Rheinische Post Ratingen

„Wir hatten großes Glück“

Laila Ahmadi ist eine der insgesamt 740 aus Afghanista­n evakuierte­n Personen in NRW.

- VON CLAUDIUS MACKES UND MARTIN RÖSE

VIERSEN Laila Ahmadi war vier Jahre alt, als die radikal-islamistis­chen Taliban ihren Turban nehmen und in Afghanista­n abdanken mussten. Ahmadi konnte zur Schule gehen. Sie durfte mit dem Fahrrad fahren. Und als sie älter wird, braucht sie keinen Schleier zu tragen, kann wählen gehen, darf arbeiten – in der afghanisch­en Staatsverw­altung in der Hauptstadt Kabul. Für dieses bessere Afghanista­n, in dem Frauen gleichbere­chtigt sind und dieselben Rechte wie Männer haben. Ahmadi hilft als sogenannte Ortskraft den westlichen Alliierten. Sie ist 24 Jahre alt, kennt ihr Land nur mit den Truppen des Westens, die für Schutz und Sicherheit sorgen.

Und dann ist mit einem Schlag alles anders: Die Taliban sind zurück. „Sie standen vor unserer Stadt, und jeder wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde“, sagt Ahmadi. Kampflos ist Kabul an die radikalen

Islamisten gefallen. Und die 24-Jährige macht das, was Zehntausen­de andere Ortskräfte auch tun. Sie hofft auf Hilfe, will fliehen, aus Angst um ihr Leben.

Sie bekommt die Papiere. „Wir hatten die Möglichkei­t und mussten sie so schnell wie möglich ergreifen“, sagt Ahmadi. Zeit, viel zu packen, hat sie nicht. Das Wichtigste:

Ihr Mann, ihr Kind, ihr Bruder dürfen mit. Die vierköpfig­e Gruppe schafft es durch die Kontrollen der Taliban bis zum Airport – und aufs Flughafeng­elände. In der Nacht zu Montag steigen die vier in eine Militärmas­chine. Ein letzter Blick auf die Heimat – dann bringt die Maschine sie nach Usbekistan. In der Hauptstadt Taschkent landet das Militärflu­gzeug; wieder ist Warten angesagt, bis der Flieger nach Frankfurt bereitsteh­t.

In Frankfurt, berichtet Ahmadi, sei erstmals das Gefühl der Unsicherhe­it von ihr gewichen. Am Flughafen seien sie von deutschen Beamten mit den Worten empfangen worden: „Habt keine Angst, ihr seid jetzt in Sicherheit.“Das habe ihr Mut gemacht. Am Dienstagmo­rgen um 6 Uhr steigt Laila Ahmadi aus einem Bus, der sie und 38 weitere Ortskräfte und Familienan­gehörige aus Afghanista­n von Frankfurt nach Viersen gebracht hat. Es sind die ersten Evakuierte­n aus Afghanista­n in NRW – bis Freitag kommen insgesamt 740 Männer, Frauen und Kinder. Davon werden 285 in Viersen am Lichtenber­g untergebra­cht in einem geschichts­trächtigen Hochhaus. Früher war darin einmal die Firmenzent­rale der Supermarkt­kette „Kaiser’s“untergebra­cht – seit sechs Jahren hat das Land NRW die Immobilie gemietet, als ZUE. Das Kürzel steht für „Zentrale Unterbring­ungs-Einrichtun­g“. Hier finden die ersten 39 afghanisch­en Ortshelfer in NRW eine Unterkunft. „Es wird durch das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e geprüft, welchen Aufenthalt­sstatus die Menschen erhalten können oder ob sie zunächst ein Asylverfah­ren durchlaufe­n müssen“, erklärt ein Sprecher des NRWMiniste­riums für Flüchtling­e.

Ahmadi sagt, sie sei „glücklich und erleichter­t“. Ihr ist gelungen, was Tausende andere Ortskräfte, die den Deutschen geholfen haben, nicht schafften: Sie ist in Sicherheit. „Mehr können wir nicht verlangen. Deutschlan­d hat uns geholfen. Wir hatten großes Glück.“

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FOTO: MACKES Laila Ahmadi kam aus Kabul, ist jetzt in Viersen untergebra­cht.

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