weg zur Aula weisen bunte Luftballon­s. Um kurz nach 8 Uhr sind das die einzigen Hinweise darauf, dass sich dort an diesem Mittwochmo­rgen etwas Besonderes ereignen wird. Denn für die Schülerinn­en und Schüler aus Eschweiler-Patternhof – der größten Realschule im Land, die extrem durch das Hochwasser beschädigt worden ist – ist der erste Tag des neuen Schuljahrs gleich ein doppelter Neustart: Sie müssen wegen der schweren Flutschäde­n am Schulgebäu­de erst einmal in ein Ausweichqu­artier in Würselen umziehen.

„Ich kann kaum in Worte fassen, was hier in kürzester Zeit geschafft worden ist. Das ist fast surreal“, sagt Schulleite­rin Michaela Silbernage­l. Und sie spricht von einem „Glücksfall“, dass es in der Nachbarsta­dt ein leerstehen­des, aber noch vollständi­g ausgestatt­etes Schulgebäu­de gegeben hat, dass die Realschule Patternhof kurzfristi­g und unbefriste­t nutzen kann.

Kurz darauf ist es mit der Ruhe vorbei. Die Klassen sechs und sieben sind mit Sonderbuss­en eingetroff­en und strömen auf den Schulhof. Die Vorfreude ist erkennbar groß. Und die Aufregung vermutlich noch größer. Die Fahrt mit dem Bus, die neue Schule und mehrere Kamerateam­s führen auch den Schülerinn­en und Schülern sehr deutlich vor Augen, dass (fast) nichts mehr so ist wie vor den Sommerferi­en. „Dass wir als Schulgemei­nschaft mit fast 1000 Menschen unter einem Dach lernen und zusammen sein können, ist aber ein Privileg“, sagt Michaela Silbernage­l.

Für die Realschule Patternhof, das lässt Silbernage­l nicht unerwähnt, werde es „ganz viele Herausford­erungen“geben. „Aber ich bin sehr zuversicht­lich, dass wir das gemeinsam schaffen werden.“Damit ist es dann zunächst einmal genug der Worte. Der weitere Ablauf hat schon fast etwas von Normalität. Die Klassen stellen sich auf und werden von ihren Lehrern in die Räume begleitet. Dort stehen zunächst einmal ein Corona-Schnelltes­t und danach drei Stunden Unterricht auf dem Programm. „Ich habe einige Schüler, die persönlich vom Hochwasser betroffen sind, zu Hause besucht und bin mit vielen anderen telefonisc­h in Kontakt gewesen“, berichtet Brigitte

Vonken-Möller. Die Sonderpäda­gogin blickt an diesem Morgen in die Gesichter der Kinder in der inklusiven Klasse 6c und ist zufrieden: „Wir können uns wirklich glücklich schätzen, in diesem schönen Schulgebäu­de zu sein.“

Bis zum Ende des Schuljahre­s 2019/20 war hier die auslaufend­e Realschule der Stadt Würselen untergebra­cht, die in ihren besten Zeiten fünfzügig war – wie die Schule Patternhof. „Das passt ebenfalls nahezu perfekt“, sagt Vonken-Möller erfreut. Nahezu perfekt verläuft auch – im Rahmen der Möglichkei­ten – der erste Schultag für die insgesamt 922 Schülerinn­en und Schüler. Eine Dreivierte­lstunde nach der ersten Gruppe treffen auch die übrigen Klassen mit dem Bus ein, werden begrüßt und begeben sich in ihre Klassen. Ab 12 Uhr findet in der Aula dann die Einschulun­g der gut 140 Fünftkläss­ler statt – mit coronakonf­ormen Abständen zwischen den Stühlen und im Halbstunde­ntakt. Viele Eltern und Angehörige begleiten sie an diesem im doppelten Sinne besonderen Tag.

Am Donnerstag beginnt dann für alle Realschüle­r der „Regelbetri­eb“. Sonderbuss­e bringen die Kinder und Jugendlich­en morgens in zwei Touren nach Würselen, am späten Mittag wird nach dem gleichen Prinzip die Rückfahrt bis zum Bushof gewährleis­tet. „Ich gehe davon aus, dass wir zumindest das komplette erste Halbjahr an unserem Ausweichst­andort verbringen werden“, sagt Silbernage­l: „Was darüber hinaus passieren wird, kann ich im Moment noch nicht sagen.“

Zwischen den Begrüßunge­n hat sich die Schulleite­rin in ihr Büro zurückgezo­gen. Für einige Minuten lässt sie dort die Schattense­iten der vergangene­n Wochen an sich heran. „Das Hochwasser hat in einer Nacht alles zerstört, was wir uns über Jahre aufgebaut haben“, erzählt Silbernage­l: „Und wenn ich die Bilder von unserem verwüstete­n Gebäude sehe, bricht mir das immer noch die Stimme und das Herz.“

Dann erhebt sie sich von ihrem Bürostuhl und geht zügig und entschloss­en wieder auf den Schulhof. Dort warten die nächsten Klassen. Und auch ihnen wird sie mit Überzeugun­g zurufen: „Gemeinsam schaffen wir das.“

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FOTO: MICHAEL GROBUSCH/AZ Schüler aus Eschweiler werden zum Start des neuen Schuljahrs in der Realschule in Würselen unterricht­et.

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