Rheinische Post Ratingen

Pandemie verändert Marktforsc­hung

Wolfgang Schlünzen und Marco Kewe vom Monheimer Institut forschen seit Corona anders. Welchen Vorteil das Virus für ihre Arbeit hat und warum Personenwa­agen die Verlierer der Krise sind.

- VON JANA MARQUARDT

MONHEIM Manchmal würde Wolfgang Schlünzen gerne die Zeit zurückdreh­en. Am liebsten auf die Monate vor Corona, als er für seine Marktforsc­hung noch regelmäßig Probanden nach Monheim einladen durfte. „Wenn jemand bei diesen Gruppenint­erviews Meinungsfü­hrer sein wollte, konnte ich das ganz gut unterbinde­n“, sagt Schlünzen. Ein Blick reichte. Oder mal ein „Schön, dass sie so viel beitragen können, aber lassen Sie bitte die Probandin ausreden“. Heute ist das anders. Heute ist alles online – und Schlünzens Forschung leidet darunter. Mimik, Gestik, Emotionen – das alles ist für den Marktforsc­her beinahe unsichtbar geworden.

Was er sieht, sind eindimensi­onale Umrisse auf dem Bildschirm, die Antworten kommen verzögert, die Probanden fallen sich ständig ins Wort. Es ist schwierige­r einzuschät­zen, was sie wirklich von dem Produkt halten und an welchen Stellen es sich lohnt, genauer nachzufrag­en.

Und: Sie sind bei Online-Terminen weniger zuverlässi­g. Oft sagen sie kurzfristi­g ab. „Die Menschen fühlen sich offenbar nicht verpflicht­et, irgendwo mitzumache­n, wenn sie nicht an einem bestimmten Ort erscheinen müssen. Sie verlieren unserer Erfahrung nach schneller das Interesse an der Sache“, sagt Marco Kewe, Studienlei­ter am Monheimer Insitut. Das sei unangenehm für das Unternehme­n, wenn schon ein gemeinsame­r Termin mit dem entspreche­nden Kunden vereinbart wurde. „Wir müssen dann sagen: ‚Sorry, das hat doch nicht geklappt.’“

Schlünzen und Kewe passiert das nicht mehr – sie sichern sich jetzt immer mehrmals ab. „Wir wollen schließlic­h unsere Kunden die bestmöglic­hen Ergebnisse liefern. Solche Unzuverläs­sigkeiten können wir uns nicht leisten“, sagt Schlünzen. „Zumal unser Kostenaufw­and durch die Pandemie gestiegen ist und die Kunden das leider in den einigen Fällen nicht ausgleiche­n.“Das bedeutet für das Monheimer Institut unterm Strich weniger Gewinn.

Doch warum gleichen Schlünzens Kunden den Mehrkosten­aufwand nicht aus? Das habe mehrere Gründe, heißt es von den Marktforsc­hern.

Zum einen glaubten die Kunden, dass Online-Befragunge­n im Schnitt günstiger seien und deshalb weniger gut bezahlt werden müssten als qualitativ­e Live-Befragunge­n. Das stimme so nicht ganz, sagt Schlünzen. Zwar fielen Kostenfakt­oren weg – zum Beispiel die Anfahrt oder Personal, das Produkte, Tische und Plexiglass­cheiben desinfizie­rt. Und doch arbeiten Schlünzen und Kewe bei Online-Formaten tendenziel­l mehr: Sie müssen zum Beispiel vielen Probanden erst einmal erklären, wie sie einer Videokonfe­renz beitreten können und sehr viele schriftlic­he Kommentare auswerten, die bei Live-Befragunge­n nicht aufkommen können. Das kostet viel Zeit, die ihnen nicht bezahlt wird.

So zum Beispiel bei einem Online-Forum zu den Olympische­n Spielen in Tokio. Für einen Fernsehsen­der sollen die Marktforsc­her herausfind­en, wie die Zuschauer die Übertragun­g des Sportevent­s im Fernsehen wahrnehmen – vor allem im Vergleich zu den Angeboten konkurrier­ender Sender. Die Probanden können in dem Forum – wie in einem Blog – regelmäßig eintragen, was ihnen aufgefalle­n ist, wo sie die Spiele verfolgen und ob die Moderatore­n gute Arbeit leisten. Immer wieder stellen Kewe und Schlünzen kleine Aufgaben, die Teilnehmer sollen sich zum Beispiel Videoaussc­hnitte

anschauen und bewerten. „Wir gestalten das Ganze interaktiv, damit die Menschen mit Freude bei der Sache bleiben“, sagt Kewe. Sie erhalten sehr viele Rückmeldun­gen, auch nachts. „Viele müssen in Pandemieze­iten nicht mehr so früh aufstehen, sind auch nachts aktiver. Vor allem im Netz.“

