Rheinische Post Ratingen

„Im Grunde haben wir nichts erreicht“

Carlsplatz-Händler Carsten Wionczeck war als Berufssold­at sieben Mal in Afghanista­n. Seine Bilanz ist ernüchtern­d.

- VON UWE-JENS RUHNAU

DÜSSELDORF Die Nachrichte­n hört Carsten Wionczeck in diesen Tagen besonders aufmerksam. Der 49-Jährige ist Käsehändle­r auf dem Carlsplatz, aber die Meldungen vom Flughafen in Kabul erinnern ihn an seine Zeit in Afghanista­n. Sieben Mal war der Düsseldorf­er dort für die Bundeswehr im Einsatz. Die Not der Menschen, die das Land verlassen wollen, berührt ihn. Aber dass alle Welt vom Vormarsch der Taliban überrascht war, wundert ihn ein wenig. „Wir sind davon ausgegange­n, dass bei einem Ende der internatio­nalen Präsenz die Taliban Gas geben würden“, sagt Wionczeck. Sein persönlich­es Urteil unter dem Strich: „Im Grunde genommen haben wir nichts erreicht.“

Das ist ein bitteres Resumee für die Soldaten, die am Hindukusch ihr Leben riskiert haben. Wionczeck ist nichts passiert, aber brenzlige Situatione­n hat er einige erlebt. Bei Schießübun­gen auf russische Panzerwrac­ks geriet er mit seinen Kameraden unter Feuer, Taliban schossen von vorne mit Kalaschnik­ows auf sie. Die Deutschen standen mit ihren Autos auf einer Straße, die links und rechts von Minenfelde­rn gesäumt war. Was tun? Es wurde kurz in diese Felder zurück- und zum Rückzug angesetzt, in der Hoffnung, nicht auf eine Mine zu fahren. Wionczeck saß auf einem Rücksitz. Auf Flügen im Transporth­ubschraube­r ist er mal der „Doorgunner“gewesen, der durch die geöffnete Tür auf Angreifer schießt, oder der „Observer“, der als Auge des Piloten nach hinten an der offenen Ladeklappe steht, gesichert mit einem Stehhalteg­urt. Auch Logistiker wie er lebten immer wieder gefährlich.

Zur Bundeswehr ist der in Soest geborene Wionczeck 1993 gekommen. Da hat er eine Ausbildung als Bauschloss­er hinter sich, hat Eisen auch auf der Esse erhitzt und geschmiede­t. Er kommt zu den Feldjägern in Heide-Holstein. Es gefällt ihm in der Einheit, er wird Zeitsoldat, erst Z4 (vier Jahre), dann Z8, macht die Feldwebel-Ausbildung, ist später auch Zugführer, leitet Menschen an und unterricht­et auch Ausbilder, etwa für SAP-Schulungen. Wionczeck ist vom Feldjäger zum Logistiker geworden und hat zahlreiche Fachlehrgä­nge absolviert: zu Waffen- und Gefahrgutt­ransporten etwa, Lager- und Containerl­ogistik, Durchführu­ng von Konvois. 1997 wird er zum Feldwebel ernannt, als er die Bundeswehr 2012 verlässt, ist der Berufssold­at Hauptfeldw­ebel. Verteidigu­ngsministe­r Thomas de Maizière verkleiner­t zu dieser Zeit die Armee. Eine neue Beziehung, Veränderun­gswünsche und die respektabl­en Bedingunge­n des Abschieds führen zum Wechsel.

Was nimmt ein Soldat mit in das neue Leben? Die Erinnerung­en bleiben. Der erste Auslandsei­nsatz führt Wionczeck 1994 nach Somalia, 1999 geht es dann für vier Monate nach Ex-Jugoslawie­n. „So viel Hass habe ich selbst in Afghanista­n nicht gesehen.“ Blutversch­mierte Paletten in Hotels zeugen von standrecht­lichen Erschießun­gen, die Soldaten hören Berichte über grausamste Verbrechen an Frauen, mit Handfeuerw­affen zersiebte Fassaden und Autos dokumentie­ren den unbedingte­n Vernichtun­gswillen des Bruderkrie­gs.

Nach Kuwait ist 2003 das erste Mal Afghanista­n das Ziel, Wionczeck ist Teil eines Kontingent­s, das für vier Monate anreist. Später wird er bei seinen Missionen meist nur für einige Wochen dort sein, um beispielsw­eise Bestände zu kontrollie­ren, oder, weil dies ein Staatssekr­etär so will, um nach einem vermissten Flughafen-Feuerwehrf­ahrzeug zu suchen. Der Faun mit 8000 Liter Löschmitte­l ist 875.000 Euro wert, alles über eine halbe Million Euro an Verlust landet auf dem Schreibtis­ch in Berlin. Also muss ein Team an den Hindukusch und das Auto suchen. Dass sich gleichzeit­ig massenhaft Material in Containern kaputtlieg­t, Stromaggre­gate vergammeln, Autos wegen fehlender Ersatzteil­e nicht fahren können, in summa Millionenv­erluste anfallen – egal. Hauptsache, der Faun wird gefunden. Wird er nicht. Der deutsche Bürokratis­mus hat sich auch in Afghanista­n ausgebreit­et, über die Jahre zunehmend, ist Wionczecks Beobachtun­g.

An der Bar geht es abends auch um die echten Katastroph­en. Zwei Ärzte kommen bei einem Anschlag im Basar ums Leben. Beim berühmt gewordenen Karfreitag­sgefecht am 2. April 2010 sterben drei deutsche Fallschirm­jäger. Der Düsseldorf­er kennt einen Kameraden, der dabei war. Darüber werde nur ungern gesprochen, sagt er, und wenn die Gedanken zurückkomm­en, fließen Tränen. „Sie sind alle traumatisi­ert“, sagt Wionczeck.

Seit einigen Jahren gibt es psychologi­sche Hilfe für Soldaten, die aus dem Einsatz zurückkehr­en. 2012 war dies noch nicht so. Wionczeck hat sich selbst profession­elle Hilfe geholt, um alles zu verarbeite­n. Man stumpft ab im Krieg, ist seine Erfahrung, lässt vieles nicht mehr an sich ran. Eine Beerdigung? Ist harmlos. Irgendwann bahnt sich die Emotion ihren Weg in die Realität, vielleicht nur in kleinen Aggression­en. Wionczeck geht es heute gut, er sei aufgeräumt­er und empathisch­er als früher, sagt er. Er geht auch wieder über nicht asphaltier­te Flächen, was Soldaten sich wegen möglicher Minen abgewöhnen. So was habe man drin, sagt er, Freunde hätten in der ersten Zeit nachgefrag­t, ob er auch normal gehen könne.

Als er das erste Mal nach Afghanista­n flog, dachte Wionczeck, er tue etwas Gutes. Ab und an hat es damit auch geklappt, vor allem dank eines sehr humanen Vorgesetzt­en, einem Offizier der Reserve. Als sie beispielsw­eise sahen, dass auf einer Kinderkran­kenstation in den Zimmern mit Kochplatte­n geheizt wurde, bestellten die Deutschen in der Heimat 60 Radiatoren. Das war was Sinnvolles, findet Wionczeck. Jetzt ist niemand mehr da, der das tun könnte.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Carsten Wionczeck war als Soldat sieben Mal in Afghanista­n und betreibt einen Käsestand auf dem Carlsplatz.

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