Rheinische Post Ratingen

Von Helden zu Staatsfein­den

Jana Maximowa und Andrej Krawtschen­ko waren zwei der erfolgreic­hsten belarussis­chen Leichtathl­eten. Dann stellten sie sich auf die Seite der Opposition. Über eine junge Familie, die nach Duisburg geflohen ist und neu anfangen will.

- VON MARC LATSCH

DUISBURG Am 22. Juli veröffentl­icht Jana Maximowa ein Bild auf ihrer Instagram-Seite. Sie trägt eine weißrote Fahne, die sie zu einem Kleid zusammenge­bunden hat. „Hier ist mein heutiges Fotoshooti­ng. Wie gefällt es euch?“steht auf Russisch darunter. Ein Beitrag, der für Maximowa sehr gefährlich werden kann. Rot-weiß, das sind in ihrer Heimat Belarus die Farben der Opposition­sbewegung. Farben, die bereits viele Menschen ins Gefängnis gebracht haben. Doch Maximowa ist zu diesem Zeitpunkt für das Regime schon unerreichb­ar. Am selben Tag veröffentl­icht sie ein weiteres Bild. Sie lehnt an einem Geländer und schaut aufs Wasser. Am Innenhafen in Duisburg, ihrer neuen Heimat.

Bevor Maximowa zur Staatsfein­din wird, ist sie eine der erfolgreic­hsten Leichtathl­etinnen ihres Landes. Die 32-Jährige ist vielfache belarussis­che Meisterin im Hochsprung, Fünf- und Siebenkamp­f. 2008 gewinnt sie Silber bei den Juniorenwe­ltmeisters­chaften. Rein sportlich hätte es in diesem Jahr wohl zu ihrer dritten Olympiatei­lnahme gereicht. Doch Maximowa hatte gemeinsam mit ihrem heutigen Mann, dem Zehnkampf-Europameis­ter Andrej Krawtschen­ko, einen offenen Brief unterschri­eben. Einen Brief, in dem zahlreiche Sportler den belarussis­chen Diktator Alexander Lukaschenk­o kritisiere­n, Neuwahlen und die Freilassun­g politische­r Gefangener fordern.

Maximowa und Krawtschen­ko leben zu diesem Zeitpunkt mit ihrer kleinen Tochter in einem Dorf in der Nähe der belarussis­chen Hauptstadt Minsk. Im September 2020, kurz nachdem der Brief veröffentl­icht wird, bekommen sie dort unangekünd­igten Besuch von vier Männern. „Ich wurde angesproch­en, dass ich lieber an Jana und die Familie denken solle, anstatt mich politisch zu äußern“, sagt Krawtschen­ko. „Ansonsten würde es mir schlecht gehen.“Zwei Monate nach dem Drohbesuch wird der heute 35-Jährige nach einer Demonstrat­ion festgenomm­en und bleibt für zehn Tage in Haft. „In Belarus wurde es für uns lebensgefä­hrlich“, sagt er.

ZÜRICH (dpa) Für internatio­nale Wechsel sind Berechnung­en des Fußball-Weltverban­ds Fifa zufolge im vergangene­n Jahrzehnt insgesamt 48,5 Milliarden US-Dollar an Transferen­tschädigun­gen gezahlt worden. Dabei wurden 133.225 grenzübers­chreitende Transfers und Leihgaben im Zeitraum von 2011 bis 2020 analysiert, wie die Fifa am Montag mitteilte. Vor zehn Jahren wurden 2,85 Milliarden ausgegeben, das Maximum war 2019 mit 7,35 Milliarden erreicht. Auch coronabedi­ngt sank die Summe im Vorjahr auf 5,63 Milliarden.

In dem Gesamt-Zeitraum nahmen deutsche Klubs laut der Fifa mehr als 3,42 Milliarden US-Dollar an Transferen­tschädigun­gen ein und gaben rund 4,35 Milliarden aus – ein Minus von mehr als 900 Millionen. Das ist das vierthöchs­te Defizit hinter England (7,2 Milliarden), China (1,5 Milliarden) und Italien (1,3 Milliarden). Für einen Transfer wurden mehr als 200 Millionen US-Dollar gezahlt: Paris gab für Neymar 2017 umgerechne­t 263 Millionen US-Dollar aus.

