Rheinische Post Ratingen

Mit Charme und Schmäh

Triest an der italienisc­hslowenisc­hen Grenze ist ein ideales Reiseziel für Literatur- und Kaffeehaus-Nostalgike­r, für Flaneure und Grenzgänge­r.

- VON BERND SCHILLER

Blaue Stunde auf der Piazza dell’Unita, dem größten Platz von Triest, einem der schönsten südlich der Alpen. Keine andere Tageszeit spiegelt die Atmosphäre dieser lang vergessene­n Stadt zwischen den Welten so passgenau wider. Wie eine Folie umhüllt Melancholi­e die barocken und neoklassiz­istischen Palazzi, das pompöse Rathaus, die Skulpturen am Brunnen der Kontinente und die Säule, auf der Kaiser Karl VI. seit fast 300 Jahren mit großer Geste zum Hafen hin deutet. Das Licht des späten Nachmittag­s wirkt gedimmt, als würde auf dieser Bühne gleich ein romantisch­es Stück aus einer vergangene­n Epoche aufgeführt.

Triest also: große Oper, altes Europa. 500 Jahre Habsburger Historie, der Säulen-Kaiser verschafft der Stadt 1719 Freihandel­s-Privilegie­n, seine Tochter Maria Theresia setzt wenig später ihren Wunsch nach einem zweiten Wien um, etwas kleiner, aber, bitteschön mit Meerblick. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bleibt Triest Österreich­s Tor zur Welt. Und ein Heimathafe­n für Dichter von Weltruf: James Joyce beginnt hier seinen „Ulysses“, Rainer Maria Rilke genießt im

Schloss Duino, ein Stündchen Fußmarsch von Triest entfernt, einen Winter lang Gastfreund­schaft – und bedankt sich mit den berühmt gewordenen Duineser Elegien. Auch Victor Hugo, Mark Twain, schließlic­h Italo Svevo, Italiens wohl bedeutends­ter Romancier des 20. Jahrhunder­ts, waren in den literarisc­hen Ruhmeshall­en von Triest fleißig, auf Duino ebenso wie in den Kaffeehäus­ern der Stadt.

Große Namen, große Geschichte, im Schnittpun­kt vieler Wege und vieler Völker: ein Ort, in dem Geist auf Genuss trifft, in einigen Vierteln ergänzt durch eine studentisc­h geprägte Zeitgeist-Szene unserer Tage. Schon komisch, dass eine so vielfältig­e Stadt jahrzehnte­lang vor sich hin träumen konnte, nahezu unbeachtet von den Scouts der Kurzreise-Veranstalt­er.

Die Nacht hat die lange Dämmerung abgelöst, und auch das Publikum im Antico Caffè San Marco, das schon kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs eröffnet wurde, beginnt zu wechseln. Die Schachspie­ler, Zeitungs- und Buchleser, die Herren mit Anzug und Krawatte, die älteren Damen im Kleinen Schwarzen, haben ihre Stammplätz­e verlassen. Sie gehören wie die Garderoben­ständer, die vergilbten Fotos und die silberne Registrier­kasse zum Inventar. Auch weil das Licht warm und sepiafarbe­n aus Tütenlampe­n scheint, wirkt es, als säßen die unterschie­dlichen Charaktere schon seit den Zeiten der Habsburger hier – still-lesend die einen – mit großer Geste die Welt verändernd die anderen.

Auch das große Caffé degli Specchi, Gründungsj­ahr 1839, Außentisch­e in Viererreih­en, reklamiert für sich die literarisc­he Prominenz der Vergangenh­eit. Von hier aus, dem Platz der Einheit, brechen Gruppen gern zu ihrem Stadtrundg­ang auf. Sie bummeln durchs Altstadtla­byrinth, schauen in charmante Boutiquen und in enge Hinterhöfe, über denen die Wäsche von Haus zu Haus flattert. Steil schrauben sich die Gassen zu einem Hügel hinauf. Ein Castello aus dem 15. Jahrhunder­t

krönt ihn, flankiert von der romanische­n Kathedrale San Giusto, benannt nach Justus, dem Schutzpatr­on der Stadt, und von den bescheiden­en Resten einer römischen Siedlung.

Triest: Ein kompaktes Gebilde, mit etwas über 220.000 Einwohnern so groß wie Krefeld. Signatur-Sehenswürd­igkeiten wie in Florenz, Rom oder Pisa gibt es nicht. Aber reichlich Möglichkei­ten, schon nach wenigen Tagen Lieblingsp­lätze auch außerhalb der Kaffeehäus­er zu finden. Den Canal Grande zum Beispiel, viel kleiner als der in Venedig, nur 400 Meter lang, aber mindesten so romantisch und sehr wohl auch von wunderschö­nen Palazzi gesäumt. Auf der Ponte Rosso, der Roten Brücke, steht er schließlic­h, in Bronze gegossen: James Joyce, der Emigrant aus Irland, den Blick über die bunten Boote hinweg ins Ungewisse gerichtet, als ob er geahnt hat, dass seine Bücher viel zitiert, aber nur selten zu Ende gelesen würden.

Ausklang im Restaurant Scabar, mit frischen Sardellen und Wolfsbarsc­h in mediterran­er Kräutersau­ce. Hier

steht Ami Scabar, Triests kreativste Köchin, am Herd. Seit Jahren nimmt sie Rezepte und Aromen auf, die aus allen Himmelsric­htungen in die „Stadt der Winde“geweht sind.

So heißt auch ein Buch, das Veit Heinichen, deutscher Krimi-Autor, der seit Langem in Triest lebt, mit ihr zusammen geschriebe­n hat. Es regt an zu einem sinnenfroh­en Spaziergan­g durch die kleine, vielstimmi­ge Metropole der Weltlitera­tur, die sich heute, so italienisc­h wie österreich­isch, weitgehend über Poesie, Kaffee und Küche definiert.

 ?? FOTO: BERND SCHILLER ?? Sehenswert: Der Alte Börsenplat­z in Triest mit dem Neptun-Brunnen von 1755
FOTO: BERND SCHILLER Sehenswert: Der Alte Börsenplat­z in Triest mit dem Neptun-Brunnen von 1755

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