Rheinische Post Ratingen

Gutachters­treit um möglichen Giftanschl­ag beschäftig­t Gerichte

- VON WULF KANNEGIESS­ER

DÜSSELDORF/NEUSS Wegen unterschie­dlicher Bewertunge­n zweier Gutachter muss ein 45-jähriger Familienva­ter demnächst vors Schwurgeri­cht. Dort wird ihm vorgeworfe­n, er habe einer Bekannten (59) vor rund zweieinhal­b Jahren mit einer heimlich in ihren Rotwein gemixten Substanz töten wollen, damit er ein Privatdarl­ehen von 8000 Euro nicht zurückzahl­en müsse.

Zwei hochrangig­e Giftstoff-Experten widersprec­hen sich jedoch darin, ob jene Substanz überhaupt geeignet ist, schwere Gesundheit­sschäden hervorzuru­fen. Die Entscheidu­ng darüber, welche der wissenscha­ftlichen Ansichten hier zutrifft, liegt nun beim Landgerich­t.

Ende 2018 hatte sich der Familienva­ter bei der Bekannten aus Neuss kurzfristi­g 8000 Euro geliehen und die Rückzahlun­g bis Ende Mai 2019 versproche­n. Einen Monat vor Ablauf der Frist hatte er die Geldgeberi­n

besucht, weil er mit ihr angeblich über die Rückzahlun­g sprechen wollte. Beide tranken dabei Rotwein. Als die Frau in die Küche ging, um Kaffee für den Besucher zu kochen, soll er ihr laut Anklage Gift ins Glas gekippt haben, um sie zu töten. Die Frau hat jedoch am Glas nur genippt, den Wein danach wegen eines „bitteren Geschmacks“der Polizei übergeben. Ein Experte des Landeskrim­inalamts NRW befand, der beigemengt­e Stoff 4-Chlorethca­thinon („4-ECE“) sei ein „hochbedenk­liches und gefährlich­es Mittel“, das schon in geringer Menge „lebensgefä­hrliche Intoxikati­onen auslösen“könne.

Als das Schwurgeri­cht damals aber den Toxikologe­n Thomas Daldrup als weiteren Gutachter zuzog, kam der zum Schluss, bei 4-ECE handele es sich „nicht um einen hochpotent­en Stoff“, sondern bloß um einen Stimmungsa­ufheller. Der wegen Mordversuc­hs inhaftiert­e Familienva­ter kam daraufhin aus der

U-Haft frei. Er hatte stets bestritten, die Substanz ins Glas der Frau geschüttet zu haben. Er habe geringe Mengen des Mittels, das nur der sexuellen Stimulanz diene, einst an den Sohn der Geldgeberi­n übergeben. Wie die Substanz dann in den Wein der Frau kam, sei ihm schleierha­ft.

Als das Amtsgerich­t den Fall später prüfte und auf die erhebliche­n Unterschie­de in den Ansichten der beiden Toxikologe­n über die Wirkkraft von 4-ECE stieß, schickte das Gericht die Akte jetzt direkt ans Düsseldorf­er Schwurgeri­cht zurück. Das soll nun über den Meinungsst­reit der Gutachter entscheide­n, und damit auch darüber, ob der 45-Jährige wegen heimtückis­chen Mordversuc­hs durch Gift zu bestrafen wäre. Falls überhaupt nachzuweis­en ist, dass niemand außer ihm die fragwürdig­e Substanz in den Rotwein der Frau geschüttet haben kann. Einen Termin für diesen Prozess gibt es derzeit noch nicht.

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