Star-Dirigent vor dem Fall
„Die Unschuldsvermutung“wird vom Film-Ensemble um Ulrich Tukur getragen.
Star-Dirigent Marius Atterson (Ulrich Tukur) ist ein eitler Gockel, der es gewohnt ist, sich zu nehmen, was oder wen er will. Das gilt für die prestigeträchtigen Engagements, die dem ehemaligen Schüler Herbert von Karajans zufliegen, aber auch für die jungen Frauen, die er mit Genie-Aura und der Hartnäckigkeit eines Eroberers umgarnt. Galanterie und Anzüglichkeiten gehen hier Hand in Hand. Das Ansehen und die Macht des großen Künstlers scheinen ihn unangreifbar zu machen.
Aber damit ist Schluss in der österreichischen TV-Komödie „Die Unschuldsvermutung“, die die MeToo-Debatte in den hochkarätigen Opernbetrieb hineinträgt. Atterson soll bei den Salzburger Festspielen den „Don Giovanni“dirigieren und reist hierzu mit seiner betagten „Maman“(Christine Ostremayer) an, die ihn zu all seinen Auftritten begleitet. Zur Entourage des Meisters gehört auch die Agentin Ada Lubovsky (Daniela Golpashin), die von ihrem Chef mit zunehmender Aufdringlichkeit umworben wird. Eher im Ausklingen befindet sich die Affäre mit seiner Meisterschülerin Karina Samus (Laura de Boer), die für den Star-Dirigenten die Orchesterproben leitet und gerade von ihm schwanger ist.
Die beiden Frauen haben sich hinter seinem Rücken schon längst gegen den selbstgefälligen Casanova zusammengetan. Als die Enthüllungsjournalistin Franziska Fink (Marie-Christine Friedrich) sich zu ihnen gesellt, beschließen die Drei,
Atterson das Handwerk zu legen. Fransiska soll den Lockvogel spielen und mit versteckter Kamera dem übergriffigen Dirigenten Geständnisse entlocken.
Derweil herrscht auch bei den Proben das blanke Chaos. EnfantTerrible-Regisseur Roth (Simon Schwarz) bleibt in einem cholerischen Anfall stecken und wird in die Psychiatrie verfrachtet. Das Ruder übernimmt die nicht weniger angespannte Beate Zierau (Catrin Striebeck), die fünf Jahre lang mit Atterson verheiratet war und ihrem Ex in innigem Hass verbunden ist. Auch sie will abrechnen und prügelt den Dirigenten mit Boxhandschuhen in die Arbeitsunfähigkeit.
Im Stil einer klassischen ScrewballComedy inszeniert Michael Sturminger seine Komödie über den Sturz eines übergriffigen Star-Dirigenten. Gerade in diesem Segment des Kulturbetriebes ist die männliche Vorherrschaft
noch fast ungebrochen. Am Dirigentenpult eines Festspielbetriebes sind Frauen mindestens so selten vertreten wie in den Vorstandsetagen von Börsenunternehmen. Mit fernsehverdaulicher Leichtigkeit arbeitet „Die Unschuldsvermutung“an der Entmachtung dieser Strukturen. Dazu gehört auch, dass Tukur den Harvey Weinstein des Opernbetriebs nicht als Monster spielt, sondern als alten, weißen Mann, der nicht wahrhaben will, dass seine Zeit vorbei ist. Das bleibt alles im leicht spielerischen Rahmen, ein wenig mehr Biss hätte es im TV-Format ruhig sein dürfen. Dass der Film dennoch mehr als solide unterhält, liegt in erster Linie am Ensemble, aus dem vor allem Catrin Striebeck als wunderbar furiose Regie-Diva und beseelte Rachegöttin herausragt.
„Die Unschuldsvermutung“, zu sehen in der ARD-Mediathek.