Katholiken wollen Klarheit über Woelkis Zukunft
Das Schweigen von Papst und Kurie verunsichert die Gläubigen. Der Stadtdechant spricht von einem belastenden Schwebezustand.
DÜSSELDORF Die Zahl der Düsseldorfer Katholiken ist auf einen neuen Tiefstand gesunken. Nach der für diese Redaktion recherchierten aktuellen Statistik für Düsseldorf lebten 2020 nur noch 173.163 katholisch Getaufte in der Landehauptstadt. Zum Vergleich: 2015 waren es 189.118, im Jahr 1980 noch 288.151. Coronabedingt sank auch die Zahl der Gottesdienstbesucher im vergangenen Jahr auf nur noch 5,7 Prozent der Getauften. Im VorCorona-Jahr 2019 hatte diese Quote noch bei neun Prozent, 2010 bei 10,5 Prozent gelegen. Auch die Austritte bleiben mit 2046 Menschen, die der Kirche den Rücken kehrten, auf hohem Niveau. Dass der Höchststand aus dem Jahr 2019 (2920 Ausgetretene) unterschritten wurde, dürfte vor allem an der Pandemie liegen. Austrittstermine waren beim Düsseldorfer Amtsgericht bislang Mangelware, Zeitfenster, die freigeschaltet wurden, innerhalb von Stunden ausgebucht.
„Jeder Mensch, der geht, macht mich traurig. Denn er dokumentiert mit seinem Schritt, dass er unzufrieden ist mit der Kirche“, sagt Pfarrer Frank Heidkamp. Nach Einschätzung des Stadtdechanten verstärkt das aktuelle Schweigen zu den möglichen Folgen der Kirchenkrise im Kölner Erzbistum den scheinbar unumkehrbaren Trend noch. Der Besuch der vom Papst entsandten Visitatoren liege inzwischen drei Monate zurück, viele Gläubige verstünden nicht, warum es aus Rom keinerlei öffentliches Signal gebe, wie es nun mit dem Erzbistum und seinem Oberhirten Kardinal Rainer Maria Woelki weitergehen soll. „Dieser Schwebezustand dauert länger als erwartet und er ist nicht gut, weil er in eine Erstarrung münden könnte“, meint der Seelsorger.
Das Schweigen und Abwarten empfindet auch Diana Brenneke als Belastung. Die 39-Jährige sieht sich als Katholikin der Mitte. Die Positionen der Reformbewegung Maria
2.0 sind ihr zu weitgehend, auch deshalb gründete sie in St. Cäcilia eine eigene Frauengruppe, die unabhängig von der Frauengemeinschaft kfd agiert. Und doch vertritt Brenneke mit Blick auf die Zukunft des Kardinals eine eindeutige Position: „Es steht ein Wechsel an, zu viel ist passiert, zu viel Vertrauen wurde verspielt, der Erzbischof sollte den Weg für einen Neubeginn frei machen“, meint sie. Die Mutter zweier Töchter, die selbständig ist und sich seit Jahren in der Benrather Gemeinde engagiert, ist unzufrieden, wie mit den Fehlern in der Missbrauchsaufklärung umgegangen wird. „Mir erscheint es nicht richtig, dass ein paar Führungskräfte freigestellt wurden, der oberste Kölner Chef aber immer noch in Amt und Würden ist“, sagt sie. Dass Papst und Kurie sich nicht zur weiteren Entwicklung
in Köln äußern, irritiert sie. Viele Priester und Laien rackerten täglich dafür, dass das Gemeindeleben nach der Hochphase der Pandemie wieder ans Laufen komme, dass Adventsbasare stattfinden und soziale Initiativen wieder Menschen erreichen könnten. „Auch denen gegenüber ist es nicht fair, immer nur zu beschwichtigen oder zu glauben, es müsse über die kritischen Fragen einfach nur Gras wachsen.“
Tatsächlich ist es nach den intensiven Diskussionen um die Fehler bei der Aufklärung des Missbrauchsskandals und den Roten Karten, die Reformkräfte dem Kölner Kardinal Ende Mai bei einem Besuch in Gerresheim entgegengehalten hatten, ruhig geworden. „Es gab Verstimmungen nach unserem Brief, in dem 140 Menschen aus der Gemeinde dem Kardinal nahegelegt hatten, in der aufgewühlten Situation lieber nicht zu einer Firmung zu kommen“, sagt Peter Barzel. Der 63-Jährige hat die Aktion koordiniert und sich damit nicht nur Freunde gemacht. „Viele sind wohl froh, dass wieder Ruhe eingekehrt ist und die meisten Dinge wieder ihren gewohnten Gang gehen“, meint der Katholik. Gut finden er und einige seiner Mitstreiter das nicht. Barzel möchte die Diskussion in Gang halten. Dem bislang einzigen Reflexionsgespräch, das es kurz nach dem Besuch des Kardinals im kleineren Kreis gegeben habe, müsse eine breitere Aufklärung über das mit Woelki hinter verschlossenen Türen Besprochene folgen. „Ein Teil der Gemeinde weiß bis heute nicht, wie der Kardinal im Mai die vielen Fragen der 40 zugelassenen Gäste beantwortet hat. Es waren aber
Themen darunter, die brisant sind und uns alle angehen“, sagt Barzel.
Damit spielt der Reformer auf die Fälle von Pfarrer O. und Pfarrer D. an. Die sehr unterschiedlich gelagerten Vorgänge setzen Woelki unter Druck, beide sind eng mit der Gemeinde St. Margareta verbunden. So soll O., der viele Jahre die Gläubigen im südlichen Gerresheim und in Vennhausen durch ihr Leben begleitete, ein Kind im Kindergartenalter missbraucht haben. Woelki war unter O. Diakon im Düsseldorfer Osten, hatte auch später immer wieder Kontakt zu dem Geistlichen. 2015 meldete er den Fall des damals bereits schwer an Demenz Erkrankten nicht nach Rom, was nach Einschätzung von Experten rechtlich nicht zu beanstanden ist, weil einschlägige Vorschriften erst später verändert wurden.
Und Pfarrer D., der vor gut 20 Jahren als Kaplan in Gerresheim tätig war und im Frühjahr als Pfarrer einer Düsseldorfer Großgemeinde suspendiert wurde, hatte Woelki 2017 zum stellvertretenden Stadtdechanten ernannt. Obwohl der Bistumsleitung Kenntnisse über länger zurückliegende Sexualkontakte des Pfarrers mit einem 17-jährigen Prostituierten zu diesem Zeitpunkt längst vorgelegen haben sollen. Auch hier warten die Gläubigen seit Mai vergeblich auf ein Signal, wie es viereinhalb Monate nach der Suspendierung in ihrer Gemeinde weitergehen soll. „Wir brauchen weitere Aufklärung, Transparenz und die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle hier in der Gemeinde“, sagt Barzel, der nun auf eine Fortsetzung des Dialogs in seiner Pfarrei hofft. Über Woelkis Zukunft mag er nicht mehr spekulieren: „Indem wir uns darauf fokussieren, spiegeln wir am Ende doch wieder nur die katholische Hierarchie, die wir so nicht mehr wollen.“Nötig sei vielmehr eine andere Kirche, die die Menschen wieder stärker in den Blick nehme. „Wir müssen Kirche neu leben und erlebbar machen – auch als Laien.“