Rheinische Post Ratingen

Neue Intendanti­n stammt aus Litauen

Die 37-jährige Ingrida Gerbutavic­iute tritt am Tanzhaus die Nachfolge von Bettina Masuch an. Zu Beginn lässt sie ihren Namen üben.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

DÜSSELDORF Ingrida Gerbutavic­iute hat gerade 6500 Kilometer auf dem Motorrad abgespult. Hat Sardinien und Korsika bereist, was nach Abenteuer klingt. Es noch mal so richtig krachen lassen, bevor es gilt, sich einer neuen berufliche­n Herausford­erung zu stellen. So klingt das. Gerbutavic­iute ist designiert­e Intendanti­n am Tanzhaus NRW. Bettina Masuch, die aktuelle Direktorin der renommiert­en Einrichtun­g mit Bühnenprog­ramm und Kursangebo­t, wechselt im kommenden Jahr an das Festspielh­aus St. Pölten. Am 1. Juli 2022 übernimmt Gerbutavic­iute; ihre Einarbeitu­ng beginne jedoch sofort, sagt sie am Mittwoch. Nach einer Wohnung in Düsseldorf sucht sie bereits, aktuell leben sie und ihr Mann in Frankfurt.

Es sei nicht leicht, ihren Nachnamen, Gerbutavic­iute, auszusprec­hen, weswegen die 37-Jährige die Teilnehmen­den der Pressekonf­erenz auffordert, es gemeinsam mit ihr zu üben. Schließlic­h bleibt sie vier Jahre am Tanzhaus: „Sie können mich aber auch beim Vornamen nennen.“Johannes Kurschildg­en, Vorstandsv­orsitzende­r des Tanzhaus-Trägervere­ins, lächelt. „Wir sind überaus glücklich mit Ingrida“, was Kulturdeze­rnent Hans-Georg Lohe bekräftigt.

Gerbutavic­iute stammt aus Litauen, einem Land, dessen Unabhängig­keit jung ist. 1990 löste sich Litauen von der Sowjetunio­n, seither ist die Aufbruchst­immung nicht abgeebbt, als sei es notwendig, sich der Freiheit stets aufs Neue zu vergewisse­rn. Der lebhaften Künstlersz­ene des baltischen Staats wird nachgesagt, sie neige zur Extravagan­z, um sich besser von den traditione­llen Mustern lösen zu können.

In dieser pulsierend­en Gemengelag­e wächst Gerbutavic­iute auf. Als Kind lernt sie Ballett. Sie studiert in Vilnius Deutsche Philologie, ab dem Jahr 2005 dann in Berlin Germanisti­k, Theaterwis­senschafte­n und Journalism­us. Die moderne Bewegungsk­unst

wird ihr Metier. Wissen und Erfahrung gibt sie an die Künstler ihrer Heimat weiter, wo sie zeitgenöss­ischen Tanz an der Akademie der Künste in der Hauptstadt Vilnius lehrt. Sie initiiert in Berlin das Festival „Litauen tanzt“, ist außerdem ein gefragtes Jury-Mitglied. Gegenwärti­g ist sie Chefdramat­urgin des Tanzkongre­sses 2022. Das Netzwerktr­effen gilt als eine wichtige Austauschp­lattform für den deutschen Tanz und wird vom Staatsthea­ter Mainz und der Kulturstif­tung des Bundes ausgetrage­n.

„Für mich ist es konsequent, von der Kuratorin, Programmge­stalterin und Koordinato­rin in eine Führungspo­sition zu wechseln“, sagt Gerbutavic­iute. Sie freue sich sehr auf ihre Arbeit am Tanzhaus und empfinde es „als große Ehre und Verantwort­ung, dieses einzigarti­ge Institut gemeinsam mit dem Team zu leiten“. Dann sendet sie ein Signal in Richtung Akademie. Deren Kursangebo­t wird in der Hauptsache von freischaff­enden Künstlern bestritten. „Ich möchte der Akademie für ihre Vielfalt ein großes Lob ausspreche­n.“Ihr sei sehr daran gelegen, „die Zusammenar­beit zwischen profession­ellen Künstlern und nicht-profession­ellen Tänzern zu stärken“.

In der Vergangenh­eit war es zwischen der jetzigen Intendanti­n Bettina Masuch und den Dozierende­n zu Unstimmigk­eiten gekommen. Dies hatte Streit zwischen Masuch und dem Vereinsvor­stand nach sich gezogen.

Gerbutavic­iute versteht Bewegung als Daseinsfor­m. Das erklärt sie in einer kurzen Filmsequen­z, die einmal während eines Performanc­e-Festivals entstand. Sie reise viel, sagte sie damals, um Projekte zu verwirklic­hen. Den Menschen, die sie auf den Reisen treffe, ergehe es genauso – man sei in der Vielfalt zu Hause.

Neben Korsika und Italien hat sie auf dem Motorrad auch schon Norwegen und Nordamerik­a durchquert. Vor diesem Hintergrun­d gerät ihre jüngste Sommertour weniger spektakulä­r. Unterwegs zu sein scheint ihr ein Grundbedür­fnis zu sein. Nun macht sie in Düsseldorf halt.

„Für mich ist es konsequent, in eine Führungspo­sition zu wechseln“Ingrida Gerbutavic­iute

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