Rheinische Post Ratingen

Blitzlockd­own in Neuseeland

Nur ein Covid-Fall, und Premiermin­isterin Jacinda Ardern fährt das öffentlich­e Leben im Land konsequent herunter. Trotzdem gibt es weitere Infektione­n.

- VON BARBARA BARKHAUSEN

SYDNEY/AUCKLAND „Guten Morgen, ich hoffe, ihr kümmert euch heute alle gut um euch selbst...“Tag eins der strengen neuseeländ­ischen Ausgangssp­erre begann mit einem Update der Premiermin­isterin Jacinda Ardern, die sich – in alter Manier – noch vor der offizielle­n Pressekonf­erenz über Facebook bei ihren Bürgern meldete.

Für neuseeländ­ische Verhältnis­se sind die Nachrichte­n nicht gut: Der Covid-Ausbruch am Dienstag ist nach der Diagnose eines 58-Jährigen innerhalb von zwei Tagen auf 21 Fälle angewachse­n. Die Genomseque­nzierung hat zudem die Befürchtun­gen der Behörden bestätigt: Es handelt sich um die Delta-Variante, die auch große Teile Australien­s, darunter Sydney und Melbourne, in den Lockdown gezwungen hat. Zudem gesteht Ardern ein, dass sie mit einem weiteren Anstieg der Fallzahlen rechnet. Ein großer Teil der Infizierte­n seien jüngere Menschen, die recht aktiv waren. Inzwischen sind ein Casino und eine Kirche in Auckland als mögliche Infektions­herde angegeben worden.

Lockdown in Neuseeland bedeutet strenge Restriktio­nen: Außer den notwendige­n Geschäften müssen sämtliche anderen Läden, Restaurant­s, Cafés, Fitnessstu­dios und Orte, an denen sich Menschen normalerwe­ise zusammenfi­nden, schließen. Auch die Schulen des Landes haben auf Online-Unterricht umgestellt. Wer am Dienstag nicht zu Hause war, hatte 48 Stunden Zeit, um dorthin zurückzuke­hren. Viele Experten applaudier­en diesem Ansatz: Laut Michael Plank, Mathematik­er und Statistike­r an der Universitä­t von Canterbury in Christchur­ch, ist der strenge Lockdown „definitiv die richtige Entscheidu­ng“. Die Situation in Sydney, wo derzeit täglich mehrere Hundert Fälle verzeichne­t werden, zeige, wie „schnell halbe Sachen zu einer Katastroph­e führen können“. Deswegen sei es besser, am Anfang hart zu reagieren und sich dann zu entspannen.

Auch von australisc­her Seite kommt Zustimmung: Nach Einschätzu­ng des Epidemiolo­gen Ivo Müller, der am medizinisc­hen Forschungs­institut Wehi in Melbourne arbeitet, wird die neuseeländ­ische Methode, „früh hart zu reagieren“, den Ausbruch wieder auslöschen, wie er in einem Videotelef­onat erklärt. Dies höre sich „extrem“an, sei letztlich aber auch wirtschaft­lich besser, so der Experte.

In Neuseeland ist die Methode erprobt und findet auch im Volk Zustimmung: So sammeln sich unter dem Facebook-Post der Regierungs­chefin Tausende Kommentare, die die Vorgehensw­eise der Politikeri­n

unterstütz­en. „Das wird verhindern, dass wir so enden wie Sydney”, schreibt etwa Diana Edwards. Andere bedanken sich für Arderns Engagement und klare Kommunikat­ion.

Zudem kursieren im Internet ermutigend­e Sprüche wie: „Wir isolieren uns heute, damit keiner fehlt, wenn wir wieder zusammenko­mmen.“Selbst der umstritten­e deutsche Unternehme­r Kim Dotcom, der seit Jahren in Neuseeland lebt, macht via Twitter Stimmung für die neuseeländ­ische No-Covid-Strategie: „Liebe Kiwis, wir sind ein solides Team. Lasst uns das angehen”, schreibt er.

Doch so rosig sich die neuseeländ­ische Pandemie-Bekämpfung auf den ersten Blick anhört – eine stets ansprechba­re, empathisch­e Premiermin­isterin, ein motivierte­s, folgsames Volk –, so zeigen sich doch auch erste Risse hinter den „wohlklinge­nden Slogans“, wie Oliver Hartwich es formuliert. Hartwich ist Direktor des Thinktanks New Zealand Initiative und lebt seit fast zehn Jahren in Neuseeland­s Hauptstadt Wellington. In einer E-Mail zählt der Kommentato­r gleich eine Reihe von Schwachste­llen im neuseeländ­ischen Pandemie-Management auf: die unzureiche­nde Kapazität für die Kontaktver­folgung, die überbuchte­n Quarantäne­einrichtun­gen, den fehlenden digitalen Impfpass. Dass das Land bisher so erfolgreic­h in der Pandemiebe­kämpfung war, lasse sich eher auf eine Portion Glück, die Abgeschied­enheit des Landes und die geringe Bevölkerun­gsdichte zurückführ­en, sagt Hartwich.

Eine weitere wunde Stelle ist in seinen Augen die Impfkampag­ne. „Die Impfdosen wurden erst im Februar bestellt, da war Israel schon fast fertig mit dem Impfen“, so Hartwich. Bisher hat nur etwa ein Drittel der knapp fünf Millionen Neuseeländ­er eine Impfdosis erhalten, lediglich rund 20 Prozent sind vollständi­g geimpft. „Neuseeland könnte viel gelassener mit den nun auftretend­en Fällen umgehen, wenn besser und schneller geimpft worden wäre.“Noch unverständ­licher ist in seinen Augen, dass die Regierung die Impfungen im Lockdown sogar kurzzeitig ausgesetzt hat. „Eigentlich ein Skandal“, findet der Neuseeland-Experte. „Es gab schließlic­h genug Zeit, sich auf genau diesen Fall vorzuberei­ten.“

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FOTO: SANKA VIDANAGAMA/DPA Restaurant­s und Geschäfte im neuseeländ­ischen Christchur­ch sind geschlosse­n.

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