Rheinische Post Ratingen

Das Problem mit der Balance

Arbeit und Privates immer strikt zu trennen, kann auch erschöpfen­d sein.

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Während der Pandemie fand Arbeit und Privatlebe­n für viele Menschen plötzlich in denselben Räumen statt. Das hat neue Fragen aufgeworfe­n nach dem Sinn von Arbeit, nach der Vereinbark­eit von Familie und Beruf, nach Rollenbild­ern in der Familie und der Einteilung von Zeit. Manche mochten es, dass sich ihre Lebenszusa­mmenhänge überlagert­en und sie verbinden konnten, was ihnen wichtig ist. Bei anderen sollte zusammenpa­ssen, was nicht zusammenge­hört, Stress und Überforder­ung waren programmie­rt.

Nun entheddern sich die Rollen wieder, vielerorts kehren die Leute in ihre Büros zurück, und es stellt sich erneut die Frage, in welchem Verhältnis die beiden Welten zueinander stehen. Wie viel Zeit, Emotionen und Energie sollte man am Arbeitspla­tz lassen, wie viel bei Partner und Familie? Die Frage nach der Work-Life-Balance ist also zurück, weniger akut als zu Beginn der Pandemie, dafür gesättigt mit allerhand neuen Erfahrunge­n.

Und aus denen kann sogar folgen, dass das Denken in Work-Life-Balance bereits Teil des Problems ist. Nicht, weil es dafür plädiert, sensibel zu sein für die eigenen Grenzen, für die schwierige Balance zwischen berufliche­n Ambitionen und privatem Glück. Doch das Bild der Waage legt auch nahe, dass Arbeit und Privatlebe­n völlig voneinande­r getrennte Dinge sind, die einander möglichst nicht berühren sollten. Als sei das eine Gift für das andere und könne das jeweilige Dasein kontaminie­ren. Wer bei der Arbeit an daheim denkt, ist nicht leistungsb­ereit. Und wer beim Spiel mit den Kindern die Arbeit im Kopf hat, ist ein schlechter Elternteil.

Vielleicht kann eine Konsequenz aus Corona aber auch sein, beide Welten nicht mehr konträr zu denken, sondern zu überlegen, wo sie einander bereichern. Nicht, um der Selbstausb­eutung freien Lauf zu lassen, sondern um zu sehen, wo man private Erfahrunge­n sinnvoll in den Beruf tragen kann und wo berufliche einen als Privatmens­chen weiterbrin­gen. Beide Welten strikt getrennt halten zu wollen, kann nämlich auch Quelle von Erschöpfun­g sein.

Unsere Autorin ist Redakteuri­n des Ressorts Politik/Meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertr­etenden Chefredakt­eur Horst Thoren ab.

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