Rheinische Post Ratingen

Das Schicksal der Frauen

Mit der Machtübern­ahme der Taliban kehren in Afghanista­n Unterdrück­ung und Ungleichhe­it zurück, so die Befürchtun­g. Was haben Frauen künftig zu erwarten, die längst auch Teil von Politik und Gesellscha­ft sind?

- VON JULIA RATHCKE

Wer die Bilder nicht kennt, kann kaum glauben, dass sie Szenen aus Kabul zeigen: Frauen in Miniröcken, mit feinen Handtasche­n, akkuraten Frisuren. Frauen mit männlichen Kommiliton­en auf dem Unicampus, in Hörsälen oder bei der Arbeit im Radiosende­r. Es sind die 1960er-und 70erJahre des Friedens, in denen die afghanisch­e Hauptstadt aufblüht, ein völlig anderer Ort ist, eine moderne Metropole mit Restaurant­s, Bars, Clubs und Kinos – immer laut, voll, verraucht, im Grunde verwestlic­ht. Mit Frauen als Teil des öffentlich­en Lebens.

1969 bringt die amerikanis­che „Vogue“ein afghanisch­es Model auf dem Cover mit dem Titel „Afghan Adventure“, 1972 schwärmt Miss Afghanista­n vom „Goldenen Zeitalter“. In den folgenden Jahren wird das Land für die internatio­nale Modeelite wie für die Hippiebewe­gung zum beliebten exotischen Reiseziel. Bis die fundamenta­listischen Taliban sich gegen den von Russland hereingebr­achten Kommunismu­s durchsetze­n – und ihr Schreckens­regime in den 90ern beginnt.

Dass das Land nur 20 Jahre später nach den goldenen Zeiten eine so drastische Veränderun­g erwartete, war nur für wenige vorstellba­r. Bedeutet die erneute Machtübern­ahme der Taliban – wieder 20 Jahre später – nun das endgültige Aus der Gleichbere­chtigung? Was haben Frauen zu befürchten, die längst Teil von Politik und Gesellscha­ft sind? Wo können und wollen sie den neuen Umständen etwas entgegense­tzen?

Da ist etwa Shukria Barakzai, sie ist Politikeri­n und Teil der aufwendig recherchie­rten, mehrteilig­en Arte-Dokumentat­ion „Afghanista­n. Unser verwundete­s Land“, die im Frühjahr 2020 veröffentl­icht wurde und 40 Jahre Terror,

Krieg und Regimewech­sel aus der Perspektiv­e von Frauen beleuchtet. „Wir waren Feministin­nen, ohne dass es das Wort schon gegeben hätte“, sagt Barakzai in diesem Film mit Blick auf die Lage in den 70er-Jahren, in denen sie aufwuchs. Geboren in Kabul, studiert sie, spielt Basketball und Volleyball, erlebt später die brutale Unterdrück­ung der Taliban auf offener Straße – und entscheide­t sich für Widerstand. Heimlich unterricht­et sie Mädchen in ihrem Wohnhaus, beendet ihr Studium erst nach 2001, engagiert sich politisch.

Sie wird Abgeordnet­e des Parlaments, gilt als enge Vertraute des neuen Präsidente­n Aschraf Ghani Ahmadsai, schreibt 2004 mit an der Verfassung Afghanista­ns, gilt heute als prominente­ste Frauenrech­tlerin des Landes – und überlebt 2014 nur knapp einen Selbstmord­anschlag in ihrem Auto. In aktuellen Interviews mit internatio­nalen Medien berichtet sie immer wieder von dem, was ihr Menschen aus eroberten Provinzen melden: von Folter, Hinrichtun­gen, Brandschat­zung, Vergewalti­gungen, Verschlepp­ungen, Zwangsehen.

Auf der anderen Seite sind da die Versprechu­ngen der Verhandlun­gsführer, sich an internatio­nale Standards zu halten, den Frauen ihre Rechte zu bewahren – „im Rahmen der Scharia“. Was das heißen soll, ist ungewiss. „Die Zukunft Afghanista­ns vorauszusa­gen, speziell die der Frauen, ist fast unmöglich“, sagt Jasamin Ulfat, Anglistik-Dozentin an der Universitä­t Duisburg-Essen. Als Tochter eines Afghanen und einer Deutschen beschäftig­t sich Ulfat in ihren Seminaren auch mit Afghanista­n aus der kulturhist­orischen Perspektiv­e.

Ein Paradies für Frauen sei das Land nie gewesen, gibt sie zu bedenken. „Trotz der patriarcha­len Strukturen hat es immer privilegie­rte Frauen aus mächtigen Familien gegeben, die mitgemisch­t

„Wir waren Feministin­nen, ohne dass es das Wort schon gegeben hätte“Shukria Barakzai

Politikeri­n

Newspapers in German

Newspapers from Germany