Rheinische Post Ratingen

„Es kann jede Minute passieren“

Basira Shahzad ist 2015 vor den Taliban nach Deutschlan­d geflohen. Jetzt bangt sie um ihre Familie in Kabul.

- VON ANDREA BINDMANN

RATINGEN Basira Shahzad hatte ihr Leben lang Angst vor den Taliban. Schon mit sechs Jahren hat sie erfahren müssen, welche Konsequenz­en es haben kann, wenn man Widerworte gibt. „Die Taliban stürmten unser Haus in Kabul“, erzählt sie. „Sie forderten meine Eltern auf, ihr Haus und das Motorrad herauszuge­ben.“Auch auf die größere Schwester hatten sie ein Auge geworfen. Shahzads Vater stellte sich den Eindringli­ngen in den Weg und weigerte sich, die Forderunge­n zu erfüllen.

Einer aus der Gruppe zückte eine Waffe und schoss. Der Vater wurde nicht getroffen. Ein Querschläg­er traf das damals junge Mädchen jedoch am Rücken. „Seitdem sitze ich im Rollstuhl und habe bereits viele Operatione­n über mich ergehen lassen“, erzählt Shahzad. Das war im Jahr 2001. Kurz darauf wurde das Taliban-Regime gestürzt. Basira konnte zur Schule gehen und ein fast normales Kinderlebe­n führen. Zumindest ein paar Jahre lang.

Mit 14 Jahren begann sie zu arbeiten. Doch schon bald holte die Vergangenh­eit sie ein. „Ich habe in einer großen Firma gearbeitet, gemeinsam mit deutschen und amerikanis­chen Kollegen“, erinnert sich Shahzad. Die Taliban formierten sich inzwischen neu, um die Macht im Land zurückzuer­langen. Ihr Mittel: Anschläge gegen Ausländer und die Zivilbevöl­kerung.

Wieder geriet Basira Shahzad ins Visier der radikalen islamische­n Bewegung. „Ich wurde aufgeforde­rt, ein Sprengstof­fattentat auszuführe­n“, so Shazad. Ihre ausländisc­hen Arbeitskol­legen sollten die Opfer sein. Die junge Frau weigerte sich. Seitdem leben weder sie noch ihre Familie ohne Angst. Die Taliban kündigten an, ihre Familie zu verfolgen und zu töten, sollte man sie nicht ausliefern.

Um ihre Eltern und Geschwiste­r zu schützen, floh Basira Shahzad 2015 allein Richtung Deutschlan­d und fand in Ratingen eine neue Heimat. Doch wenn sie in diesen Tagen die Nachrichte­n verfolgt, sind alle Erinnerung­en wieder präsent. Erneut haben die Taliban die Macht übernommen. Auch Kabul ist inzwischen in ihrer Hand. Und mitten in der Stadt lebt ihre Familie.

„Meine Eltern, meine Geschwiste­r, deren Frauen und Kinder halten sich versteckt“, berichtet die Ratingerin. „Sie können das Haus nicht verlassen, sie haben Angst um ihr Leben.“Shahzad bangt mit ihnen. Immer wieder versucht sie per WhatsApp Kontakt aufzunehme­n. Manchmal klappt es für einen kurzen Austausch. Manchmal nicht.

Das Land zu verlassen ist für die Familie unmöglich. Panikerfül­lte Menschen stürmen den Flughafen, Verkehrswe­ge hingegen oft leer. Viele Menschen trauen sich nicht mehr aus dem Haus, Geschäfte, Banken und ein Großteil der Eichrichtu­ngen geschlosse­n. „Meine Mutter hat Herzproble­me, braucht Medikament­e“, sagt Shazad. Der Vater leide unter Bluthochdr­uck und müsste behandelt werden. Die Schwägerin sei im neunten Monat schwanger. Die Situation sei vollkommen chaotisch. „Wie es weitergehe­n soll, weiß niemand. Es gibt keine Lösung.“

Basira Shazad fühlt sich schuldig. Sie ist sich sicher: Bis heute suchen die Taliban nach ihr. Jeden Tag könnten sie ihre Drohung wahr machen und ihrer Familie etwas antun. „Es kann jede Stunde, jede Minute passieren, dass sie das Haus stürmen.“

Wie berechtigt ihre Sorgen sind, zeigt ein Vorfall, der erst vor einigen Wochen passierte. Basiras Bruder verkauft in einem Geschäft Damenkleid­ung und Kosmetikar­tikel. Beides passt nicht in die Philosophi­e der Taliban. Sie verübten einen Brandansch­lag und verletzten den Bruder schwer.

Gerne würde Shazad ihre Familie nach Deutschlan­d holen. „Wenigstens so lange, bis wieder Ruhe eingekehrt ist.“Doch sie weiß nicht, wie oder an wen sie sich wenden kann. Die Ratingerin kann die Bilder aus Kabul kaum ertragen. „Ich leide an einer Depression, muss Medikament­e einnehmen.“Eigentlich soll sie in den nächsten Tagen eine Reha antreten, doch: „Wie kann ich so gesund werden?“

 ?? RP-FOTO: ACHIM BLAZY ?? Basira Shahzad ist in Kabul/ Afghanista­n aufgewachs­en. Bereits mit sechs Jahren hatte sie ihre erste Begegnung mit den Taliban. Diese stürmten das Haus ihrer Eltern. Ein Schuss traf sie am Rücken. Seither sitzt sie im Rollstuhl. jetzt versucht sie verzweifel­t, ihre Familie zu erreichen.
RP-FOTO: ACHIM BLAZY Basira Shahzad ist in Kabul/ Afghanista­n aufgewachs­en. Bereits mit sechs Jahren hatte sie ihre erste Begegnung mit den Taliban. Diese stürmten das Haus ihrer Eltern. Ein Schuss traf sie am Rücken. Seither sitzt sie im Rollstuhl. jetzt versucht sie verzweifel­t, ihre Familie zu erreichen.

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