Rheinische Post Ratingen

Tanzende Häuser und funkelndes Glas

Kontraste in Tschechien: In Prag treffen moderne Architektu­r auf barocke Statuen und traditione­lle Glaskunst.

- VON MONIKA HAMBERGER

In der Fabrikhall­e ist es stickig und laut. Mehrere Brennöfen laufen auf Hochtouren. Trotz luftiger Bekleidung und surrender Ventilator­en tropft den Künstlern Schweiß von der Stirn. Konzentrie­rt verfolgt jeder seinen Arbeitsgan­g, bevor er das Werkstück an den nächsten weitergibt. Schließlic­h handelt es sich bei Glas um äußerst zerbrechli­che Materie

„Warum sollte diese alte Kunst des Glasblasen­s nicht weiter gepflegt werden? Die Gäste können den Besuch dieser Künstlerwe­rkstätten mit Wanderunge­n durch das idyllische Kristall-Tal verbinden.“Das Tal führt über 70 Kilometer, von Steinschön­au bis Harrachsdo­rf zwischen den Höhen des Isergebirg­es, durch eine landschaft­lich reizvolle Gegend.

„So voll war die Kirche nie bei meinen Gottesdien­sten.“Jiri Pacinek, ein Mitarbeite­r der Glashütte Ajeto führt durch das mit Glaskunstw­erken bestückte Gotteshaus. Das Geständnis stammt vom örtlichen Geistliche­n während der Ausstellun­g: Nacht der Kirchen. Auf dem Weg zur Werkstatt: ein Baum aus Glas, gläserne Blüten, versteckt zwischen echten Artgenosse­n.Üppige Lüster mit geschliffe­nen Kristallgl­as-Anhängern baumeln von der Decke.

Skurrile Glas-Kreationen dekoriert auf Podesten, und in den Glas-Schaukäste­n zahllose Beispiele der Glasperlen-Kunst, sind im Glas- und Bijouterie­museum Jablonec ausgestell­t. Schon um die Mitte des 18. Jahrhunder­ts wurden in Gablonz und Umgebung Glaskurzwa­ren erzeugt. Gegen Ende des Jahrhunder­ts eroberte Imitations­schmuck aus unedlen Metallen die Modewelt. Als Gegenstück zur traditione­llen Goldkette fand das farbenpräc­htige Geschmeide schnell Anklang bei den Damen. Gablonzer Modeschmuc­k war weltweit bekannt.

Die Sonne verschwind­et hinter Wolken und verschafft der Stadt Erleichter­ung von der sommerlich­en Hitze, bevor die abendliche Abkühlung eintritt. Mit ihr füllen sich Plätze und Straßen. Prag ist trotz wichtiger geschichtl­icher Vergangenh­eit eine Stadt, in der Gegenwart pulsiert. „Habt ihr schon mal so komische Häuser gesehen?“Die Besucher stehen kopfschütt­elnd vor dem „Tanzenden Haus“. Bei den ungewöhnli­chen Formen stellt sich die Frage, wie hält alles zusammen? Seinen Spitznamen erhielt das 1996 verwirklic­hte Bürogebäud­e nach dem berühmten Tanzpaar Fred Astaire und seiner Partnerin Ginger Rogers. Idee und Pläne stammten von dem tschechisc­hen Architekte­n Vlado Milunic und dem Kanadier Frank Gehry. Entgegen aller Gesetze von Statik und Gleichgewi­cht erscheint es, als wären die Beiden mitten in einer imaginären Melodie erstarrt. Vielleicht ist es auch eine Form des Kubismus, der Anfang des 20. Jahrhunder­ts in Prag auf fruchtbare­n Boden fiel. Diese Kunstricht­ung zieht die Schräge

der Geraden vor. Egal, ob es sich dabei um Kaffeetass­en, Möbel oder gar Gebäude handelt.

Die Ablegestel­le unter dem Gewölbe wirkt gespenstis­ch. Leise, mit Elektromot­or setzt sich die Barke in Bewegung. „Eigentlich bin ich während der Woche auf dem Rhein mit einem Schleppkah­n unterwegs,“erklärt Kapitän Radan

den Bootsgäste­n. „Das hier ist nur ein bisschen Zubrot in meiner Freizeit.“Um mehr als durchschni­ttlich 5000 Euro Rente im Jahr zu erhalten, sind viele Tschechen gezwungen, mehrere Arbeiten anzunehmen. Das Boot gleitet fast geräuschlo­s durch das Wasser der Moldau. Nur das Plätschern der Wellen am Bug ist zu vernehmen. Vom Wasser aus wird eine völlig andere Perspektiv­e auf die Stadt vermittelt. Hoch oben auf den Felsen erstreckt sich die Burgstadt Hradschin mit dem St. Veits Dom, und am gegenüberl­iegenden Ufer die alte Festung Vyšehrad mit dem bedeutende­n Friedhof sowie der Hl.-Peter-und-Paul-Basilika. Seit über 1000 Jahren ist die Prager Burg ein Symbol der Macht. Einst Sitz der Herrscher beherbergt sie heute den Präsidente­n.

Unter dem gewaltigen Brückenbog­en aus Sandsteinq­uadraten ist von dem emsigen Treiben oberhalb nicht viel bemerkbar. Das Boot verharrt kurz, als Radan Melodien von Smetanas Moldau aus Lautsprech­ern ertönen lässt. Die Karlsbrück­e, die sich erst seit 1870 so nennen darf, wurde 1357 von Karl IV. gestiftet. Der böhmische König wollte in Prag ein spirituell­es und kulturelle­s Zentrum Europas erschaffen. Zwischen vielen barocken Statuen, die erst im 17. Jahrhunder­t hier ihren Platz fanden, machen Porträtmal­er und Musikgrupp­en auf sich aufmerksam. Vor den Figuren mit Blick über Fluss und Stadt posieren Paare für Selbstport­räts mit ihren Mobiltelef­onen. Kaum jemand gedenkt des tschechisc­hen Heiligen Johannes Nepumuk, der hier gefoltert und von dieser Brücke in die Moldau geworfen wurde.

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Ein Porträtmal­er auf der Karlsbrück­e

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