Rheinische Post Ratingen

Ein Tweet zu viel

Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt gegen Vertrauten von SPD-Kanzlerkan­didat Scholz.

- VON TIM BRAUNE

BERLIN Am Abend des ersten TVTriells platzte Wolfgang Schmidt fast vor guter Laune. Er kam direkt vom Millerntor zu den TV-Studios in Berlin-Adlershof. Dort berichtete der engste Scholz-Vertraute vom 2:0Sieg seines FC St. Pauli gegen den damaligen Zweitliga-Spitzenrei­ter Jahn Regensburg. Um die 70. Minute herum stand es noch 0:0. Auf der Tribüne kündigte Schmidt ein Tor an. Das fiel unmittelba­r. Schmidt, das Fußball-Orakel. So wie er als OlafScholz-Seher richtig gelegen hatte. Nach der Pleite im Ringen um den Parteivors­itz im Herbst 2019 gab niemand mehr einen Pfifferlin­g auf den Hamburger Ex-Bürgermeis­ter. Außer Schmidt. Niemand (von der Gattin abgesehen) steht Scholz seit fast 20 Jahren so nahe wie er.

Stoisch hielten beide an dem Kanzlerpro­jekt „Olaf 21“fest. Scholz und die SPD liegen jetzt seit Wochen in Umfragen beständig vorne. Nun aber hat Schmidt seinem Chef ein Eigentor ins rote Netz gehauen. Schmidt stellte Auszüge jenes Durchsuchu­ngsbeschlu­sses der Staatsanwa­ltschaft Osnabrück bei Twitter ins Netz, auf dessen Grundlage Finanz- und Justizmini­sterium in Berlin durchsucht worden waren. Schmidt ärgerte sich maßlos darüber, dass die Staatsanwä­lte zuvor in einer Pressemitt­eilung aus seiner Sicht den Eindruck erweckt hätten, auch die Leitungseb­ene – im Zweifel also Scholz – sei womöglich in die mutmaßlich­e Vertuschun­g von Hinweisen auf Geldwäsche bei einer Zoll-Spezialein­heit irgendwie verwickelt – dabei wird ausschließ­lich beim Zoll in Köln ermittelt. Nach Paragraf 353d des Strafgeset­zbuches dürfen Verfahrens­dokumente nicht vor einer

Gerichtsve­rhandlung öffentlich gemacht werden. Darauf stehen bis zu ein Jahr Freiheitss­trafe oder Geldstrafe. Die Staatsanwa­ltschaft leitete ein Verfahren gegen Schmidt ein. Der ist wie Scholz Volljurist. Er rechtferti­gt sich, die Öffentlich­keit sollte sich selber ein Bild von den Fakten machen.

CDU-Hoffnung Wiebke Winter, Klimaexper­tin in Laschets „Zukunftste­am“, erklärt, man könne hinterfrag­en, „wieso ein Beamter der höchsten Besoldungs­stufe auf Kosten der Steuerzahl­er 24/7 SPD-Wahlkampf macht?“. Auch die FDP attackiert Schmidt. Scholz wurde im ZDF zu Schmidt befragt. „Der Staatssekr­etär twittert viel. Das kann ich kaum noch nachvollzi­ehen, was er da im Einzelnen macht.“Das kann als Rüffel gesehen werden – und als Abgrenzung, dass Schmidt den Tweet ohne Wissen des Ministers geschriebe­n habe. Der politische Schaden bleibt. An diesem Montag hat der Finanzauss­chuss des Bundestags den Finanzmini­ster zu einer Sondersitz­ung zur Zollaffäre und zur Causa Schmidt zitiert. Verlieren will er Schmidt nicht. Er gilt als nächster Kanzleramt­sminister, falls Scholz Regierungs­chef wird.

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FOTO: DPA Wolfgang Schmidt (SPD), Staatssekr­etär im Finanzmini­sterium.

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