Corona belastet den Servicesektor schwer
Den Dienstleistern ist in den Lockdowns das Personal förmlich davongelaufen. Die Aufstockung läuft zäh.
DÜSSELDORF Wenn Michael Brill, Chef von D-Live, der Veranstaltungstochter der Stadt Düsseldorf, über den Herbst nachdenkt, hat er einen Traum und einen Albtraum. Zuerst der Traum: Toll wäre es natürlich, wenn Fortuna Düsseldorf irgendwann wieder Tickets für alle Plätze im Stadion verkaufen darf. Ob es dann auch perfekten Service geben wird, da ist er sich nicht so sicher: „Wir selbst haben zwar genügend Leute. Aber viele Partnerfirmen haben in den 18 Monaten Corona-Krise viele Leute verloren.“Wie schwierig die Lage sei, habe sich schon beim Open-Air-Kino gezeigt: „Es war schwer, Aufbauhelfer zu finden. Also haben wir viele Sachen selbst gemacht.“
Brill ist mit diesem Problem nicht allein: Egal ob Veranstalterbranche, Gastronomie, Hotels oder Reisegeschäft – alle Wirtschaftszweige, die während der Lockdowns heruntergefahren wurden, klagen nun über Schwierigkeiten, ihr Geschäft wieder ans Laufen zu bekommen.
Das gilt auch für die Luftfahrtbranche: Monatelang flogen in Köln-Bonn und Düsseldorf nur rund zehn Prozent so viele Jets wie früher, nun hakt es im Betrieb: Am Flughafen Düsseldorf kam es zu langen Warteschlangen, weil eine Airline viel zu wenig Abfertigungspersonal eingeplant hatte. Das Sicherheitspersonal am Flughafen blieb zwar weitgehend an Bord und kann das aktuelle Hochlaufen bewältigen, doch gibt es nach Einschätzung der Gewerkschaft Verdi zu wenige Mitarbeiter, um etwa Reisende im Rollstuhl zu betreuen. „Da werden nun händeringend Leute gesucht“, sagt Verdi-Sekretär Özay Tarim. „Die zuständige Firma hätte besser die eingearbeiteten Leute in der Krise gehalten.“Der Flughafen bestätigte auf Anfrage, dass „vermehrt Personal“für diese Aufgabe gesucht werde, um zu Spitzenzeiten flexibler zu reagieren.
In Köln-Bonn fielen so viele Stellen von Gepäckentladern weg, dass Eurowings als die vor Ort wichtigste Airline in den Sommerferien eigene Leute zum Ausladen von Koffern und Taschen einsetzte. Der Lufthansa-Ableger hat nun auch Schwierigkeiten, das eigene Personal wieder schnell genug aufzustocken. 250 Stellen für Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter wurden soeben neu ausgeschrieben – allerdings nachdem vorher der Kölner Ableger Germanwings dichtgemacht worden war.
Noch schwerer fällt es Restaurants, Gaststätten und Hotels, wieder auf Normalbetrieb umzuschalten: „Sehr viele Unternehmen suchen Personal“, sagt Thorsten Helllwig, Pressesprecher des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga NRW. Vor der Pandemie seien rund 400.000 Menschen in der Branche in NRW beschäftigt gewesen, aktuell seien es nur noch 330.000. „Viele haben sich umorientiert“, so Hellwig. Es sei für die Unternehmen schwer, die Leute zurückzuholen. „Die Gastronomie wurde als Erstes geschlossen und erst am Ende geöffnet.“Nun brauchten die Menschen eine gewisse Sicherheit, um zurückzukehren: „Auch darum muss die Politik klarstellen, dass es keinen neuen Lockdown geben kann.“
Die Verwerfungen treffen sowohl große als auch kleine Unternehmen. „Der Glaube von Top-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurde durch die neuneinhalb Monate Lockdown zutiefst erschüttert“, sagte Johannes Bühler, Chef der deutschlandweit operierenden HamburgerKette Hans im Glück, die rund 3500 Mitarbeiter hat, kürzlich dem „Handelsblatt“.
Colja Dams, Leiter der Wuppertaler Veranstaltungsfirma Vok Dams, berichtet, dass eine Reihe von Mitarbeitern das global agierende Unternehmen mit seinen aktuell rund 300
Beschäftigten verlassen habe, weil die Menschen unsicher seien, ob es nach Monaten der Kurzarbeit wieder dauerhaft aufwärts gehe. In der ganzen Veranstaltungsbranche Europas fiel jeder zweite Job weg, nun ist das Personal knapp.
Kunden zögen daraus Konsequenzen, so Dams: „In Rahmenverträgen werden schon Kapazitäten für Veranstaltungen 2025 oder 2026 gebucht. So wollen unsere Partner sicherstellen, dass alles gut klappt und dass die Preise bis dahin nicht weiter steigen.“Auch er hat in der Pandemie hinzugelernt: Die Zentrale in Wuppertal betritt er nur selten und konferiert mit der Belegschaft lieber per Videokonferenz. Die häufigen Flüge nach New York oder Asien liegen auch nicht mehr im Fokus, Vorträge hält er per Videopräsentation. Und auch die Veranstaltungen für Partnerfirmen wie früher Vodafone oder Lufthansa erhalten einen anderen Charakter: „Hybride Veranstaltungen liegen im Trend. Dann kommt ein Teil der Gäste auch tatsächlich beispielsweise zur Präsentation eines Produkts, aber viele andere schauen ohne großen Aufwand eben nur zu.“
Wie es nun weitergeht? „Der Wiederaufbau bestimmter Servicebranchen wie Gastronomie oder Veranstaltungen wird nun einige Zeit dauern“, sagt Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs Prognosen am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg. Viele Leute hätten relativ schnell neue Tätigkeiten etwa im Handel gefunden, jetzt müsse neues Personal geschult werden. Das sei im Prinzip oft relativ einfach, aber die Menschen müssten bessere Perspektiven erhalten. Darum rät er der Politik, über ein Anreizprogramm nachzudenken, damit viele frühere 450-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze umgewandelt werden: „Das wäre ein intelligenter Neustart. Eine bessere soziale Absicherung könnte mehr Leute anziehen.“