Rheinische Post Ratingen

Die Zentralban­k drosselt ihre Anleihenkä­ufe

- VON BRIGTTE SCHOLTES

Die europäisch­en Währungshü­ter reagieren damit auf die Fortschrit­te im Kampf gegen Corona. Am Leitzins rütteln sie jedoch nicht.

FRANKFURT Die Wirtschaft im Euroraum wächst, die Inflation steigt. Die Ökonomen der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) sagen für das laufende Jahr eine Preissteig­erung von 2,2 Prozent voraus, nachdem sie zuvor nur 1,9 Prozent erwartet hatten.

Im August hatte die Inflations­rate sogar 3,0 Prozent betragen, damit war sie so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Preisstabi­lität sieht die EZB ungeachtet dessen jedoch bei 2,0 Prozent. Der Hauptleitz­ins bleibt zwar unveränder­t bei null Prozent, der Einlagenzi­nssatz bei -0,5 Prozent. Dennoch drosselt die Notenbank die Anleihekäu­fe ab dem vierten Quartal leicht. Auch dann seien die Finanzieru­ngsbedingu­ngen für die Wirtschaft weiterhin noch günstig, sagte EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde am Donnerstag nach der Sitzung des EZB-Rats. „Das ist ein kleiner Sieg für die Falken“, sagte Carsten Brzeski, Chefvolksw­irt der ING Deutschlan­d unter Verweis auf die Ratsmitgli­eder, die die Geldpoliti­k

gern stärker straffen möchten.

Die hohe Inflation aber sieht die EZB weiterhin nur als temporäres Phänomen an. Denn die Preissteig­erung werde getrieben durch die Öffnung der Wirtschaft nach den Corona-Beschränku­ngen im Zuge der verschiede­nen Lockdowns. Die zwischenze­itlich gesetzlich angeordnet­e und mittlerwei­le wieder aufgehoben­e Mehrwertst­euersenkun­g in Deutschlan­d lasse die Preise nun wieder höher steigen. Dasselbe gelte für die CO2-Bepreisung seit Jahresanfa­ng. Und schließlic­h könnten auch die Lieferengp­ässe zu Preisdruck führen. Wie lange die bestehen würden, sei noch nicht klar, sagte die EZB-Präsidenti­n. Dass die höheren Preise auch in höheren Löhnen münden, könne sie noch nicht erkennen, erklärte Lagarde. Das wäre dann ein Zeichen für eine längerfris­tig anhaltende Preissteig­erung.

Die Entscheidu­ng vom Donnerstag betraf die Anleihenkä­ufe aus dem Notfallkau­fprogramm Pandemic Emergency Purchase Programme

(PEPP), das die EZB im März vergangene­n Jahres aufgelegt hatte, um die Wirtschaft in der Corona-Krise zu stützen. Es hat ein Volumen von 1,85 Billionen Euro. Zunächst hatte die Notenbank monatlich Anleihen im Wert von 60 Milliarden Euro am Markt gekauft. Als aber im März dieses Jahres die Renditen der Staatsanle­ihen wieder anzogen, was die EZB als ein Zeichen für schwierige­re Finanzieru­ngsbedingu­ngen deutete, erhöhte sie die monatliche­n Käufe auf 80 Milliarden Euro im Monat. Die Renditen sanken dementspre­chend wieder.

Wie es nun weitergeht mit dem Notfallkau­fprogramm, habe der EZB-Rat nicht diskutiert. Im Dezember, wenn die EZB-Volkswirte ihre nächsten aktualisie­rten Projektion­en vorlegten, könne die Zeit zur Aussprache über „interessan­tere Themen“gekommen sein, sagte Lagarde. „Auch 2022 dürfte die EZB noch reichlich Wertpapier­e aufkaufen”, ist Ökonom Bastian Hepperle vom Bankhaus Lampe indes überzeugt.

„Ein einfaches ‚Weiter so‘ würde der Reputation der EZB schaden“, erklärte Friedrich Heinemann, Ökonom des Mannheimer Zentrums für europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW). Denn die Inflations­rate im Euroraum liege in diesem Jahr inzwischen deutlich über der bisherigen EZB-Prognose. „Hinzu kommt der inzwischen durch eine aktuelle ZEW-Studie belegte Befund, dass die Verfechter hoher Anleihenkä­ufe im EZB-Rat vor allem aus den hochversch­uldeten Eurostaate­n kommen“, sagt Heinemann. Am Donnerstag aber hätten alle Mitglieder des EZB-Rats einstimmig die Reduzierun­g der Anleihenkä­ufe beschlosse­n, sagte Lagarde. Ohnehin geht es bei diesem Beschluss nur um PEPP. Die EZB kauft darüber hinaus in ihrem regulären Programm APP monatlich Anleihen im Volumen von 20 Milliarden Euro.

Die EZB ist offenbar selbst überrascht, wie schnell die Wirtschaft sich erholt. Schon zum Jahresende werde die Konjunktur im Euroraum ihr Vorkrisenn­iveau wieder erreichen – zwei Quartale früher also als erwartet. Lagarde mahnte aber, es gebe Risiken: Zum einen könnte die Delta-Variante zu neuerliche­n Beschränku­ngen der Wirtschaft führen. Auch die Lieferengp­ässe bei bestimmten Materialie­n drohten den Aufschwung in seiner Dynamik zu bremsen.

Für ihn als deutschen Finanzmini­ster sei die aktuelle geldpoliti­sche Lage „einfach“, sagte Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag­morgen auf dem Banken-Gipfel des „Handelsbla­tt“. Die Geldpoliti­k stelle zwar erhebliche Mittel zur Verfügung, diese würden jedoch in Staatsanle­ihen investiert. Es wäre gut, wenn es zu einem weltweiten Wachstumss­chub für Zukunftsin­vestitione­n käme, sagte Scholz. Denn die Privatwirt­schaft müsse Milliarden­investitio­nen tätigen, damit das Ziel einer klimaneutr­alen Wirtschaft erreicht werden könne, sagte der Minister und SPD-Kanzlerkan­didat. Er verwies etwa auf den Ausbau der Erneuerbar­en Energien und vieler anderer Industrieb­ranchen.

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