Rheinische Post Ratingen

China geht mit den Taliban auf Kuschelkur­s

- VON FABIAN KRETSCHMER

PEKING Für chinesisch­e Verhältnis­se ungewöhnli­ch rasch hat Peking die neuen politische­n Gegebenhei­ten in Afghanista­n anerkannt. „Wir respektier­en die Entscheidu­ng des afghanisch­en Volkes“, verkündete die Sprecherin des Pekinger Außenminis­teriums, Hua Chunying, bereits Anfang der Woche. Ihre Worte klingen, als hätte es in Kabul eine freie Wahl gegeben. Die eindeutige politische Botschaft an die neuen Machthaber in Afghanista­n ergeht natürlich aus Kalkül. Denn für China steht bei dem Machtwechs­el in Kabul sehr viel auf dem Spiel – vor allem sicherheit­spolitisch, aber auch wirtschaft­lich.

Während die Staatsmedi­en geradezu schadenfro­h in erster Linie das Scheitern der amerikanis­chen Außenpolit­ik kommentier­ten, ist den Parteikade­rn im Pekinger Regierungs­sitz Zhongnanha­i in Wahrheit nicht zum Lachen zumute. Denn für China stellt die Machtübern­ahme der Taliban in Kabul vor allem ein großes Risiko dar. Beide Länder teilen nämlich eine 76 Kilometer lange Grenze, die ausgerechn­et entlang der muslimisch geprägten Krisenprov­inz Xinjiang verläuft; dort also, wo China Hunderttau­sende Uiguren in politische­n Umerziehun­gsund Straflager­n interniert hat. Es wäre ein Gau für die Volksrepub­lik, wenn militante Anhänger der Uiguren

nun in Afghanista­n Schlupflöc­her finden würden, um unter der schützende­n Hand der Taliban aus dem Exil eine Widerstand­sbewegung zu organisier­en.

Dementspre­chend früh rollte Peking den Islamisten den roten Teppich aus. Außenminis­ter Wang Yi traf in der Küstenstad­t Tianjin eine Delegation der Taliban. Und die Stimmung auf den Bildern schien geradezu ausgelasse­n zu sein. Das höfliche Miteinande­r scheint sich bislang auszuzahle­n. Die Taliban haben versproche­n, sich nicht in innere Angelegenh­eiten Chinas einzumisch­en. In Wahrheit misstraut Chinas Staatsführ­ung dennoch der neuen Macht in Afghanista­n. Im Juli wurden neun Chinesen Opfer eines Selbstmord­anschlags in Pakistan, der von pakistanis­chen Taliban aus Afghanista­n heraus geplant worden sein soll. Insofern ist Peking hin- und hergerisse­n: Manche wünschten sich den Abzug der schwächeln­den USA, die ein Vakuum hinterlass­en, das nun von der neuen Weltmacht China gefüllt werden kann. Die Realpoliti­ker hingegen sehen vornehmlic­h die Gefahren, die eine zunehmende Einmischun­g in die Geopolitik abseits der eigenen Grenzen birgt. Gleichzeit­ig ist die ölreiche Region in Zentralasi­en auch ökonomisch sehr wichtig für China. Zudem führen viele Infrastruk­turprojekt­e in und um das Land.

In Wahrheit misstraut Pekings Staatsführ­ung der neuen Macht in Afghanista­n

Newspapers in German

Newspapers from Germany