Fünf Jahre Monsanto-Albtraum für Bayer
Die Übernahme des umstrittenen US-Konzerns bleibt eine Enttäuschung: Bayers Börsenwert hat sich halbiert, Glyphosat-Klagen belasten das Unternehmen noch immer. Nun kommt es auf den Obersten Gerichtshof der USA an.
LEVERKUSEN Es hört nicht auf: In Los Angeles hat nun die Mutter eines krebskranken Jungen Klage gegen Bayer eingereicht. Sie macht den glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup, den sie auf ihrem Grundstück versprüht hatte, dafür verantwortlich, dass ihr Sohn mit vier Jahren am Burkitt-Lymphom erkrankte, einer besonders aggressiven Krebsart. „Wir haben großes Mitgefühl mit dem erkrankten Kind“, erklärte Bayer. „Die Wissenschaft sieht aber keinen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Glyphosat und einer Krebserkrankung. Die Sicherheit von Glyphosat bestätigen auch die verantwortlichen Zulassungsbehörden seit Jahren.“
Fünf Jahre nach der Übernahme des US-Konzerns Monsanto, zu dessen Hauptprodukten Roundup zählt, belasten noch immer Rechtsstreitigkeiten das Geschäft. Dabei war Bayer-Chef Werner Baumann so euphorisch, als er im September 2016 die Zusammenführung „unserer beiden großartigen Unternehmen“ankündigte. Am Ende zahlte Bayer 63 Milliarden US-Dollar. Es war die größte Übernahme, die ein deutscher Konzern je gestemmt hatte. Der Aspirin-Erfinder stieg mit einem Schlag zum größten Agrochemiekonzern der Welt auf. „Mit dieser Transaktion schaffen wir erheblichen Wert für die Aktionäre, unsere Kunden, Mitarbeiter und für die Gesellschaft“, sagte Baumann damals.
So weit die Theorie, die Praxis sah anders aus. Aus wenigen Klagen gegen Roundup wurde eine Welle. 2018 gab eine US-Jury dem krebskranken Platzwart Dewayne Johnson recht, der letztlich 20,5 Millionen Dollar erhielt. US-Anwälte drehten auf: Die Zahl der Klagen stieg auf 125.000, von denen Bayer bisher 96.000 beigelegt hat oder die nicht vergleichsberechtigt waren.
Der Leverkusener Konzern sah sich als Ernährer der Erde, doch in der Börsenwelt ging es vor allem um den Kurssturz. Zum Amtsantritt von Baumann im Jahr 2016 war die Bayer-Aktie rund 100 Euro wert. Fünf Jahre später sind es nur noch rund 46 Euro. Bayers Börsenwert liegt unter dem stolzen Preis, den man einst für Monsanto zahlte. „Die Monsanto-Akquisition hat bisher erhebliche Werte vernichtet und Bayer
geschwächt. Diese war ein Fehler. Der Aktienkurs ist ein Trauerspiel“, sagt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit bei der Fondsgesellschaft Deka.
Auch die Mitarbeiter konnten bislang nicht feststellen, dass der Zusammenschluss eine „großartige Gelegenheit“(Baumann 2016) für sie gewesen ist. Als Belegschaftsaktionäre leiden auch sie unter dem schwachen Aktienkurs. Immer neue Rückstellungen schränken Spielräume ein. Für die 125.000 Klagen hat Bayer bis zu 9,6 Milliarden Dollar zurückgelegt, für künftige Klagen weitere 6,5 Milliarden. 2018 kündigte Bayer „Effizienz- und Strukturmaßnahmen“an: Bis Ende 2021 will man 12.000 Stellen abbauen, 4500 davon in Deutschland. Auch wenn es dafür viele Gründe gab, sehen sich die Mitarbeiter als die, die die Rechnung zahlen. „Der Stellenabbau verläuft plangemäß und ist insgesamt weit fortgeschritten“, so Bayer.
Wie geht es weiter? „Trotz der Einigung bei der Mehrzahl der Glyphosatfälle bestehen nach drei verlorenen Prozessen und keiner richterlich abgesegneten Einigung für zukünftige Fälle weiterhin hohe Risiken für Bayer“, sagt Markus Manns, Fondsmanager bei Union Investment. „Ein Lichtblick ist die Möglichkeit, dass der Oberste Gerichtshof in den USA das Berufungsverfahren annimmt. Sollte er im nächsten Jahr zugunsten von Bayer entscheiden, könnte ein endgültiger Schlussstrich unter die Glyphosat-Affäre gezogen werden.“Im August hatte Bayer angekündigt, die Klage von Ed Hardeman vor dem Supreme Court klären zu lassen.
Ironie der Geschichte: Ausgerechnet die Klagen erweisen sich als schützende Giftpille gegen eine feindliche Übernahme, die angesichts des tiefen Kurses drohen könnte: „Die offenen Rechtsverfahren sind ein Schutz vor einer Übernahme. Niemand möchte sich diese Risiken einkaufen“, so Speich. Ob Bayer als Einheit langfristig bestehen bleiben könne, hänge von der Rückkehr zu profitablem Wachstum ab.
Das Fazit von Fondsmanager Manns: „Die industrielle Logik der Kombination von Saatgut mit Pflanzenschutz besteht weiter. Bayer wäre jedoch besser beraten gewesen, frühzeitiger zu handeln und einen anderen Saatguthersteller zu erwerben.“Fünf Jahre nach dem Deal ist das ein schlechtes Zeugnis.