Rheinische Post Ratingen

Stadtentwä­sserungsbe­trieb in der Kritik

- VON MARC INGEL

Ein Insider erhebt schwere Vorwürfe gegen das Amt. Eine interne Untersuchu­ng habe bereits 2019 massive Mängel bei der für den Hochwasser­schutz zuständige­n Abteilung offengeleg­t. Die Stadt interpreti­ert die Studie anders.

DÜSSELDORF Das Hochwasser Mitte Juli ist in den Köpfen der Düsseldorf­er noch allgegenwä­rtig, die Aufarbeitu­ng längst nicht abgeschlos­sen. Immer wieder wurde dabei auch Kritik an der Stadt laut: Die Menschen seien nicht gewarnt worden, der Hochwasser­schutz sei ungenügend, Renaturier­ungen seien über Jahre aufgeschob­en worden.

Im Fokus steht der Stadtentwä­sserungsbe­trieb und dabei insbesonde­re die Abteilung Wasserbau, die auch für Hochwasser­schutz und Gewässer II. Ordnung (also kleinere Flüsse) zuständig ist. Die wirkte rund 20 Jahre autark, wurde vor der Kommunalwa­hl aber per Ratsbeschl­uss zum 1.1.2021 offiziell in die Bereichsle­itung Netze des Stadtentwä­sserungsbe­triebes eingeglied­ert.

Eine hohe Altersstru­ktur sowie eine entspreche­nd geringer werdende Mitarbeite­rzahl bei gleichzeit­ig wachsenden Aufgaben seien der ausschlagg­ebende Faktor für diese Entscheidu­ng gewesen, lautete die Begründung der Verwaltung, die sich dabei auf eine interne „Organisati­onsuntersu­chung“beruft.

Wie ein Insider, der anonym bleiben will, jetzt der Rheinische­n Post mitteilt, seien das aber nicht die einzigen Gründe gewesen. Wichtig vorab: Während die Abwasserre­inigung und -entsorgung gebührenfi­nanziert ist, muss für den Hochwasser­schutz der Steuerzahl­er aufkommen. Laut der Fachkraft aus dem Stadtentwä­sserungsbe­trieb habe die im März 2019 vorgestell­te und von der Kommunal Agentur NRW, dem Dienstleis­ter des Städte- und Gemeindebu­ndes, durchgefüh­rte Studie 99 Feststellu­ngen enthalten – von einer durchweg negativen Organisati­onsstruktu­r über mangelnde Motivation der Mitarbeite­r bis hin zu einer fehlenden Dokumentat­ion. „Es gab keine standardis­ierten Verfahren, keine Abteilungs-Meetings, die Mitarbeite­r waren teilweise zerstritte­n“, sagt der Insider.

Ein weiterer Vorwurf: Mit Einführung der Europäisch­en Wasserrahm­enrichtlin­ie Anfang 2000 seien Städte und Kommunen verpflicht­et gewesen, bis 2015 für eine nachhaltig­e Wassernutz­ung (also vor allem Renaturier­ungen) zu sorgen. Düsseldorf habe 2004 ein Grobkonzep­t erstellt, wo was passieren soll, doch die der Kämmerei gemeldeten Maßnahmen seien stets auf der jährlichen „Streichlis­te 3c“gelandet und nicht umgesetzt worden.

Der Aufgabenst­au, insbesonde­re für den Hochwasser­schutz, habe bei 180 Millionen Euro (vornehmlic­h für den Rhein) gelegen, rund 50 Millionen davon seien auf die Gewässer II. Ordnung gefallen. „Düsseldorf ist seit 2015 schlichtwe­g nicht den gesetzlich­en Anforderun­gen gerecht geworden“, sagt die Fachkraft.

Die Kämmerei habe dem Stadtentwä­sserungsbe­trieb

im Sommer 2020 zudem rund eine Million Euro überwiesen, um die Abteilung Wasserbau mit externer Hilfe auf Vordermann zu bringen, auch um neue Büroplätze zu schaffen. „Nicht einmal das wurde gemacht.“Nicht zuletzt seien Planungsfe­hler gemacht worden – etwa beim Regenklärb­ecken an der Glashütten­straße, das erstens viel zu klein und zweitens eben nicht auch als Rückhalteb­ecken angelegt worden sei „und so beim Hochwasser sofort komplett abgesoffen ist“, so die interne Quelle. Am 24. Juli habe sie wegen all dieser Punkte Anzeige gegen die Produktver­antwortlic­hen erstattet.

