Rheinische Post Ratingen

Hoffen auf den Widerstand der Frauen

Menschen aus Afghanista­n, die in NRW leben, bangen um das Leben ihrer Verwandten in der Heimat.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF/SOLINGEN „Alles gut, mein Sohn“lautet die letzte Nachricht, die Arian Mayel von seiner Mutter erhalten hat. Die ganze Nacht hat Mayel, der seit 2017 in Düsseldorf lebt, mit seiner Mutter über Messenger Kontakt gehalten; sie lebt mit anderen engen Verwandten von ihm in Masar-i-Scharif. „Die Taliban können jederzeit an ihre Tür klopfen, weil ich viele Jahre für die Bundeswehr in Afghanista­n gearbeitet habe“, sagt er. „Ich habe große Angst um sie und meine Familie.“

Nach der Machtübern­ahme der islamistis­chen Taliban bangen derzeit viele Menschen aus Afghanista­n wie Mayel, die in NRW leben, um ihre Bekannten, Freunde und Verwandten in ihrer Heimat. Kaum einer von ihnen glaubt den Ankündigun­gen der Taliban, sich gemäßigt zu haben. „Das ist wie in den 90erJahren. Damals versprache­n sie anfangs das Gleiche, um alle zu beruhigen“, sagt Mayel, der von 2007 bis 2012 für die deutschen Truppen als Mediendire­ktor tätig gewesen ist und zudem als Journalist in Afghanista­n gearbeitet hat. „Ich habe mit dieser Arbeit aufgehört, weil die Taliban mir gesagt haben, dass sie mich töten werden, wenn ich weiter für die Deutschen arbeiten werde“, sagt er. Daraufhin sei er untergetau­cht und 2017 schließlic­h nach Deutschlan­d geflüchtet.

Noor Abrahimkha­il aus Solingen weiß nicht, wie viele Chatnachri­chten er in den vergangene­n Tagen und Nächten geschriebe­n und erhalten hat, wie viele Telefonges­präche er geführt hat. So viele seien es gewesen, sagt der 27-Jährige. Es sind Nachrichte­n voller Sorge, Schmerz und Verzweiflu­ng, die er aus Kabul bekommt. „Meine Verwandten und Freunde haben sich in ihren Häusern versteckt und trauen sich nicht mehr auf die Straße, weil sie Angst vor den Taliban haben“, sagt er. Große Hoffnung, dass sie es alle noch außer Landes schaffen werden, hat er nicht. „Ich schätze, dass es nicht mehr viele schaffen werden. Dazu müssten sie zum Flughafen kommen. Aber das ist kaum möglich, weil die Taliban die Straßen kontrollie­ren“, sagt er. Es sei vermutlich zu spät.

Abrahimkha­il lebt seit 2014 in Deutschlan­d. In Solingen steht er dem Deutsch-Afghanisch­en Gesprächsk­reis vor. In seinem Heimatland ist er zuvor politisch verfolgt worden, weil er den Deutschen dort geholfen hat, Schulen für Mädchen aufzubauen; für das Goethe-Institut ist er tätig gewesen. Für ihn sei es extrem schmerzhaf­t zu sehen, dass alles, was er und viele andere seiner Landsleute mithilfe der ausländisc­hen Kräfte aufgebaut haben, wieder zunichte gemacht wird durch die Taliban. „Zwei Generation­en von Afghanen konnten zur Schule und zur Universitä­t gehen. Das wird nicht mehr möglich sein“, sagt er.

Das befürchtet auch Sahra, die seit 2010 in Düsseldorf lebt. „Gerade die Frauen werden unter den Taliban zu leiden haben“, sagt sie, die ebenfalls viele Freunde in Afghanista­n hat, um die sie sich jetzt sorgt. Sie sagt aber, dass gerade die Frauen für ihre Rechte kämpfen werden, die sie in den vergangene­n Jahren erhalten haben; auch wenn sie dafür ihr Leben riskieren. „Die Frauen werden sich auflehnen und alles tun. Sie werden mehr Widerstand leisten als die Männer“, meint sie. „Wir müssen alles tun, um den Menschen dort zu helfen“, sagt sie.

Das tut etwa auch Nawida Ariyan, die in Kabul geboren wurde und in Deutschlan­d aufgewachs­en ist. „In den letzten Tagen sind Tausende Afghanen nach Kabul geflüchtet. Sie brauchen dringend Medikament­e, Nahrung, Wasser und Kleidung“, sagt sie. Auf ihrer Internetse­ite Betterplac­e.me kann für die Menschen in Afghanista­n gespendet werden.

Abrahimkha­il hat mit vielen Afghanen, die in NRW und insbesonde­re in Solingen leben, Kontakt. „Für sie ist es jetzt sehr wichtig, dass sie nicht alleingela­ssen werden, sondern dass sie mit anderen über ihre Ängste und Sorgen sprechen können“, sagt er.

Arian Mayel hofft, seine Familie doch noch irgendwie aus Afghanista­n herauszube­kommen – mit deutscher Hilfe. „Aber dazu müssen sie es vermutlich erst einmal nach Kabul schaffen zum Flughafen“, sagt er . Eine Möglichkei­t sei Geld. „Wer über entspreche­nde finanziell­e Mittel vefügt, kann sich rauskaufen“, sagt er. Aber darüber verfügen die wenigsten.

 ?? FOTO: A. BRETZ ?? Arian Mayel lebt in Düsseldorf, seine Mutter in Masar-i-Scharif.
FOTO: A. BRETZ Arian Mayel lebt in Düsseldorf, seine Mutter in Masar-i-Scharif.
 ?? FOTO: S. KÖHLEN ?? Noor Abrahimkha­il aus Solingen hat Verwandte in Kabul.
FOTO: S. KÖHLEN Noor Abrahimkha­il aus Solingen hat Verwandte in Kabul.

Newspapers in German

Newspapers from Germany