Nur Fliegen ist schöner – aber auch besser?
Kurzstreckenflüge innerhalb Deutschlands sehen die Grünen als wenig zukunftsträchtig an. Sie wollen lieber den umweltfreundlicheren Schienenverkehr attraktiver machen.
Im Wahljahr wollen die Bürger wissen, woran sie sind. Deshalb suchen wir uns die wichtigsten Aussagen der Parteien heraus und legen sie auf die Goldwaage: Wie realistisch ist das Programm, was bedeutet es für die Menschen? Darüber diskutieren wir mit Machern, Kritikern und Experten. Das Ergebnis können sie jeden Samstag bei uns im Aufwacher-Podcast als Spezialfolge hören und als Zusammenfassung in der Zeitung sowie online nachlesen.
Die These Über den Wolken… kostet die Freiheit schon lange kein Vermögen mehr. Vor Corona boomten die Billigflieger, jettete man mal eben von Düsseldorf nach Hamburg. Das soll sich ändern finden die Grünen – auch wenn nur 2,5 Prozent aller CO2-Emissionen weltweit auf den Luftverkehr entfallen. „Nach der Pandemie wollen wir kein Zurück zum unbegrenzten Wachstum des Luftverkehrs, sondern diesen am Ziel der Klimaneutralität ausrichten. Kurzstreckenflüge wollen wir ab sofort Zug um Zug verringern und bis 2030 überflüssig machen, indem wir massiv Bahnangebote ausweiten und für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen, die die ökologischen Kosten wiederspiegeln“, heißt es im Parteiprogramm.
Der Plan Unter einem fairen Wettbewerb versteht Stefan Gelbhaar auch die Einführung einer Kerosinsteuer für innerdeutsche Flüge. Letztere seien im Vergleich zu Fernbus und Bahn praktisch steuerfrei, argumentiert der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag. Insbesondere die Schienenverbindungen zwischen den Metropolen, etwa zwischen Köln und Berlin oder zwischen Frankfurt und Berlin, sei ausbaufähig, findet der 45-Jährige. Wo dies bereits geschehen sei, habe der Flugverkehr deutlich nachgelassen. Und natürlich seien viele Flugreisen durch Video-Konferenzen ersetzbar. Das habe sich in der Corona-Krise deutlich gezeigt. Damit sich auch Geringverdiener Fernreisen leisten könnten, müsse die Möglichkeit von Sozialtickets geprüft werden.
Die Gegenrede Eine neue Kerosinsteuer hält Bernd Reuther für wenig zielführend, zumal es ja schon eine Luftverkehrssteuer gebe, die es abzuschaffen gelte. Inlandsflüge blieben wichtig, da zwei Drittel davon von Geschäftsreisenden absolviert würden, die ihre Termine mit der Bahn nicht schaffen würden, gibt der FDP-Bundestagsabgeordnete aus Wesel, der zugleich Mitglied im Verkehrsausschuss ist, zu bedenken. Das sei auch im Sinne der sozialen Marktwirtschaft. Bei einem Drittel der innerdeutschen Flüge handele es sich zudem um Zubringerflüge für weitergehende Reisen. Besser sei es, Kerosin durch umweltfreundlichere synthetische Kraftstoffe oder Wasserstoff zu ersetzen, fordert der 50-Jährige.
Die Einordnung „Fliegen ist mit Sicherheit kein Beitrag zum Klimaschutz“, stellt Jana Wolf fest – auch wenn der Schaden dadurch vergleichsweise gering sei. Aber für den Klimaschutz müssten alle Bereiche in den Blick genommen werden, findet die Berliner Korrespondentin der Rheinischen Post. Andererseits ermögliche Fliegen das weltweite Reisen, auch das dürfe die Politik nicht aus den Augen verlieren. Dass eine Kerosinsteuer dazu beitrage, die Zahl der Inlandsflüge wirksam zu verringern, hält Jana Wolf für wenig wahrscheinlich: Zum einen sei dem Gros der Geschäftsreisenden der Preis egal, zum anderen sei nicht sicher, dass die Mehrbelastung auch an die Passagiere weitergegeben werde. Schließlich sei ein attraktiver Ticketpreis für die Airlines überlebenswichtig. Während die FDP vornehmlich die Interessen der Wirtschaft im Auge habe, seien die Grünen ehrlicher: „Klimaschutz“, so Wolf, „muss Verhaltensänderungen mit sich bringen. Wir stehen da vor einer wirklich großen Aufgabe.“Koalitionsverhandlungen über die Umweltverträglichkeit von Mobilität würden mit Sicherheit schwierig. Die größte Schnittmenge sieht die RP-Redakteurin bei Grünen und SPD.
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