Dass Maximowa und Krawtschen­ko an einem trüben Spätsommer­morgen in Duisburg ihre Geschichte erzählen können, hat viel mit den Olympische­n Spielen in Peking 2008 zu tun. Damals gewinnt Krawtschen­ko nicht nur Silber, er lernt auch Maximowa kennen, die sich „auf den ersten Blick“in ihn verliebt. Und: Er tritt gegen den Duisburger Zehnkämpfe­r Michael Schrader an. Als Krawtschen­ko und Maximowa im Juli diesen Jahres aus Belarus fliehen, wird Krawtschen­ko gefragt, ob er jemanden in Deutschlan­d kennt. Er nennt Schraders Namen, also landet seine kleine Familie in Duisburg. Die Stadt stellt ihnen dort eine kleine Wohnung zur Verfügung.

Statt selbst an den Olympische­n Spielen teilzunehm­en, sieht Maximowa nun von Deutschlan­d aus das Drama um ihre ehemalige Mannschaft­skollegin Kristina Timanowska­ja.

Als die Sprinterin öffentlich ihren Trainer kritisiert, soll sie nach Belarus ausgefloge­n werden. Am Flughafen in Tokio rettet sie sich in den Schutz der lokalen Behörden, flieht nach Polen und ist seitdem ein Symbol des Widerstand­s gegen das Lukaschenk­o-Regime. Maximowa und Krawtschen­ko hadern mit dieser Erzählung. „Kristina war immer ein sehr unpolitisc­her, aber sehr aufbrausen­der Mensch“, sagt Maximowa. „Viele halten sie für eine Heldin, dabei ist alles nur aus Zufall passiert. Sie wollte das gar nicht.“

In den ersten Wochen in Deutschlan­d dokumentie­rt das Paar sein neues Leben in den sozialen Medien. Die Bilder zeigen die junge Familie in Duisburg, Maximowa beim Training oder bei einer Demonstrat­ion in Düsseldorf gegen die belarussis­chen Machthaber. Trotz aller Schwierigk­eiten, den beiden gefällt es in ihrem neuen Zuhause. „In Belarus sind alle bedrückt und traurig. Wenn man hier herumläuft, lächeln die Leute und fragen, wie es einem geht“, sagt Krawtschen­ko. Sie hätten gehört, dass Duisburg nicht gerade den fröhlichst­en Ruf in Deutschlan­d hat. „Aber alles ist relativ. Es kommt immer darauf an, womit man es vergleicht“, sagt Maximowa.

Dennoch will das Paar so bald wie möglich umziehen. Aus rein sportliche­n Gründen. „Ich möchte 2024 an den Olympische­n Spielen in Paris teilnehmen“, sagt Maximowa. Am liebsten im Hochsprung und am liebsten für Deutschlan­d. Vergangene Woche waren die Leichtathl­eten daher in Leverkusen zu Gast. Sie schauten sich die Trainingsm­öglichkeit­en bei Bayer 04 an, führten Gespräche. „Wir müssen schauen, ob ich dort vielleicht trainieren kann“, sagt Maximowa. Krawtschen­ko, der seine Karriere verletzung­sbedingt beenden musste, will als Trainer arbeiten.

Es wäre ein erster Schritt, um in Deutschlan­d anzukommen. Denn an eine baldige Rückkehr nach Belarus glauben die beiden Sportler nicht. Der Wandel werde Zeit brauchen, sagt Krawtschen­ko: „Ich denke schon, dass sich langfristi­g etwas ändern wird. Langsam erfahren viele Menschen, was dort wirklich passiert. Aber es dauert alles.“

Transfers für 48 Milliarden Dollar in einem Jahrzehnt

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FOTO: PRÜMEN Jana Maximowa und Andrej Krawtschen­ko kamen mit ihrer kleinen Tochter zum Termin in der Duisburger Innenstadt.

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