Rheinische Post Ratingen

Wenn China am Vorstandst­isch sitzt

Der Staat ist bei der Tiktok-Mutter eingestieg­en – vermutlich inklusive Vetorecht. Das gibt der Debatte um die App neue Nahrung. Chinesisch­es Start-up macht Milliarden­gewinne

- VON FABIAN KRETSCHMER

PEKING Glaubt man Donald Trump, war die immens beliebte Video-App Tiktok keineswegs nur eine Online-Plattform für Jugendlich­e mit Selbstdars­tellungsdr­ang, sondern vielmehr eine potenziell­e Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA. Sein Nachfolger Joe Biden hingegen ließ das geplante Verbot der Plattform stoppen: Die Mutterfirm­a Bytedance konnte überzeugen­d argumentie­ren, dass die chinesisch­e Regierung keinen Einfluss auf ihren internatio­nalen Betrieb ausübt.

Doch nun, nur wenige Monate später, flammt die Debatte erneut auf, wobei das chinesisch­e Technologi­e-Start-up in immer größere Erklärungs­not gerät. Denn wie das Nachrichte­nportal „The Informatio­n“berichtete, ist der chinesisch­e Parteistaa­t inzwischen direkt in den Internetko­nzern eingestieg­en. Seit Ende April hält die Volksrepub­lik eine Beteiligun­g von einem Prozent an der Firma Beijing Bytedance

Technology. Was zunächst harmlos klingt, dürfte vor allem eine Art trojanisch­es Pferd für den viel entscheide­nderen Machthebel darstellen: Die Regierung kann zu den bereits amtierende­n Vorstandsm­itgliedern ein drittes ernennen – und hat damit ein potenziell­es Vetorecht bei allen unternehme­rischen Entscheidu­ngen.

Auch Weibo, die Betreiberf­irma des wohl populärste­n Mikroblogs Chinas, ist in ähnlicher Weise von einem Staatseins­tieg betroffen. Hier hat sich die Regierung bereits vor einem Jahr ein Prozent Eigentum und die Ernennung eines Vorstandsc­hefs gesichert. „Die Unternehme­n können es sich nicht leisten, gegen den Willen einer mächtigen Regulierun­gsbehörde zu handeln“, sagt Victor Shih, Professor an der University of California und Experte für Chinas Finanzpoli­tik, laut dem „The Informatio­n“-Bericht. Die mit Abstand wichtigste Stimme habe der von der Regierung ernannte Vorstand. Zudem, so Shihs Befürchtun­g,

könnte Chinas Regierung mit ihrer Infiltrier­ung versuchen, Diskussion­en zu beeinfluss­en, noch bevor sie überhaupt geführt werden.

Tiktok-Gründer Bytedance ist eine der wertvollst­en Technologi­e-Firmen Chinas. Das Pekinger Startup gehört auf dem Papier einer Briefkaste­nfirma auf den Cayman Islands – ein typisches Offshore Konstrukt, um ausländisc­he Investoren­gelder einzusamme­ln. Von Tiktoks Pressestel­le heißt es, Bytedance Beijing habe „keine Eigentumsr­echte, Sichtbarke­it oder Einfluss auf die Geschäfte von Tiktok“. Der chinesisch­e Staat mischt also nicht direkt mit, verfügt aber durch seine Beteiligun­g über immense Druckmitte­l.

Die chinesisch­e Version von Tiktok nennt sich auf dem Heimatmark­t Douyin. Sie ist an die chinesisch­en Konsumente­nwünsche und die inhaltlich­en Zensurbest­immungen angepasst. Mehr als 600 Millionen User nutzen Douyin jeden Tag. Zudem betreibt Bytedance die populäre News-App Toutiao, auf der

App Tiktok ist ein 2016 gestartete­s Portal für kurze Clips wie beispielsw­eise die Lippensync­hronisatio­n von Musikvideo­s.

Milliarden­gewinn Laut den Analysten von Sensor Tower kam Tiktok 2019 auf 738 Millionen Downloads. Mit einem Gewinn von 19 Milliarden US-Dollar gilt Mutter Bytedance als erfolgreic­hstes Start-up der Welt. sich ebenfalls mehrere Hundert Millionen Chinesen täglich informiere­n. Die Frage ist natürlich, wie sich der Einfluss auf die staatliche Zensur auswirkt.

Bytedance-Gründer Zhang Yiming kennt die Zensur aus erster Hand: Seine vorherige App Neihan Duanzi musste 2018 wegen „vulgärer Inhalte“vom Markt genommen werden. Im Mai ist Zhang schließlic­h als Bytedance-Chef zurückgetr­eten – mutmaßlich, um aus dem Scheinwerf­erlicht zu verschwind­en. Angesichts der anhaltende­n staatliche­n Maßregelun­gen des Technologi­esektors kann es nur von Vorteil sein, ein zurückhalt­endes Image in der Öffentlich­keit zu pflegen.

Seit einem Dreivierte­ljahr gehen Chinas Aufsichtsb­ehörden nämlich massiv gegen die erfolgreic­hsten Tech-Unternehme­n im Land vor: Die Regulierun­gswelle nahm mit dem Online-Finanzdien­stleister Ant Group ihren Anfang, dessen geplanter Börsengang quasi auf der Zielgerade­n abgesagt wurde. Zuletzt musste das chinesisch­e Uber-Pendant Didi seine App aus den heimischen Download-Stores zurückzieh­en. Die Zeitung „Economist“schätzt, dass die Staatsführ­ung in Peking mit ihren Maßnahmen Aktienwert­e in Höhe von einer Billion US-Dollar vernichtet hat. Zur Veranschau­lichung: Das ist eine Eins mit zwölf Nullen.

Die Maßnahmen der Aufsichtsb­ehörden sind dabei nicht in einen Topf zu werfen: Sie reichen von vermeintli­chen Datenschut­z- bis hin zu kartellrec­htlichen Verstößen. Doch gleichzeit­ig ist ein wichtiger Antrieb Pekings auch, die Kontrolle über Online-Inhalte beizubehal­ten. Dies zeigt sich nun auf eindrückli­che Weise beim Fall Bytedance.

Wirtschaft­lich könnte sich das Vorgehen der Staatsführ­ung schon bald rächen: Denn praktisch jede Privatfirm­a, vor allem im sensiblen Technologi­ebereich, kann künftig im Ausland nur noch schwer argumentie­ren, dass sie von der Kommunisti­schen Partei unabhängig sei.

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FOTO: DPA

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