Rheinische Post Ratingen

„Mir läuft es noch kalt den Rücken runter“

Der Chefermitt­ler spricht über eine spektakulä­re Mordserie und den Anschlag am Wehrhahn-Bahnhof.

- CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

DÜSSELDORF Thomas Jungbluth gehört zu den absoluten Top-Ermittlern der nordrhein-westfälisc­hen Polizei und darüber hinaus. Ende des Monats geht er in den Ruhestand. Zum Abschied blickt er im Gespräch mit unserer Redaktion exklusiv auf seine spannendst­en Fälle zurück.

Herr Jungbluth, erzählen Sie von Ihrer Zeit in Duisburg…

JUNGBLUTH Von 1988 bis 2000 war ich in Duisburg – das war eine spannende Zeit, geprägt durch viele Mordkommis­sionen. Ich kann mich entsinnen an den Rhein-Ruhr-Ripper, den wir nach akribische­r Ermittlung­sarbeit fassen konnten. Auslöser der Ermittlung­en war eine Prostituie­rte, die er in Dinslaken umgebracht hatte. Er hatte ihr auch die Hände abgehackt, soweit ich mich noch erinnere, um ihre Identifizi­erung zu erschweren.

Wie liefen die Ermittlung­en ab? JUNGBLUTH Nachdem man die Prostituie­rte identifizi­ert hatte, überlegten wir, wer könnte der Täter gewesen sein? Ein Freier? Oder eine andere Person, eventuell aus dem Umfeld der Toten? Man suchte nach Bezugspers­onen, wer hatte mit ihr Kontakt? Und dann gab es plötzlich nach längerer Zeit einen vagen Hinweis auf einen Mann, der schon einmal eine andere Straftat begangen hatte. Und dann beschäftig­te man sich mit dieser Person: Was für ein Typ ist das? Ist er krank? Es wurde dann in seinem Umfeld ermittelt, und es stellte sich heraus, dass der Verdächtig­e ein hochgefähr­licher Mann war.

Wie kommt man Mördern auf die Schliche?

JUNGBLUTH Mit Beharrlich­keit, Geduld, langem Atem und Know-how. Irgendwann hat man so ein kleines Mosaikstei­nchen, und man spürt irgendwie, da könnte was dran sein. Dann verdichtet sich alles, der Verdächtig­e wird festgenomm­en, sitzt vor einem auf dem Stuhl, wird vernommen. Und erzählt Geschichte­n, die nicht stimmen können. Das wird überprüft. Es zieht sich hin. Und dann plötzlich gesteht er.

Was bedeutet es für Sie, einen Täter zu überführen?

JUNGBLUTH Das ist ein unbeschrei­bliches Gefühl, wenn sich der Fall nach harter Ermittlung­sarbeit aufdröselt. Das ist Adrenalin pur. Denke ich an manche Verfahren zurück, läuft es mir heute noch kalt den Rücken runter. Wenn man sich so einen Erfolg erarbeitet und das kriminalis­tische Puzzle zusammense­tzt durch Teamwork, dann schmeißen Sie anschließe­nd jeden Krimi weg, den Sie vorher gelesen haben; das wirkt dann alles fade.

Sie hatten bestimmt viele krasse Fälle in ihrer Laufbahn.

JUNGBLUTH Da fällt mir ein Fall ein, den müsste man eigentlich verfilmen; „Forciertes Erben“haben wir ihn genannt. Wenn ich die Geschichte erzähle, glaubt mir das kein Mensch. Es ist natürlich auch ein Duisburger Fall.

Erzählen Sie …

JUNGBLUTH Ein junger Mann, der mit einem Mädchen von relativ vermögende­n Pflegeelte­rn adoptiert wurde, wollte mit Anfang 20 an das Geld der Eltern rankommen. Er hat dafür mit einem Freund einen Plan ausgeheckt. Erst hat er mit dem Freund zusammen seine Schwester umgebracht. Bevor sie die Mutter umbringen konnten, ist sie an Krebs verstorben; dann blieb noch der Vater übrig. Den haben sie dann auch umgebracht. Die Leiche ist nie gefunden worden. Den Vater hat er als vermisst gemeldet, damit fingen die Ermittlung­en an. in das einzige Institut in Deutschlan­d, das damals DNA-Abgleiche machen konnte, gegeben. In den Schnürsenk­eln ist eine Blutspur mit der DNA des Vaters gefunden worden. Damit konfrontie­rt, ist er zusammenge­klappt und hat gestanden. Dabei kam raus, dass sie auch noch seine Freundin umgebracht haben, weil sie zu viel wusste.

In Filmen gibt es bei Verhören oft einen „bösen“und einen guten Polizisten. Reine Fiktion?

JUNGBLUTH Böser Polizist, guter Polizist – in den Filmen wird das alles so dargestell­t. Das ist mir zu einfach. In der Vernehmung­ssituation merkt man schon, dass der Betroffene unterschie­dliche emotionale Verhältnis­se zu den Vernehmern aufbaut. Das muss man registrier­en, daran kann man sich ausrichten, etwa dann, wenn man für den Verdächtig­en unangenehm­e Fragen stellen muss.

Haben Sie einen persönlich­en „cold case“, einen ungelösten Fall? JUNGBLUTH Der Anschlag im Jahr 2000 an der Ackerstraß­e in Düsseldorf ist für mich ein „cold case“. Kurz bevor ich ins Polizeiprä­sidium Düsseldorf gekommen bin, ist das passiert. Es gab verschiede­ne Ermittlung­sstränge,

damals gab es keine Chance, da etwas rauszubeko­mmen. Auch der zuletzt vor Gericht angeklagte Verdächtig­e gehörte dazu. Ob es der Täter ist, weiß ich nicht. Aber das nagt schon an mir. Schon allein deshalb, weil ich gesehen habe, mit welchem unwahrsche­inlichen Engagement die Kollegen da gearbeitet haben.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, wie würde der lauten?

JUNGBLUTH Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann mehr Respekt und Achtung vor Polizeiarb­eit. Oft müssen wir schnelle Entscheidu­ngen treffen, die sich im Nachhinein vielleicht als falsch oder unglücklic­h darstellen. Natürlich müssen wir uns Kritik stellen und das tun wir auch. Glauben Sie mir, Polizei ist sehr selbstkrit­isch. Es im Nachhinein besser zu wissen, ist leicht, wenn man den Ausgang der Geschichte kennt. Es zum Zeitpunkt zu entscheide­n, ist der schwierige Teil. Oder um es als Fußballer zu sagen: Nach dem Elfmetersc­hießen weiß ich, wen ich nicht hätte schießen lassen sollen. Trotzdem bleibt auch der Fehlschütz­e ein guter Fußballer.

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FOTO: WERNER GABRIEL Spurensuch­e am Tatort. Beim Anschlag am S-Bahnhof an der Ackerstraß­e in Düsseldorf detonierte im Jahr 2000 eine Bombe.

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