Blitzlockdown in Neuseeland
Nur ein Covid-Fall, und Premierministerin Jacinda Ardern fährt das öffentliche Leben im Land konsequent herunter. Trotzdem gibt es weitere Infektionen.
SYDNEY/AUCKLAND „Guten Morgen, ich hoffe, ihr kümmert euch heute alle gut um euch selbst...“Tag eins der strengen neuseeländischen Ausgangssperre begann mit einem Update der Premierministerin Jacinda Ardern, die sich – in alter Manier – noch vor der offiziellen Pressekonferenz über Facebook bei ihren Bürgern meldete.
Für neuseeländische Verhältnisse sind die Nachrichten nicht gut: Der Covid-Ausbruch am Dienstag ist nach der Diagnose eines 58-Jährigen innerhalb von zwei Tagen auf 21 Fälle angewachsen. Die Genomsequenzierung hat zudem die Befürchtungen der Behörden bestätigt: Es handelt sich um die Delta-Variante, die auch große Teile Australiens, darunter Sydney und Melbourne, in den Lockdown gezwungen hat. Zudem gesteht Ardern ein, dass sie mit einem weiteren Anstieg der Fallzahlen rechnet. Ein großer Teil der Infizierten seien jüngere Menschen, die recht aktiv waren. Inzwischen sind ein Casino und eine Kirche in Auckland als mögliche Infektionsherde angegeben worden.
Lockdown in Neuseeland bedeutet strenge Restriktionen: Außer den notwendigen Geschäften müssen sämtliche anderen Läden, Restaurants, Cafés, Fitnessstudios und Orte, an denen sich Menschen normalerweise zusammenfinden, schließen. Auch die Schulen des Landes haben auf Online-Unterricht umgestellt. Wer am Dienstag nicht zu Hause war, hatte 48 Stunden Zeit, um dorthin zurückzukehren. Viele Experten applaudieren diesem Ansatz: Laut Michael Plank, Mathematiker und Statistiker an der Universität von Canterbury in Christchurch, ist der strenge Lockdown „definitiv die richtige Entscheidung“. Die Situation in Sydney, wo derzeit täglich mehrere Hundert Fälle verzeichnet werden, zeige, wie „schnell halbe Sachen zu einer Katastrophe führen können“. Deswegen sei es besser, am Anfang hart zu reagieren und sich dann zu entspannen.
Auch von australischer Seite kommt Zustimmung: Nach Einschätzung des Epidemiologen Ivo Müller, der am medizinischen Forschungsinstitut Wehi in Melbourne arbeitet, wird die neuseeländische Methode, „früh hart zu reagieren“, den Ausbruch wieder auslöschen, wie er in einem Videotelefonat erklärt. Dies höre sich „extrem“an, sei letztlich aber auch wirtschaftlich besser, so der Experte.
In Neuseeland ist die Methode erprobt und findet auch im Volk Zustimmung: So sammeln sich unter dem Facebook-Post der Regierungschefin Tausende Kommentare, die die Vorgehensweise der Politikerin
unterstützen. „Das wird verhindern, dass wir so enden wie Sydney”, schreibt etwa Diana Edwards. Andere bedanken sich für Arderns Engagement und klare Kommunikation.
Zudem kursieren im Internet ermutigende Sprüche wie: „Wir isolieren uns heute, damit keiner fehlt, wenn wir wieder zusammenkommen.“Selbst der umstrittene deutsche Unternehmer Kim Dotcom, der seit Jahren in Neuseeland lebt, macht via Twitter Stimmung für die neuseeländische No-Covid-Strategie: „Liebe Kiwis, wir sind ein solides Team. Lasst uns das angehen”, schreibt er.
Doch so rosig sich die neuseeländische Pandemie-Bekämpfung auf den ersten Blick anhört – eine stets ansprechbare, empathische Premierministerin, ein motiviertes, folgsames Volk –, so zeigen sich doch auch erste Risse hinter den „wohlklingenden Slogans“, wie Oliver Hartwich es formuliert. Hartwich ist Direktor des Thinktanks New Zealand Initiative und lebt seit fast zehn Jahren in Neuseelands Hauptstadt Wellington. In einer E-Mail zählt der Kommentator gleich eine Reihe von Schwachstellen im neuseeländischen Pandemie-Management auf: die unzureichende Kapazität für die Kontaktverfolgung, die überbuchten Quarantäneeinrichtungen, den fehlenden digitalen Impfpass. Dass das Land bisher so erfolgreich in der Pandemiebekämpfung war, lasse sich eher auf eine Portion Glück, die Abgeschiedenheit des Landes und die geringe Bevölkerungsdichte zurückführen, sagt Hartwich.
Eine weitere wunde Stelle ist in seinen Augen die Impfkampagne. „Die Impfdosen wurden erst im Februar bestellt, da war Israel schon fast fertig mit dem Impfen“, so Hartwich. Bisher hat nur etwa ein Drittel der knapp fünf Millionen Neuseeländer eine Impfdosis erhalten, lediglich rund 20 Prozent sind vollständig geimpft. „Neuseeland könnte viel gelassener mit den nun auftretenden Fällen umgehen, wenn besser und schneller geimpft worden wäre.“Noch unverständlicher ist in seinen Augen, dass die Regierung die Impfungen im Lockdown sogar kurzzeitig ausgesetzt hat. „Eigentlich ein Skandal“, findet der Neuseeland-Experte. „Es gab schließlich genug Zeit, sich auf genau diesen Fall vorzubereiten.“