Hoffen auf den Widerstand der Frauen
Menschen aus Afghanistan, die in NRW leben, bangen um das Leben ihrer Verwandten in der Heimat.
DÜSSELDORF/SOLINGEN „Alles gut, mein Sohn“lautet die letzte Nachricht, die Arian Mayel von seiner Mutter erhalten hat. Die ganze Nacht hat Mayel, der seit 2017 in Düsseldorf lebt, mit seiner Mutter über Messenger Kontakt gehalten; sie lebt mit anderen engen Verwandten von ihm in Masar-i-Scharif. „Die Taliban können jederzeit an ihre Tür klopfen, weil ich viele Jahre für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet habe“, sagt er. „Ich habe große Angst um sie und meine Familie.“
Nach der Machtübernahme der islamistischen Taliban bangen derzeit viele Menschen aus Afghanistan wie Mayel, die in NRW leben, um ihre Bekannten, Freunde und Verwandten in ihrer Heimat. Kaum einer von ihnen glaubt den Ankündigungen der Taliban, sich gemäßigt zu haben. „Das ist wie in den 90erJahren. Damals versprachen sie anfangs das Gleiche, um alle zu beruhigen“, sagt Mayel, der von 2007 bis 2012 für die deutschen Truppen als Mediendirektor tätig gewesen ist und zudem als Journalist in Afghanistan gearbeitet hat. „Ich habe mit dieser Arbeit aufgehört, weil die Taliban mir gesagt haben, dass sie mich töten werden, wenn ich weiter für die Deutschen arbeiten werde“, sagt er. Daraufhin sei er untergetaucht und 2017 schließlich nach Deutschland geflüchtet.
Noor Abrahimkhail aus Solingen weiß nicht, wie viele Chatnachrichten er in den vergangenen Tagen und Nächten geschrieben und erhalten hat, wie viele Telefongespräche er geführt hat. So viele seien es gewesen, sagt der 27-Jährige. Es sind Nachrichten voller Sorge, Schmerz und Verzweiflung, die er aus Kabul bekommt. „Meine Verwandten und Freunde haben sich in ihren Häusern versteckt und trauen sich nicht mehr auf die Straße, weil sie Angst vor den Taliban haben“, sagt er. Große Hoffnung, dass sie es alle noch außer Landes schaffen werden, hat er nicht. „Ich schätze, dass es nicht mehr viele schaffen werden. Dazu müssten sie zum Flughafen kommen. Aber das ist kaum möglich, weil die Taliban die Straßen kontrollieren“, sagt er. Es sei vermutlich zu spät.
Abrahimkhail lebt seit 2014 in Deutschland. In Solingen steht er dem Deutsch-Afghanischen Gesprächskreis vor. In seinem Heimatland ist er zuvor politisch verfolgt worden, weil er den Deutschen dort geholfen hat, Schulen für Mädchen aufzubauen; für das Goethe-Institut ist er tätig gewesen. Für ihn sei es extrem schmerzhaft zu sehen, dass alles, was er und viele andere seiner Landsleute mithilfe der ausländischen Kräfte aufgebaut haben, wieder zunichte gemacht wird durch die Taliban. „Zwei Generationen von Afghanen konnten zur Schule und zur Universität gehen. Das wird nicht mehr möglich sein“, sagt er.
Das befürchtet auch Sahra, die seit 2010 in Düsseldorf lebt. „Gerade die Frauen werden unter den Taliban zu leiden haben“, sagt sie, die ebenfalls viele Freunde in Afghanistan hat, um die sie sich jetzt sorgt. Sie sagt aber, dass gerade die Frauen für ihre Rechte kämpfen werden, die sie in den vergangenen Jahren erhalten haben; auch wenn sie dafür ihr Leben riskieren. „Die Frauen werden sich auflehnen und alles tun. Sie werden mehr Widerstand leisten als die Männer“, meint sie. „Wir müssen alles tun, um den Menschen dort zu helfen“, sagt sie.
Das tut etwa auch Nawida Ariyan, die in Kabul geboren wurde und in Deutschland aufgewachsen ist. „In den letzten Tagen sind Tausende Afghanen nach Kabul geflüchtet. Sie brauchen dringend Medikamente, Nahrung, Wasser und Kleidung“, sagt sie. Auf ihrer Internetseite Betterplace.me kann für die Menschen in Afghanistan gespendet werden.
Abrahimkhail hat mit vielen Afghanen, die in NRW und insbesondere in Solingen leben, Kontakt. „Für sie ist es jetzt sehr wichtig, dass sie nicht alleingelassen werden, sondern dass sie mit anderen über ihre Ängste und Sorgen sprechen können“, sagt er.
Arian Mayel hofft, seine Familie doch noch irgendwie aus Afghanistan herauszubekommen – mit deutscher Hilfe. „Aber dazu müssen sie es vermutlich erst einmal nach Kabul schaffen zum Flughafen“, sagt er . Eine Möglichkeit sei Geld. „Wer über entsprechende finanzielle Mittel vefügt, kann sich rauskaufen“, sagt er. Aber darüber verfügen die wenigsten.