Scholz zieht die SPD nach oben
Die Sozialdemokraten liegen jetzt überraschend mit der Union gleichauf und könnten sie sogar dauerhaft überholen.
BERLIN Die Wähler haben häufig ein untrügliches Gespür für starke Persönlichkeiten. Die deutsche Verfassung begünstigt das, indem sie dem Kanzler oder der Kanzlerin eine starke Stellung verschafft. Das hilft derzeit dem SPD-Kandidaten Olaf Scholz, der unter allen Bewerbern in der Bevölkerung die beste Reputation besitzt. In der jüngsten Umfrage des Politbarometers der Forschungsgruppe Wahlen würde er in einer Direktwahl 49 Prozent der Stimmen erhalten. Seine Gegenkandidaten Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne) kämen nur auf 17 beziehungsweise 16 Prozent. Auch wenn nach der Eignung zur Kanzlerschaft, nach Sachverstand und Lösungskompetenz gefragt wird, liegt der Hamburger Politiker nach dieser Umfrage weit vor seinen Rivalen.
Trotzdem hatte Scholz ein Problem. Seine Partei war lange Zeit wenig populär und dümpelte bei Werten um die 15 Prozent. „Wer Scholz wählt, bekommt am Ende Esken und Kühnert“verbreiteten Union und Liberale. Und der Verweis auf die beiden Parteilinken und das nicht gerade innovative Programm der SPD mit Vermögensteuer und Bürgergeld statt Hartz IV haben bei den Umfragen wenig bewegt.
Das hat sich jetzt geändert. Der kompetenteste Politiker fürs Kanzleramt zieht die eher schwächelnde SPD mit. Scholz nützt und nutzt eine List der Demokratie. Weil Menschen für Wähler wichtiger sind als Programme, wird die Parteistimme zum Auswahlverfahren für den stärksten Kandidaten. So war es in der Bundesrepublik immer. Mit Ausnahme der beiden CDU-Kanzler Ludwig Erhard und Kurt-Georg Kiesinger, waren es stets durchsetzungswillige und charismatische Persönlichkeiten, die den Sprung ins Amt schafften. In nur einem Monat holte die SPD so stark auf, dass sie in allen Umfragen jetzt über der 20-Prozent-Grenze liegt, also besser als bei der Bundestagswahl 2017. Zur gleichen Zeit fiel die Union auf den schlechtesten Wert ihrer Geschichte. Das macht die Christdemokraten extrem nervös. Nun kann Laschet auf Regierungserfahrung im bevölkerungsreichsten Bundesland zurückgreifen und hat in FDP-Chef Christian Lindner einen Verbündeten. Nützen wird es nichts, wenn die SPD die Union dauerhaft überholt und der Chef der Liberalen die Koalitions-Optionen überprüfen muss.
Der Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte sieht jetzt drei „halbstarke Parteien“vorne. Und er spricht bereits von einem möglichen Machtwechsel nach gut 16 Jahren unter einer CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Macht sich eine Wechselstimmung breit, beflügelt das den SPD-Kandidaten. Für Laschet wird es immer schwerer gegenzuhalten.
Noch bis vor einem Monat galt es im politischen Berlin als ausgemacht, dass der Rheinländer bei all seinen Schwächen der nächste Kanzler der Bundesrepublik würde – fraglich schien nur die dazu erforderliche Koalition. Jetzt ist das Rennen offen – mit Vorteilen für den SPD-Bewerber. Scholz hat den Trend auf seiner Seite, bedient geschickt
mit seiner Person die politische Mitte und strahlt die Befähigung für das Amt aus.
Natürlich darf nicht vergessen werden, dass der Sozialdemokrat nicht unfallfrei durch die letzten Jahre gekommen ist. Die Fehleinschätzung der Krawalle beim G20Gipfel 2017 in Hamburg, die Affäre um Wirecard und die vergeblichen Anläufe für eine Finanztransaktionssteuer haben am Image des Hanseaten gekratzt. Dagegen stehen sein erfolgreicher Einsatz für die internationale Mindeststeuer und seine ruhige Hand bei der Steuerung der staatlichen Programme in der Corona-Krise.
Die Grünen haben ihre Ambitionen auf eine Kanzlerin Baerbock praktisch aufgegeben und ringen jetzt um ein gutes Ergebnis. Was einst zwischen Laschet und ihr begonnen hat, ist nun zu einem Rennen zwischen dem CDU-Chef und Scholz geworden. Und schon jeder dritte Deutsche glaubt, dass es der SPD-Politiker gewinnt.