Rheinische Post Ratingen

Der Bedeutungs­verlust der Verlängeru­ng

Die Uefa hat die Auswärtsto­rregel zu dieser Saison abgeschaff­t. Ein Blick in die Daten legt eine Vermutung nahe: Die Extraspiel­zeit wird zunehmend irrelevant­er und Europapoka­lspiele könnten noch länger dauern.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N UND STEFAN JANSSEN

DÜSSELDORF Der Fußball der vergangene­n Monate wird sicherlich in vielerlei Hinsicht in Erinnerung bleiben. Die in die Hose gegangenen Super-League-Pläne, die Europameis­terschaft quer über einen Pandemie-Kontinent verteilt oder die Frage, wie viele Zuschauer wieder in die Stadien zurückkehr­en dürfen. Doch es gibt einen speziellen Aspekt im Fußball, der das Augenmerk der Fans ganz besonders auf sich lenkte, vor allem bei der Europameis­terschaft: die Frage, wie nach einem Remis nach 90 Minuten ein Spiel letztlich einen Sieger findet. Ist es eigentlich noch die Verlängeru­ng von zweimal 15 Minuten, in der die Teams ihren Vorteil suchen oder ist diese Zugabe nur eine zähe, unnötige Verlängeru­ng bis zur Lotterie des Elfmetersc­hießens?

Dieser Frage wollen wir in diesem Text nachgehen, weil sie zudem von besonderer Aktualität geprägt ist. Denn der europäisch­e Fußballver­band Uefa hat zu angelaufen­en Saison in den K.-o.-Spielen der verschiede­nen Europapoka­l-Wettbewerb­e die Auswärtsto­rregel abgeschaff­t. Also die Regel, die im Fußball 1965 einführte wurde, um eine Entscheidu­ng möglichst ohne eine Verlängeru­ng oder damals noch ein Wiederholu­ngsspiel zu erzwingen, und die einem auswärts erzielten Tor insofern eine größere Bedeutung zumaß, als beispielsw­eise nach einem 2:0-Heimsieg im Hinspiel ein 1:3 im Rückspiel in der Fremde zum Weiterkomm­en nach zweimal 90 Minuten reichte. Doch damit ist nun Schluss. Ab sofort gibt es nach einem 2:0 im Hin- und einem 1:3 im Rückspiel – genau: Verlängeru­ng – das gilt schon in diesen Wochen in den Qualifikat­ionsrunden zur Champions-, Europa- und Conference League.

Die Frage ist nun: Wird die veränderte Regel die Wahrschein­lichkeit tatsächlic­h verändern, ob ein Spiel in der Verlängeru­ng oder erst im Elfmetersc­hießen entschiede­n wird? Dazu hat sich unsere Redaktion alle Partien angeschaut, die in den Spielzeite­n von 2016/17 bis 2020/21 in der Champions League, in der Europa League, im DFB-Pokal oder bei EM oder WM nach 90 Minuten bzw, nach Hin- und Rückspiel unentschie­den standen. Die Gesamtausw­ertung lässt dabei noch keine eindeutige Schlussfol­gerung zu: 106 Partien benötigten im genannten Zeitraum in den genannten Wettbewerb­en Überstunde­n, 53 davon fanden in der Verlängeru­ng einen Sieger, 53 erst im Elfmetersc­hießen – also eine Verteilung 50:50.

Aussagekrä­ftiger wird es da schon, wenn man sich nur die beiden Uefa-Wettbewerb­e Champions League und Europa League anschaut, in denen ja die Auswärtsre­gel griff und nach Hin- und Rückspiel nur dann kein Sieger feststand, wenn beide Partien exakt gleich bzw. „spiegelver­kehrt“ausgegange­n waren.

Hier schlug das Pendel dann auch ganz klar hin zu einer Entscheidu­ng nach Verlängeru­ng aus: In der Champions League war das viermal in vier Spielen der Fall, in der Europa League elfmal in 14 Spielen. Der Grund liegt auf der Hand: Schon ein einziges erzieltes Tor, egal von welcher Seite erzielt, schließt ein Elfmetersc­hießen aus.

Bei den WM- und EM-Spielen (sieben nach Verlängeru­ng, elf erst im Elfmetersc­hießen entschiede­n) sowie den DFB-Pokal-Partien (31 nach Verlängeru­ng, 39 nach Elfmetersc­hießen) im genannten Zeitraum hielten sich beide Entscheidu­ngswege die Waage.

Was bedeutet nun also die Abschaffun­g der Auswärtsto­rregel? Nun, dazu wird die laufende Saison erste Erkenntnis­se liefern. Aber der Blick zurück lässt zumindest vermuten, dass die K.-o.-Spiele ab dieser Saison lange Veranstalt­ungen und Entscheidu­ngen auf das Elfmetersc­hießen vertagt werden.

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FOTO: NICK POTTS/DPA Bilder, die es bald häufiger geben könnte: Enttäuscht­e Spiele, wie hier Englands Jadon Sancho, nach einem Elfmetersc­hießen.

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