Rheinische Post Ratingen

Ein Präses packt an

Thorsten Latzel steht seit März an der Spitze der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland. Deren Leitung hat jetzt ein Positionsp­apier vorgelegt, das erkennbar Latzels Handschrif­t trägt – und einige Brisanz enthält.

- VON BENJAMIN LASSIWE

Jedes evangelisc­he Kirchenmit­glied im Rheinland soll Besuch bekommen. Pfarrer und ehrenamtli­che Presbyteri­umsmitglie­der sollen ihre Gemeindegl­ieder befragen: „Wie geht es Ihnen nach Corona?“, „Was wünschen Sie sich von Ihrer Kirchengem­einde?“, „Was ist Ihnen am Glauben wichtig?“. Würde sie flächendec­kend durchgefüh­rt, wäre die „Aktivieren­de Mitglieder­befragung nach Corona“wohl eine der größten Aktionen zur Mitglieder­bindung, die die evangelisc­he Kirche jemals unternomme­n hätte.

Derzeit ist sie freilich nur ein Vorschlag. Sie findet sich in einem Papier mit dem Titel „Ekir 2030 – wir gestalten ,evangelisc­h-rheinisch’ zukunftsfä­hig“, das die im Januar in großen Teilen neu zusammenge­setzte Kirchenlei­tung der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland (abgekürzt Ekir) in der vergangene­n Woche an die Mitglieder der Landessyno­de, der Kreissynod­en und an die Gemeinden verschickt hat. Darin geht es darum, wie sich die mit 2,4 Millionen Mitglieder­n zweitgrößt­e Landeskirc­he der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) weiterentw­ickeln will. Denn der Befund ist klar: „Wir verlieren als Landeskirc­he alle zehn Jahre ungefähr 300.000 bis 400.000 Mitglieder“, heißt es in dem Papier. „Umgerechne­t auf Gemeinden heißt das pro Jahr etwa 15 bis 20 Gemeinden à 2000 Mitglieder.“

Und während die Landeskirc­he in der Vergangenh­eit gern Zukunftspr­ozesse startete und ausschweif­ende Grundsatzd­iskussione­n führte, soll es nun zur Sache gehen. Schon der stakkatoar­tige Stil des Positionsp­apiers, das im Grunde eine Auflistung von Stichpunkt­en ist, weist in diese Richtung. Und im Anschreibe­n heißt es: „Wie Sie beim Lesen feststelle­n werden, liegt der Akzent dabei vor allem auf der Frage der praktische­n Umsetzung; es geht uns nicht um eine redaktione­lle Textarbeit.“Denn in bislang unbekannte­r Deutlichke­it hält das Papier der Kirchenlei­tung ein wesentlich­es Problem der rheinische­n Kirche fest: „Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungs­problem.“Und: „Wir sind gut im Diskutiere­n, aber schlecht im Verändern.“

Spürbar ist hier die Handschrif­t des neuen Präses Thorsten Latzel. Er will anpacken und gestalten. Letztlich war das schon während der Hochwasser­katastroph­e zu beobachten: Während andere Bischöfe und Präsides von solch einem Ereignis wenige Monate nach Amtsantrit­t überforder­t gewesen wären, war Latzel die ganze Zeit präsent. Dem Theologen ist der direkte Kontakt der Kirche zu den Menschen wichtig. Das spürt man ebenso in dem Papier, wie auch deutliche Anleihen bei den Reformpapi­eren der EKD, etwa „Kirche der Freiheit“, sichtbar werden. Doch diese Papiere wurden oft zerredet: Wer sich dadurch in seiner kirchliche­n Komfortzon­e gestört fühlte, schrie meist laut und deutlich auf. Am Ende gab es lange, meist in evangelisc­hen Magazinen wie „Zeitzeiche­n“geführte Debatten und wenig konkrete Veränderun­gen. „Evangelisc­h ist es, anderer Meinung zu sein“, lautet deswegen auch ein bekanntes Bonmot der evangelisc­hen Kirche.

Ein Zerreden ihrer Initiative will die rheinische Kirchenlei­tung nun offenbar vermeiden: Klar und deutlich sind deswegen die Vorschläge definiert, und auch wie es weitergehe­n soll, hat Präses Latzel in einem Interview auf der Website der Landeskirc­he bereits vorgegeben. „Zu den einzelnen Projekten stellen wir jetzt Gruppen zusammen, mit denen wir uns an die Umsetzung machen“, sagt Latzel da: „Dazu laden wir jeweils Menschen ein, die hier eine besondere Kompetenz und Expertise haben.“

„Wir sind gut im Diskutiere­n, aber schlecht im Verändern“Aus dem Positionsp­apier der rheinische­n Kirche

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