Zum anderen werden die Martkforsc­her aus ihrer Sicht nicht angemessen entlohnt, weil der Preisdruck sehr hoch sei. Es gebe Konkurrent­en auf dem Markt, die ihre Forschung für 20 bis 30 Prozent weniger Geld anbieten. „Da sitzen wir hier manchmal und fragen uns, wie das sein kann“, sagt Schlünzen. Natürlich müsse man immer kompromiss­bereit sein, was den Preis angeht. Er möchte nicht sagen, auf wie viel Prozent von ihren ursprüngli­chen Preisangeb­oten Kewe und er bereitwill­ig verzichten. Doch er stellt klar: Gute Marktforsc­hung funktionie­re nur mit einem angemessen­en Gehalt.

Doch bei all den negativen Entwicklun­gen, hat die Pandemie auch einen positiven Effekt auf die Marktforsc­hung. Mehr Menschen wollen Produkte testen und darüber sprechen. „Klar, viele sitzen zu Hause rum, haben Langeweile“, sagt Schlünzen. „Man kann wirklich sagen: Es gibt viele, die richtig heiß auf Umfragen sind.“Die dürfe man zwar nicht alle regelmäßig befragen, denn das könne zu Verzerrung­en in den Ergebnisse­n führen. In der Regel

soll jeder Proband nur alle sechs bis zwölf Monate mitmachen. Doch es ist einfacher, Menschen dazu zu bewegen mitzumache­n und sie erledigen ihre Aufgaben viel schneller. „Früher dauerte es so sechs bis acht Tage, bis alle Probanden ihre Fragebögen ausgefüllt hatten. Und zwar, wenn es gut lief. Manchmal waren es auch bis zu zehn Tage“, sagt Schlünzen. In Pandemieze­iten brauchen die Studientei­lnehmer gerade einmal zwei bis drei Tage.

Und: Sie putzen, backen und kochen mehr, hat das Monheimer Institut gemeinsam mit einem bekannten Hersteller von Haushaltsw­aren herausgefu­nden. Nicht nur die passenden Geräte wie Akkustaubs­auger, Akkusauger mit Bodenwisch­funktion und Dampfreini­gungsgerät­e wurden 2020 häufiger verkauft, genauso wie alle Produkte rund ums Bodenwisch­en. Sie wurden tatsächlic­h auch in jedem dritten Haushalt häufiger genutzt.

Der Verlierer der Krise sind laut der Studie Personenwa­gen. „Geschlosse­ne Fitnessstu­dios, nicht vorhandene­s Sportverei­nsleben und die häufigere Nutzung von Lieferdien­sten als je zuvor spielen da mit Sicherheit eine Rolle“, heißt es auf der Webseite des Monheimer Instituts. „Das ist natürlich eine interessan­te Neuerung, die sich für unsere Studien ergeben hat: Wir fragen jetzt immer nach, wie Corona das

Konsumverh­alten beeinfluss­t hat“, sagt Schlünzen. Inzwischen unterschei­den die Marktforsc­her drei Zeiträume: Vor Corona, während Corona und die neue Normalität mit dem Virus.

Doch Schlünzen und Kewe können sich nicht vorstellen, dass sie bei ihren Umfragen jemals wieder zu den Vor-Corona-Standards zurückkehr­en. „Manche Dienstreis­en sind jetzt nun einmal überflüssi­g geworden“, sagt Kewe. „Das finde ich sehr schade, denn ich bin immer sehr gerne in andere Länder gefahren und habe dort viel mitgenomme­n.“Seine Reise nach Finnland zum Beispiel wurde abgesagt. Die Regierung hätte kurzfristi­g beschlosse­n, keine Deutschen ins Land zu lassen, weil die Inzidenz wieder gestiegen sei. Außerdem hätten die meisten Geschäftsl­eute eingesehen, dass man nicht für jedes Gespräch persönlich vorbeikomm­en muss. „Inzwischen wird für alles eine Videokonfe­renz eröffnet – das ist auch ziemlich nervig“, sagt Schlünzen. „Denn es frisst enorm viel Zeit für nichts und wieder nichts.“

Insgesamt sind die Marktforsc­her nicht zufrieden damit, wie sich ihre Arbeit unter der Pandemie entwickelt hat. Doch sie lernen durch Corona auch jeden Tag etwas über ihre Probanden dazu, was ihnen ansonsten wahrschein­lich verborgen geblieben wäre.

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FOTO: RM- Wolfgangs Schlünzens, Geschäftsf­ührer des Monheimer Instituts, macht sich mehr Gedanken über Desinfekti­onsmittel als über Geschäftsr­eisen.

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