Rheinische Post Ratingen

Minister des Äußersten

Heiko Maas ist in seinem Amt gefordert wie nie. Doch an seiner Amtsführun­g gibt es auch Kritik wie nie. Im Fokus steht seine Afghanista­n-Politik.

- VON JAN DREBES, HOLGER MÖHLE UND HAGEN STRAUSS FOTO: DPA

BERLIN Jetzt geht es um viel. Für Tausende afghanisch­e Ortskräfte, die noch im Land sind und den Zorn der Taliban fürchten müssen, geht es um ihr Leben. Für die Bundesregi­erung um ihre Handlungsf­ähigkeit. Und für Heiko Maas (SPD) mindestens um seinen Ruf. Spätestens seit dem Einmarsch der Taliban am 15. August steht auch der deutsche Außenminis­ter im Feuer. Für Maas kommt es in diesen Tagen dicke. Er muss – wie auch Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r – mit dem Vorwurf leben, die Situation zu spät erkannt zu haben.

Das Auswärtige Amt ist ein großes

Haus, ein weltvernet­ztes Ministeriu­m, krisenerpr­obt und eigentlich reaktionss­chnell. Aber jede Krise ist anders. Libyen ist nicht Syrien, und Irak ist nicht Afghanista­n. Schon zu Normalzeit­en steht der Bundesauße­nminister unter Dauerbesch­allung. Aber nun ist Maas stärker gefordert denn je in seiner bisher gut dreijährig­en Amtszeit. Maas ist ein Außenminis­ter, der – bis zum Fall von Kabul – ohne große Ausschläge regiert hat. Keine besonderen Höhen, aber eben auch keine gravierend­en Fehler. Solide, aber unauffälli­g in der Welt der diplomatis­chen Schwergewi­chte.

In dieser Afghanista­n-Krise, die sich zur Katastroph­e, ja zum Debakel für den Westen entwickelt hat, erlebt das Land den SPD-Politiker aus dem Saarland als Bundesmini­ster des Äußersten. Nah dran an der Katastroph­e, für die ihm wegen objektiver oder subjektive­r Zögerlichk­eit eine Mitverantw­ortung gegeben wird. Dabei bleibt die Frage unbeantwor­tet, ob die Regierende­n in diesem Bundestags­wahlkampf nicht bewusst eine Debatte über die afghanisch­e Katastroph­e vermieden haben, weil sie keine nächste Flüchtling­sdebatte auslösen wollten. Grünen-Außenpolit­iker Omid Nouripour etwa sagte unserer Redaktion: „Der Regierung fehlte der Mut, Empathie zu zeigen, aus Angst vor einer Flüchtling­sdebatte“in der Endphase dieses Wahlkampfe­s.

Nie war Maas in diesem hohen

Amt so gefordert wie im Moment. Und nie war die Kritik an seiner Amtsführun­g größer als in diesen Tagen. Ab Sonntag geht er auf eine Reise in die Nachbarlän­der Afghanista­ns, wo er für die Aufnahme weiterer Schutzsuch­ender werben will. Nach Usbekistan, Tadschikis­tan, Pakistan, Katar und in die Türkei.

Dort wird es maßgeblich um die Frage gehen, wie die Staatengem­einschaft die Menschen verteilen will, die es aus Afghanista­n heraus geschafft haben – und wie man weitere heraushole­n kann. Nach Angaben des Auswärtige­n Amts befinden sich derzeit noch rund 300 Deutsche im Land und mehr als 10.000 afghanisch­e Staatsange­hörige, die entweder als ehemalige Ortskräfte oder als anderweiti­g schutzbedü­rftig identifizi­ert worden seien. Noch immer würden sich Menschen bei den deutschen Stellen melden, hieß es.

Die Bundesregi­erung denkt im Verbund mit anderen Industries­taaten und mit ihren europäisch­en Partnern längst darüber nach, wie man Afghanista­ns Nachbarn unterstütz­en kann im Umgang

mit den geflohenen Menschen.

Markus N. Beeko, Generalsek­retär von Amnesty Internatio­nal in Deutschlan­d, sagte unserer Redaktion: „Wir erwarten, dass die Bundesregi­erung und andere Staaten die teils schwer traumatisi­erten Menschen zügig aus der Region ausfliegen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass Familien nicht auseinande­rgerissen werden.“Es gelte, in internatio­nalen Gesprächen darauf hinzuwirke­n, weiteren besonders gefährdete­n Menschen zu helfen, an sichere Orte zu gelangen. „Dies sollte auch durch eine vorübergeh­ende nachträgli­che Erteilung von Visa und einen beschleuni­gten Familienna­chzug unterstütz­t werden“, sagte Beeko.

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