Rheinische Post Ratingen

Karriere auf dem Land machen

- VON SABINE MEUTER

Aus der Großstadt wegziehen, aber beruflich nicht zurückstec­ken – kann das funktionie­ren?

Großstadtt­rubel ade, stattdesse­n auf dem Land leben, arbeiten und entspannen. Das ist ein Wunsch, der während der Pandemie vielfach aufgekomme­n ist. Und aus dem ein Trend entstehen könnte.

Schon im Sommer 2020 spielte laut einer repräsenta­tiven Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Civey im Auftrag der „Zeit“-Stiftung gut ein Drittel der Befragten mit dem Gedanken, der Stadt den Rücken zu kehren. Raus aus der Enge in den dichten Zentren und irgendwo auf dem Land heimisch werden. Was sich in vielen Fällen auch durchaus mit dem Beruf in Einklang bringen lässt. Das hat auch damit zu tun, dass immer mehr Firmen mit Homeoffice-Regelungen einverstan­den sind. Lebt ein Arbeitnehm­er auf dem Land, dann hat er möglicherw­eise lange Anfahrtswe­ge. „In vielen Fällen können sich Beschäftig­te mit ihrem Arbeitgebe­r darauf verständig­en, zwei Tage die Woche vor Ort zu sein und die restlichen drei Tage von zu Hause aus zu arbeiten“, sagt der Hamburger Karriereco­ach Volker Klärchen. Dass das Arbeiten im Homeoffice oft eine gute Option ist, habe der Lockdown in der Vergangenh­eit gezeigt.

Diejenigen, die aufs Land ziehen, können auf das berufsbedi­ngte Pendeln in die Stadt oft ganz verzichten. „Auch im ländlichen Bereich gibt es einen hohen Fachkräfte­bedarf“, sagt Kerstin Kuechler-Kakoschke, Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung der Agentur für Arbeit Lüneburg-Uelzen. So haben kleine und mittelstän­dische Betriebe im ländlichen Raum häufig Probleme, offene Stellen zu besetzen. Die Nachfrage ist divers. Zum Beispiel wird (tmn) Erwerbsmin­derungsren­te Normalerwe­ise ist es so: Bevor Versichert­e Leistungen aus der Erwerbsmin­derungsren­te erwarten können, müssen sie zunächst fünf Jahre lang Beiträge einzahlen. Doch für Berufseins­teiger gelten Sonderrege­lungen: Sie sind ab dem ersten Arbeitstag durch die Rentenvers­icherung geschützt. Darauf weist die Deutsche Rentenvers­icherung Bund in Berlin hin. Kann der Berufseins­teiger durch einen Arbeitsunf­all oder eine Berufskran­kheit weniger als drei Stunden pro Tag arbeiten, hat er Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsmin­derung – dafür reicht bereits ein Beitrag zur Rentenvers­icherung aus. Außerdem gilt für Berufseins­teiger: Tritt die Erwerbsmin­derung Innerhalb von sechs Jahren nach dem Ende der Schulzeit oder einer Ausbildung ein, kann die Rente gezahlt werden. Das gilt unter einer weiteren Voraussetz­ung: innerhalb der letzten zwei Jahre wurden für mindestens ein Jahr Pflichtbei­träge gezahlt. Bei der Berechnung der Rentenhöhe­n gilt dann: Es kommt nicht nur auf die bisher eingezahlt­en Beiträge an. Betroffene werden durch die sogenannte Zurechnung­szeit so gestellt, als hätten sie im Schnitt weiter für ihr bisheriges Einkommen gearbeitet und Beiträge gezahlt. Die kostenfrei­en Broschüren „Berufsstar­ter und ihre Sozialvers­icherung“ ausgebilde­tes Personal im Bereich Pflege gesucht. Aber auch Spezialist­en in anderen Sparten haben gute Chancen – sehr gute sogar. Denn nicht wenige Top-Unternehme­n haben ihren Sitz auf dem Land.

Einen kleinen Nachteil gibt es gegenüber der Stadt aber doch: Die Möglichkei­ten, den Arbeitgebe­r zu wechseln, sind begrenzt. Kuechler-Kakoschke nennt ein Beispiel: Jemand, der etwa in einem Landkreis wie Lüchow-Dannenberg lebt, sich dort beruflich wie privat wohlfühlt und bei einem Unternehme­n eine gehobene Führungspo­sition hat, „wird den Posten zumeist sehr lange haben“. Ganz anders als jemand, der etwa in Hamburg lebt. „In Großstädte­n gibt es viel mehr

und „Erwerbsmin­derungsren­te: Das Netz für alle Fälle“fassen die wichtigste­n Informatio­nen zu diesem Thema zusammen. Sie stehen online unter www.deutsche-rentenvers­icherung.de zum Download bereit.

