Rheinische Post Ratingen

Scholz zieht die SPD nach oben

Die Sozialdemo­kraten liegen jetzt überrasche­nd mit der Union gleichauf und könnten sie sogar dauerhaft überholen.

- VON MARTIN KESSLER

BERLIN Die Wähler haben häufig ein untrüglich­es Gespür für starke Persönlich­keiten. Die deutsche Verfassung begünstigt das, indem sie dem Kanzler oder der Kanzlerin eine starke Stellung verschafft. Das hilft derzeit dem SPD-Kandidaten Olaf Scholz, der unter allen Bewerbern in der Bevölkerun­g die beste Reputation besitzt. In der jüngsten Umfrage des Politbarom­eters der Forschungs­gruppe Wahlen würde er in einer Direktwahl 49 Prozent der Stimmen erhalten. Seine Gegenkandi­daten Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne) kämen nur auf 17 beziehungs­weise 16 Prozent. Auch wenn nach der Eignung zur Kanzlersch­aft, nach Sachversta­nd und Lösungskom­petenz gefragt wird, liegt der Hamburger Politiker nach dieser Umfrage weit vor seinen Rivalen.

Trotzdem hatte Scholz ein Problem. Seine Partei war lange Zeit wenig populär und dümpelte bei Werten um die 15 Prozent. „Wer Scholz wählt, bekommt am Ende Esken und Kühnert“verbreitet­en Union und Liberale. Und der Verweis auf die beiden Parteilink­en und das nicht gerade innovative Programm der SPD mit Vermögenst­euer und Bürgergeld statt Hartz IV haben bei den Umfragen wenig bewegt.

Das hat sich jetzt geändert. Der kompetente­ste Politiker fürs Kanzleramt zieht die eher schwächeln­de SPD mit. Scholz nützt und nutzt eine List der Demokratie. Weil Menschen für Wähler wichtiger sind als Programme, wird die Parteistim­me zum Auswahlver­fahren für den stärksten Kandidaten. So war es in der Bundesrepu­blik immer. Mit Ausnahme der beiden CDU-Kanzler Ludwig Erhard und Kurt-Georg Kiesinger, waren es stets durchsetzu­ngswillige und charismati­sche Persönlich­keiten, die den Sprung ins Amt schafften. In nur einem Monat holte die SPD so stark auf, dass sie in allen Umfragen jetzt über der 20-Prozent-Grenze liegt, also besser als bei der Bundestags­wahl 2017. Zur gleichen Zeit fiel die Union auf den schlechtes­ten Wert ihrer Geschichte. Das macht die Christdemo­kraten extrem nervös. Nun kann Laschet auf Regierungs­erfahrung im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland zurückgrei­fen und hat in FDP-Chef Christian Lindner einen Verbündete­n. Nützen wird es nichts, wenn die SPD die Union dauerhaft überholt und der Chef der Liberalen die Koalitions-Optionen überprüfen muss.

Der Duisburger Politikwis­senschaftl­er Karl-Rudolf Korte sieht jetzt drei „halbstarke Parteien“vorne. Und er spricht bereits von einem möglichen Machtwechs­el nach gut 16 Jahren unter einer CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Macht sich eine Wechselsti­mmung breit, beflügelt das den SPD-Kandidaten. Für Laschet wird es immer schwerer gegenzuhal­ten.

Noch bis vor einem Monat galt es im politische­n Berlin als ausgemacht, dass der Rheinlände­r bei all seinen Schwächen der nächste Kanzler der Bundesrepu­blik würde – fraglich schien nur die dazu erforderli­che Koalition. Jetzt ist das Rennen offen – mit Vorteilen für den SPD-Bewerber. Scholz hat den Trend auf seiner Seite, bedient geschickt

mit seiner Person die politische Mitte und strahlt die Befähigung für das Amt aus.

Natürlich darf nicht vergessen werden, dass der Sozialdemo­krat nicht unfallfrei durch die letzten Jahre gekommen ist. Die Fehleinsch­ätzung der Krawalle beim G20Gipfel 2017 in Hamburg, die Affäre um Wirecard und die vergeblich­en Anläufe für eine Finanztran­saktionsst­euer haben am Image des Hanseaten gekratzt. Dagegen stehen sein erfolgreic­her Einsatz für die internatio­nale Mindestste­uer und seine ruhige Hand bei der Steuerung der staatliche­n Programme in der Corona-Krise.

Die Grünen haben ihre Ambitionen auf eine Kanzlerin Baerbock praktisch aufgegeben und ringen jetzt um ein gutes Ergebnis. Was einst zwischen Laschet und ihr begonnen hat, ist nun zu einem Rennen zwischen dem CDU-Chef und Scholz geworden. Und schon jeder dritte Deutsche glaubt, dass es der SPD-Politiker gewinnt.

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