Der Rückzug aus Afghanistan steht für viele für das Schwinden der kollektiven Erinnerung
satz des Satirikers Jon Stewart vermutlich bis heute nicht gäbe. Doch die Auszahlung verläuft zäh. „Ich frage mich, ob die darauf warten, bis alle Betroffenen gestorben sind“, klagt Gary, der selbst vor etwas mehr als zwei Jahren seinen Antrag stellte und bis heute auf eine Antwort wartet.
Der Fotograf zeigt den Sauerstoffapparat, den er in einer schwarzen Tasche immer bei sich hat. Wenn ihm schwindelig wird, steckt sich Gary die Plastikdüsen in die Nase. Einmal in der Woche bekommt er Vitamin C intravenös verabreicht. Seit Langem macht er eine Therapie, um mit dem klarzukommen, was er durch die Objektive seiner Kamera sah: abgerissene Gliedmaßen, halb verweste Körper, Hautfetzen.
Zum „Ground Zero“kehrt er nur zurück, wenn es nicht anders geht. Zuletzt Ende August, als er einen aus dem Stahl der Zwillingstürme gearbeiteten islamischen Sichelmond (Hilal) mit zugehörigem Fünfzack-Stern aus dem Lager des nationalen 9/11-Museums abholte. Weil die Kuratoren dort die Auftragsarbeit zum Gedenken der 34 muslimischen Opfer nicht ausstellen wollten, verlangte es Gary zurück. Es findet nun einen prominenten Platz in dem neuen Ableger seines „Ground Zero Workshops“, den er am Jahrestag des 11. September an der „Barrington Highschool“in einem Vorort von Chicago eröffnen will.
Gary sagt, die Rückkehr zu dem Ort der Anschläge löse bei ihm auch diesmal wieder fürchterliche Schmerzen im Rücken und Lähmungserscheinungen in beiden Beinen aus: „Ich vermute, das ist psychosomatisch.“Er halte es dort einfach nicht aus.
Dass der 20. Jahrestag des Terroranschlags mit der Covid-19-Pandemie zusammenfällt, ist für den Dokumentarfotografen voller Symbolik. „Es geht um den Verlust von Sicherheit“, beschreibt er den gemeinsamen Nenner beider historischer Ereignisse. „Gibt es eianderen nen Terroranschlag? Wartet auf uns eine weitere Covid-Welle?“Und der Rückzug aus Afghanistan steht für ihn als lebendiger Beweis für das Schwinden der kollektiven Erinnerung. „Es regt mich auf“, sagt er über die Bilder aus Kabul: „Warum sind wir 20 Jahre überhaupt da gewesen?“
Das fragt sich auch Michael Keane (55), dessen Pub „O’Haras“unweit vom ehemaligen Südturm des World Trade Centers entfernt liegt. Nach dem 11. September entwickelte sich die Kneipe zum Refugium für die Feuerwehrleute und Helfer. Viele von ihnen dienten später, oft motiviert durch das Erlebte, als Soldaten in Afghanistan. „Die wussten doch, was passiert“, meint Michael zum Rückzugs-Chaos, während er die Stühle vor Öffnung des Lokals zusammenschiebt: „Warum haben sie die Leute einfach hängen lassen?“
Der Wirt hat von vielen Schicksalen gehört. Etwa von den fünf Feuerwehrleuten von der Wache nebenan, die beim Einsturz der Zwillingstürme ums