Die Wüste lebt
Denis Villeneuve wagt sich an eine weitere Verfilmung von „Der Wüstenplanet“. Dafür versammelt er großartige Schauspieler.
Der Planet Arrakis ist ein unwirtlicher Ort. Gnadenlos knallt die Sonne herunter und lässt die Temperatur schon in den frühen Morgenstunden die 100-Grad-Marke überschreiten. Selbst mit Schutzanzügen ist diese Hitze nicht zu ertragen. Bis zum Horizont und darüber hinaus erstreckt sich die Wüste. Stürme fegen über die Dünen. Riesige Sandwürmer durchwühlen die Landschaft und fressen alles, was sich bewegt. Eine Welt mit geringen Überlebenschancen – und dennoch ruhen alle Hoffnungen auf diesem kargen Wüstenplaneten, den Frank Herbert (1920 bis 1986) zum Zentrum seines Science-Fiction-Epos gemacht hat.
Kein Filmprojekt hat in diesem Jahr größere Erwartungen generiert als Denis Villeneuves „Dune“. Als „Star Wars für Erwachsene“hat er seinen Film bezeichnet, der den Auftakt zu einem riesigen Franchise bilden und in der postpandemischen Branchen-Depression endlich wieder die Publikumsmassen ins Kino locken soll. Sechs Bände hat Herbert zwischen 1965 und 1986 verfasst, und seine Söhne haben das väterliche OEuvre noch um ein paar Bücher erweitert. Das reichhaltig bevölkerte Universum darin bietet einen unerschöpflichen Fundus für die filmische Wertschöpfung. Aber genau wie der Planet Arrakis für die Fremdlinge zur Schicksalsfalle wird, haben sich seit seinem Erscheinen schon einige Produzenten und Regisseure an Herberts Romanzyklus die Zähne ausgebissen.
Bereits Anfang der 1970er-Jahre hatte Produzent Arthur P. Jacobs die Filmrechte erworben und wollte das Epos mit Regisseur David Lean („Lawrence von Arabien“) auf die Leinwand bringen. Nach Jacobs Tod versuchte sich der chilenische Regisseur Alejandro Jodorowsky an dem Stoff. 17 Stunden Kino, ein Soundtrack von Pink Floyd und eine Besetzungsliste, die von Mick Jagger bis Salvador Dalí reichte, gehörten zur größenwahnsinnigen Vision, die als „bester Film, der nie gedreht wurde“in die Geschichte einging. 1984 schaffte es David Lynch „Dune“tatsächlich auf die Leinwand zu bringen. Die misslungene Verfilmung wurde von der Kritik einhellig verrissen und floppte auch an den Kinokassen auf dramatische Weise.
37 Jahre später ist nun Denis Villeneuve am Zuge. Der franko-kanadische Regisseur hat schon in seinem linguistisch-philosophischen Science-Fiction-Film „Arrival“und dem unterschätzten Spät-Sequel „Blade Runner 2049“bewiesen, dass er mit Intellekt und Stil Welten erschaffen kann, die auf der Leinwand eine faszinierende Strahlkraft entwickeln. Und das gelingt ihm auch hier. Von der ersten Minute an zieht der Film das Publikum hinein in sein Universum des Jahres 10191, in dem rivalisierende Fürstenhäuser um die Vorherrschaft ringen. Im Wüstensand von Arrakis glitzert der wichtigste Rohstoff des Imperiums. Spice nennt sich das Zeug – eine bewusstseinserweiternde Droge und unerlässlicher Bestandteil der modernen Raumfahrt.
Fürst Leto Atreides (Oscar Isaac) bekommt das Protektorat übertragen und muss bald feststellen, dass der Auftrag keineswegs ein Freundschaftsbeweis des allmächtigen Imperators
ist. Intrigen lauern im Palast wie die Sandwürmer in der Wüste. Und schließlich sind da noch die Ureinwohner, die sich gegen die Ausbeutung ihres Planeten zur Wehr setzen. Das Volk der Fremen hat sich dem Leben in der Wüste angepasst, verfügt über Schutzanzüge, in denen Schweiß und Urin in Trinkwasser verwandelt werden, und einen hellwachen Geist dank täglichem Spice-Kontakt.
Letos Sohn Paul (Timothée Chalamet) hat sich seit Jahren auf diese Mission vorbereitet und hofft auf eine respektvolle Koexistenz mit den Einheimischen. Mutter Jessica (Rebecca Ferguson) gehört dem matriarchalen Orden der Bene Gesserit an, der seine spirituellen Manipulationsfähigkeiten seit Generationen ausbaut. Paul wurde in den Künsten des Ordens unterrichtet, hat seherische Visionen und wird schon bald als Messias gehandelt.
Von Charlotte Rampling über Javier Bardem bis zu Zendaya hat Villeneuve sein illustres Figurenarsenal bis in die hinterste Reihe hochkarätig besetzt – und das zahlt sich auf der Leinwand aus. Vor allem Timothée Chalamet ist als jugendlicher Held mit Thronfolge-Belastungsstörung ideal gecastet. Das starke Charisma, das in seinem schmächtigen Körper steckt, hat ihn seit „Call Me
by Your Name“zum angesagtesten Star seiner Generation gemacht, der ein neues, verletzlicheres Männerbild repräsentiert. Seine Figur fügt sich hervorragend ein in Villeneuves künstlerisches Konzept, das die Rituale des Science-Fiction-Blockbusters sanft unterminiert. Die zahlreichen Action-Szenen sind weit entfernt von den Brachial-Gemetzeln des Genres, und auch die Kampfsequenzen orientieren sich eher an tänzerischem Aikido als an schlagkräftigem Kung Fu.
Obwohl das futuristische Setting mit einer lauernden Düsternis durchzogen ist, gibt es vor allem in der Wüstenkulisse immer wieder Bilder von poetischer Kraft und Schönheit. Villeneuve meistert die Herkules-Aufgabe, in Herberts ausuferndes Universum einzuführen, nicht ohne Anstrengung, aber mit eigenem Stilvermögen. Neben Christopher Nolan gehört er zu den wenigen Regisseuren, für die intellektueller Anspruch und großformatiges Mainstream-Kino kein Widerspruch sind. Und so webt er auch schon in dieser ersten Folge ökologische, feministische, religiöse und esoterische Fragestellungen mit ein, die in Herberts Werk einen großen Raum einnehmen.
Ein in jeglicher Hinsicht vielversprechender Franchise-Auftakt, der eindrücklich zeigt: Die Wüste lebt – und das Kino auch.