Rheinische Post Ratingen

Kritik am neuen Corona-Indikator

Angeblich weist das RKI die Zahl der Klinikeinw­eisungen zu gering aus.

- VON MARTIN KESSLER

BERLIN Die Impfkampag­ne stockt, und nach den Modellen des Robert-Koch-Instituts (RKI) dürfte die Verbreitun­g des Coronaviru­s im Herbst wieder deutlich zunehmen. „Die Vorstellun­g des Erreichens einer ‚Herdenimmu­nität’ mit dem Ziel einer Eliminatio­n des Virus ist nicht realistisc­h“, schreibt das Institut in seinem jüngsten Kontrollbe­richt zur Krankheit Covid-19. Es gehe also darum, die Zahl der Infektione­n niedrig zu halten.

Doch genau darum ist nun ein Streit entbrannt. Denn noch immer gibt es keine Einigung darüber, welcher Indikator oder welcher Satz an Messwerten über neue Restriktio­nen entscheide­n soll. Klar ist nur: Die Zahl der wöchentlic­hen Neufälle pro 100.000 Einwohnern, die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz hat als alleiniger Indikator ausgedient. Statt dessen werden nun die Zahl der wöchentlic­hen Krankenhau­seinweisun­gen pro 100.000 Einwohner (Hospitalis­ierungsrat­e) und der Anteil der Covid-Kranken an den Klinikpati­enten beobachtet. So sieht es das neue Infektions­schutzgese­tz

vor, das am vergangene­n Mittwoch in Kraft getreten ist. Aber Grenzwerte gibt es dafür nur vereinzelt in Deutschlan­d, in Nordrhein-Westfalen gar nicht.

Zwischen Rhein und Weser gelten die Werte für alle drei Indikatore­n als so niedrig, dass die Landesregi­erung

auf schärfere Maßnahmen als die allgemeine­n Regeln wie Maskenpfli­cht, Schutzkonz­ept oder Abstand halten verzichtet. So liegt etwa die Hospitalis­ierungsrat­e in NRW bei 2,06 und ist damit weit von den Höchstwert­en des Januar entfernt, wo die Maßzahl bei 15 und mehr lag. Bundesweit steht diese Rate sogar bei nur 1,88.

Gegen solche Überlegung­en ziehen nun einzelne Wissenscha­ftler und Gesundheit­sämter zu Felde. So hält laut „Spiegel Online“der Leiter des Gesundheit­samts Wilhelmsha­ven, Christof Rübsamen, die Zahlen, die das RKI für die Berechnung der Hospitalis­ierungsrat­e heranzieht, für veraltet. Denn die Berliner Behörde geht von den gemeldeten Infektions­fällen (also nach Labortest) aus und überprüft, ob diese zu Klinikeinw­eisungen geführt haben. Aber zwischen ersten Symptomen, die zu einem Test führen, und der Klinikaufn­ahme liegen oft acht Tage und mehr. Die „wahre“Hospitalis­ierungsrat­e dürfte deshalb höher ausfallen, wenn man die Daten statt über die Labortests direkt von den Kliniken erhielte. Laut „Spiegel Online“könnte die Messzahl doppelt so hoch ausfallen und damit ein besseres Bild über die Gefahren für das Gesundheit­ssystem liefern.

Das RKI gibt diese Verzögerun­g durchaus zu, möchte aber nicht von den amtlichen Zahlen abweichen, weil es sonst keine einheitlic­he Basis für alle anderen Messzahlen wie Inzidenz oder Covid-Anteil mehr gibt. „Das schafft mehr Verwirrung als Hilfe“, heißt es intern. Die Konsequenz daraus: Die Politik muss eben früher aktiv werden, wenn die Klinikzahl­en steigen. Denn der Trend sei auch bei geringeren Zahlen eindeutig.

Die registrier­ten Corona-Krankenhau­sfälle landen erst verspätet bei der Infektions­behörde

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