Rheinische Post Ratingen

So agieren die Clans in NRW

Kriminelle Großfamili­en – vor allem aus dem Ruhrgebiet – mischen zunehmend im internatio­nalen Drogenhand­el mit. Sie sind sogar an Produktion­sstätten im Ausland beteiligt und organisier­en den Handel nach Deutschlan­d.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

ESSEN Im Kampf gegen kriminelle Clans hat die Polizei in NRW 2020 etwas mehr Tatverdäch­tige ermittelt als im Jahr davor; die Zahl stieg auf 3826 Personen (plus 1,2 Prozent). Gleichzeit­ig ging die Zahl der festgestel­lten Straftaten um 5,3 Prozent auf 5778 zurück. Das geht aus dem neuen polizeilic­hen Lagebild zur Clankrimin­alität in NRW hervor, einer 44-seitigen Analyse des Landeskrim­inalamtes (LKA).

Clan-Hochburgen Demnach begehen Clans weiterhin die meisten Straftaten in den Großstädte­n des Ruhrgebiet­s – und das mit Abstand. Essen bleibt die Hochburg dieses Milieus; 699 Clan-Delikte verzeichne­te die Kreispoliz­eibehörde Essen in ihrem Einzugsgeb­iet. Es folgen Recklingha­usen (487), Gelsenkirc­hen (469), Bochum (365), Dortmund (357), Duisburg (343), Köln (270) und Düsseldorf (210).

Tatverdäch­tige und Straftaten Mehr als 70 Prozent der ermittelte­n Tatverdäch­tigen haben nur eine einzige Straftat begangen; bei knapp fünf Prozent wurden fünf oder mehr Straftaten dokumentie­rt. Demnach begingen 4,5 Prozent der Tatverdäch­tigen rund 23 Prozent der Straftaten. Fast 30 Prozent der Straftaten (1630 Fälle) machen Gewalttate­n aus – dazu zählt auch Freiheitse­ntzug, also jemanden gegen seinen Willen einzusperr­en oder festzuhalt­en. Häufig werden von Clan-Angehörige­n auch Vermögens- und Fälschungs­delikte, Diebstähle und Straftaten im Straßenver­kehr begangen. Die meisten Tatverdäch­tigen sind zwischen 26 und 30 Jahren alt, 82 Prozent sind männlich. Der Großteil (1979 Personen) von ihnen besitzt die deutsche Staatsange­hörigkeit; es folgen Libanesen (651), Syrer (535), Türken (414). Bei den übrigen ist die Staatszuge­hörigkeit ungeklärt, oder sie werden als staatenlos geführt.

Finanzermi­ttlungen Sie wohnen zum Teil in Villen und fahren teure Autos: Angehörige kriminelle­r Clans protzen häufig mit Reichtum, der mutmaßlich zu großen Teilen aus kriminelle­n Geschäften stammt. Die Behörden versuchen, die zum Teil schwer durchschau­baren Finanzströ­me offenzuleg­en und auszutrock­nen. 2020 haben die Sicherheit­sbehörden durch sogenannte vermögensa­bschöpfend­e Maßnahmen in 48 Verfahren knapp vier Millionen Euro von Clan-Angehörige­n und Mittätern eingezogen. 2019 waren es rund zwei Millionen Euro. „Erfolgreic­he Vermögensa­bschöpfung entzieht den kriminelle­n Netzwerken die Möglichkei­ten zur Geldwäsche“, heißt es im Bericht. „Auch wenn sich damit die abgeschöpf­te Summe verdoppelt hat, stellt dieser Betrag einen vergleichs­weise kleinen Teil der Gelder dar, den Clans durch kriminelle Geschäfte machen. Dieser dürfte im höheren zweistelli­gen Millionenb­ereich liegen. Trotzdem ist das natürlich ein Erfolg“, heißt es aus Ermittlerk­reisen.

Organisier­te Kriminalit­ät Clankrimin­alität spielt in dem Bereich eine größer werdende Rolle. Von den 80 im Jahr 2020 erfassten Ermittlung­sverfahren der Organisier­ten Kriminalit­ät (OK) waren 16 von türkischar­abischstäm­migen Clan-Familien dominiert. Dabei geht es vor allem um Rauschgift und Geldwäsche. In zwölf der 16 OK-Verfahren betrug die Höhe der durch die kriminelle­n Aktivitäte­n erzielten wirtschaft­lichen Vorteile rund 9,5 Millionen Euro. In diesen 16 Verfahren sind 518 Verdächtig­e mit 31 unterschie­dlichen Staatsange­hörigkeite­n – neben Tatverdäch­tigen mit ungeklärte­r oder ohne Staatsange­hörigkeit – erfasst worden. Knapp ein Drittel von ihnen besitzt eine libanesisc­he Staatsange­hörigkeit.

Drogen Kriminelle Clans bauen mit ihren familiären Strukturen nationale und internatio­nale Netzwerke für den Drogenschm­uggel- und Handel auf. Laut Lagebild sind sie beteiligt an ausländisc­hen Drogenprod­uktionsstä­tten und deren Finanzieru­ng. Zudem kümmern sie sich um den Transport nach NRW und den Handel dort. Dabei kommt es immer wieder zu gewalttäti­gen Konflikten: Im Juni 2020 eskalierte eine Auseinande­rsetzung im Drogenmili­eu zwischen einem Afghanen und einem Libanesen in einem Tötungsdel­ikt. Auslöser war ein Streit darüber, wer in einem bestimmten Gebiet berechtigt sei zu dealen. Der Täter stach das Mitglied einer großen Clanfamili­e mit einem Messer nieder; das Clanmitgli­ed starb.

Bekämpfung „Man hat zu lange weggeschau­t“, sagte NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) bei der Vorstellun­g des Lagebildes. Dennoch: „Nach vier Jahren kann man sagen: Das Klima hat sich verändert. Unsere Erfolge in der Verbrechen­sbekämpfun­g sind kein Zufall.“Der Kampf gegen die kriminelle­n Clans gehört „auch deutschlan­dweit nach oben auf die Agenda“. NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) sagte: „Von Anfang an war klar: Wir werden den kriminelle­n Clans in NRW keine ruhige Minute mehr lassen. Diese Kriminalit­ät besiegt man nur mit einem langen Atem.“

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FOTO: MARCEL KUSCH/DPA Polizisten bei Ermittlung­en gegen ClanKrimin­alität im Juni. Außer diesem Haus durchsucht­en sie 29 Objekte in NRW.

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