Der Bedeutungsverlust der Verlängerung
Die Uefa hat die Auswärtstorregel zu dieser Saison abgeschafft. Ein Blick in die Daten legt eine Vermutung nahe: Die Extraspielzeit wird zunehmend irrelevanter und Europapokalspiele könnten noch länger dauern.
DÜSSELDORF Der Fußball der vergangenen Monate wird sicherlich in vielerlei Hinsicht in Erinnerung bleiben. Die in die Hose gegangenen Super-League-Pläne, die Europameisterschaft quer über einen Pandemie-Kontinent verteilt oder die Frage, wie viele Zuschauer wieder in die Stadien zurückkehren dürfen. Doch es gibt einen speziellen Aspekt im Fußball, der das Augenmerk der Fans ganz besonders auf sich lenkte, vor allem bei der Europameisterschaft: die Frage, wie nach einem Remis nach 90 Minuten ein Spiel letztlich einen Sieger findet. Ist es eigentlich noch die Verlängerung von zweimal 15 Minuten, in der die Teams ihren Vorteil suchen oder ist diese Zugabe nur eine zähe, unnötige Verlängerung bis zur Lotterie des Elfmeterschießens?
Dieser Frage wollen wir in diesem Text nachgehen, weil sie zudem von besonderer Aktualität geprägt ist. Denn der europäische Fußballverband Uefa hat zu angelaufenen Saison in den K.-o.-Spielen der verschiedenen Europapokal-Wettbewerbe die Auswärtstorregel abgeschafft. Also die Regel, die im Fußball 1965 einführte wurde, um eine Entscheidung möglichst ohne eine Verlängerung oder damals noch ein Wiederholungsspiel zu erzwingen, und die einem auswärts erzielten Tor insofern eine größere Bedeutung zumaß, als beispielsweise nach einem 2:0-Heimsieg im Hinspiel ein 1:3 im Rückspiel in der Fremde zum Weiterkommen nach zweimal 90 Minuten reichte. Doch damit ist nun Schluss. Ab sofort gibt es nach einem 2:0 im Hin- und einem 1:3 im Rückspiel – genau: Verlängerung – das gilt schon in diesen Wochen in den Qualifikationsrunden zur Champions-, Europa- und Conference League.
Die Frage ist nun: Wird die veränderte Regel die Wahrscheinlichkeit tatsächlich verändern, ob ein Spiel in der Verlängerung oder erst im Elfmeterschießen entschieden wird? Dazu hat sich unsere Redaktion alle Partien angeschaut, die in den Spielzeiten von 2016/17 bis 2020/21 in der Champions League, in der Europa League, im DFB-Pokal oder bei EM oder WM nach 90 Minuten bzw, nach Hin- und Rückspiel unentschieden standen. Die Gesamtauswertung lässt dabei noch keine eindeutige Schlussfolgerung zu: 106 Partien benötigten im genannten Zeitraum in den genannten Wettbewerben Überstunden, 53 davon fanden in der Verlängerung einen Sieger, 53 erst im Elfmeterschießen – also eine Verteilung 50:50.
Aussagekräftiger wird es da schon, wenn man sich nur die beiden Uefa-Wettbewerbe Champions League und Europa League anschaut, in denen ja die Auswärtsregel griff und nach Hin- und Rückspiel nur dann kein Sieger feststand, wenn beide Partien exakt gleich bzw. „spiegelverkehrt“ausgegangen waren.
Hier schlug das Pendel dann auch ganz klar hin zu einer Entscheidung nach Verlängerung aus: In der Champions League war das viermal in vier Spielen der Fall, in der Europa League elfmal in 14 Spielen. Der Grund liegt auf der Hand: Schon ein einziges erzieltes Tor, egal von welcher Seite erzielt, schließt ein Elfmeterschießen aus.
Bei den WM- und EM-Spielen (sieben nach Verlängerung, elf erst im Elfmeterschießen entschieden) sowie den DFB-Pokal-Partien (31 nach Verlängerung, 39 nach Elfmeterschießen) im genannten Zeitraum hielten sich beide Entscheidungswege die Waage.
Was bedeutet nun also die Abschaffung der Auswärtstorregel? Nun, dazu wird die laufende Saison erste Erkenntnisse liefern. Aber der Blick zurück lässt zumindest vermuten, dass die K.-o.-Spiele ab dieser Saison lange Veranstaltungen und Entscheidungen auf das Elfmeterschießen vertagt werden.