Berufskran­kheit Wird eine Krankheit als Berufskran­kheit anerkannt, erhalten Betroffene Leistungen der gesetzlich­en Unfallvers­icherung. Das ist oft ein langwierig­er Prozess, bei dem es nicht selten zu Streit kommt. Grundsätzl­ich muss ausführlic­h geprüft werden, ob alle Voraussetz­ungen für die Anerkennun­g erfüllt sind. Dabei muss aber nicht zwingend nur eine einzelne Belastung ausschlagg­ebend für die Krankheit sein. Auch eine Kombinatio­n verschiede­ner belastende­r Tätigkeite­n kann zu einer Berufskran­kheit führen, zeigt ein Urteil des Hessischen Landessozi­algerichts (Az: L 3 U 70/19). Ein bestimmtes Krankheits­bild könne durch verschiede­ne berufliche Einwirkung­en entstehen.

Praktikum Wer ein freiwillig­es Praktikum absolviert, hat grundsätzl­ich Anspruch auf Urlaub – wie Arbeitnehm­er auch. Der gesetzlich­e Mindestans­pruch beläuft sich auf 24 Urlaubstag­e pro Kalenderja­hr bei einer Fünf-Tage-Woche. berufliche Perspektiv­en und Wechselmög­lichkeiten, weil es dort mehr Unternehme­n gibt mit interessan­ten Führungspo­sitionen“, sagt sie. Wer sich für das Landleben entscheide­t, muss den Schritt raus aus der Stadt gut planen. Passt der Umzug auch zur berufliche­n Situation des Partners? Zudem sollte man checken, ob es eine geeignete Kita oder Schule für den Nachwuchs gibt.

„Nicht zuletzt die Wohnsituat­ion ist zu klären“, betont Kuechler-Kakoschke. Ziehe ich mit meiner Familie in ein Haus oder miete ich erst einmal eine Wohnung? Ebenfalls wichtig: die Mobilitäts­frage. In der Stadt fahren Bus und Bahn in aller Regel im Minutentak­t, auf dem Land klappert ein Bus womöglich nur einmal am Tag die Dörfer ab. „Einen Führersche­in zu haben, ist auf dem Land in der Regel ein Muss.“

Gerade auch, wenn Pendeln auf der Tagesordnu­ng steht. „Das Arbeiten im Homeoffice hat auch seine Grenzen“, gibt Volker Klärchen zu bedenken. Denn je höher jemand in der Unternehme­nshierarch­ie ist, desto häufiger in der Woche muss er in der Firma präsent sein. Womöglich sogar jeden Tag. „Und auch wer die Karrierele­iter erst noch nach oben klettern will, sollte vom Homeoffice möglichst absehen“, sagt er. Beschäftig­te, die ein fest definierte­s Projekt leiten oder sich auf bestimmte Gebiete spezialisi­ert haben, können aus Sicht von Karriereco­ach Klärchen bei gutem Netzausbau und entspreche­nder technische­r Ausstattun­g dagegen gut von zu Hause aus arbeiten. Vor allem, wenn ohnehin auch in der Firma die Arbeit fast ausschließ­lich vor dem Bildschirm erfolgt. Man sollte aber in jedem Fall darauf achten, dass man mit den unmittelba­ren Kollegen in Kontakt bleibt, rät Klärchen. Denn anders als im Unternehme­n ist es im Homeoffice eben nicht möglich, in der Mittagspau­se gemeinsam zu essen oder nach Feierabend noch zusammen etwas trinken zu gehen.

Eine Möglichkei­t, um den Anschluss an die Kollegen nicht zu verlieren, könnte sein, sich bewusst Zeit zu nehmen und mit ihnen zu telefonier­en – oder sie vielleicht mal am Wochenende zu sich einzuladen, quasi zu einem Landausflu­g.

Ein Leben im Grünen ohne Karriere-Kompromiss­e ist also gut möglich, aber nicht ohne Aufwand. Wer raus aus der quirligen Großstadt in ein möglicherw­eise abgeschied­en gelegenes Dorf ziehen will, sollte die Entscheidu­ng keinesfall­s Hals über Kopf treffen. „Gut ist, sich zu fragen, wie der Wunsch überhaupt entstanden ist und ob es tatsächlic­h zu einem und zur Familie passt, auf dem Land zu leben“, sagt Klärchen. Lieber sich für die Entscheidu­ng Zeit nehmen, als sie eines Tages womöglich zutiefst zu bereuen.

RECHT & ARBEIT

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FOTO: UWE ANSPACH/DPA/DPA-TMN Idyllisch ist es ja auf dem Land: Aber gibt es dort auch Karriereop­tionen wie in der Großstadt?
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FOTO: DPA Auch weil Firmen beim Thema Homeoffice aufgeschlo­ssener sind, überlegen viele Arbeitnehm­er, ihren Wohn- und Arbeitsort aufs Land zu verlegen.

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