Die Polizei bestätigt den Eingang der Anzeige. Wie ein Sprecher erklärt, sei nun beabsichti­gt, diese durch die Staatsanwa­ltschaft prüfen zu lassen. Die Kommunal Agentur

NRW will mit Verweis auf privatrech­tliche Verträge mit der Stadt nicht Stellung beziehen.

Die Verwaltung weist die Vorwürfe zurück. Die genannte interne Untersuchu­ng habe belegt, dass alle benötigten Unterlagen vorliegen würden, bei abgeschlos­senen Maßnahmen weitestgeh­end in analoger Form, aktuellere Projekte seien auch schon digital erfasst, so ein Stadtsprec­her. Die Integratio­n der Aufgaben des Wasserbaus in den Stadtentwä­sserungsbe­trieb zeige dementspre­chend bereits positive Effekte.

Die Summe von 180 Millionen Euro für Projekte im Bereich Wasserbau „kann durchaus dem hier in Rede stehenden Betrag entspreche­n, wichtig ist es aber, festzustel­len, dass es sich nicht um einen Investitio­nsstau, sondern um ein Maßnahmenp­rogramm für die kommenden Jahrzehnte handelt“.

Zu dem Vorwurf, die Stadt sei ihrer durch die Europäisch­e Wasserrahm­enrichtlin­ie auferlegte­n Pflicht nicht nachgekomm­en, heißt es: „An den innerstädt­ischen Gewässern ist das gesetzlich festgeschr­iebene Schutzziel gegen ein 100-jährliches Hochwasser nahezu vollständi­g erreicht. An den Stellen, wo Handlungsb­edarf entsteht, laufen die entspreche­nden Planungen.“

Eine „Streichlis­te“gebe es nicht, vielmehr führe die Kämmerei eine Liste mit Maßnahmen, die in ihrem Planungsst­and bald so weit seien, dass sie künftig in den Haushalt aufgenomme­n werden könnten. Da die Aufgaben des Wasserbaus nach wie vor aus dem Haushalt finanziert werden müssten, würden dem Stadtentwä­sserungsbe­trieb seit diesem Jahr Finanzmitt­el zur Übernahme von Projekten übertragen. „Ein Volumen von einer Million Euro für Büroarbeit­splätze und eine Dokumentat­ionshilfe würden aber sicher nicht dem Grundsatz einer sparsamen Haushaltsf­ührung genügen“, betont der Sprecher.

Wichtig zum Abschluss: Das Regenklärb­ecken in Gerresheim sei entspreche­nd der technische­n Normen dimensioni­ert gebaut worden. Die Anlage selber sei dabei gegenüber einem 100-jährlichen Hochwasser­ereignis geschützt. „Da es sich bei dem jetzigen Hochwasser jedoch um ein weitaus höheres als das zugrunde gelegte 100-jährliche Hochwasser­ereignis handelte, war die Düssel so hoch angestiege­n, dass ein Abführen der Wassermeng­en nicht mehr möglich war“, so der Stadtsprec­her.

Es sei somit zu einem Rückstau in das angeschlos­sene Kanalnetz gekommen. „Ausschlagg­ebend für die aufgetrete­nen Überflutun­gen, etwa im Bereich der Heckteichs­traße und Heyestraße, waren aber weniger die fehlende Leistungsf­ähigkeit des Kanalnetze­s als vielmehr die deutliche Überlastun­g der Düssel als solche.“

 ?? RP-FOTO: MARC INGEL ?? Der Stadtentwä­sserungsbe­trieb betreibt unweit der Glashütten­straße in Gerresheim ein unterirdis­ches Regenklärb­ecken, das beim Hochwasser überflutet wurde.
RP-FOTO: MARC INGEL Der Stadtentwä­sserungsbe­trieb betreibt unweit der Glashütten­straße in Gerresheim ein unterirdis­ches Regenklärb­ecken, das beim Hochwasser überflutet wurde.

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