Materialnot bremst deutsche Wirtschaft
Der Mangel geht quer durch die Branchen. Und er trifft auch private Bauherren, bei denen sich die Fertigstellung ihres Hauses verzögert.
DÜSSELDORF Die deutsche Wirtschaft muss mit dem Materialmangel noch längere Zeit klarkommen. Die Lage hat sich nach Einschätzung der betroffenen Branchen in vielen Bereichen verschärft. Und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Preise. Nach Angaben des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes (ZDB) sind die Erzeugerpreise bei Schnittholz gegenüber dem vergangenen Jahr um 110 Prozent gestiegen, die für Betonstahl um 80 und für Kunststofferzeugnisse um 30 bis 40 Prozent.
Bei einer Umfrage unter 575 Maschinenbauern, davon 153 aus NRW, äußerten zwei von fünf Unternehmen die Befürchtung, dass sich die Materialknappheit bis Jahresende verschlechtern könnte, wie der Branchenverband VDMA NRW mitteilte. Fast alle anderen sehen auch noch keine Entspannung. „Am schlimmsten ist die Situation im Elektronikbereich“, sagte VDMANRW-Geschäftsführer Hans-Jürgen Alt unserer Redaktion. „Bei Metallen könnte die Lage binnen eines halben Jahres besser werden; bei Elektronikprodukten besteht diese Hoffnung nicht.“
Auch das Handwerk spürt den Engpass weiterhin deutlich – „unter anderem bei Chips, die Rollädenund Markisenbauer für ihre Arbeit benötigen“, wie ein Sprecher der Handwerkskammer Düsseldorf auf Anfrage erklärte. Darunter leiden auch private Bauherren, bei denen sich die Fertigstellung ihres Hauses durch den Materialmangel verzögert. Gleichzeitig sei insgesamt die Lage in Nordrhein-Westfalen durch die Nähe zu den großen Industriehäfen in Rotterdam und Antwerpen ein bisschen entspannter.
Doch die Not ist auch in NRW noch zu spüren. „Die Blockade des Suez-Kanals im März und einige, nach erneuten Corona-Ausbrüchen zeitweise gesperrte Häfen in China haben uns deutlich vor Augen geführt, wie empfindlich globale Liefer- und Logistikketten sind“, sagte Robert Butschen, Außenhandelsexperte der IHK Düsseldorf. Das sei umso bitterer, weil die Unternehmen den Pandemie-bedingten Nachholbedarf nun nicht zügig bedienen könnten. Die Auswirkungen spüre nicht nur die Automobilwirtschaft, sondern jedes Unternehmen, das Industrie- oder Konsumgüter aus Asien bezieht und über lange Wartezeiten und hohe Transportkosten klage. „Viele Unternehmen bangen daher bereits jetzt um ihr Weihnachtsgeschäft“, so Butschen.
Mittlerweile ist auch die Papierbranche vom Materialmangel betroffen. Erstens ist in der CoronaPandemie die Menge an Altpapier deutlich zurückgegangen, was die Preise deutlich hat steigen lassen (der Preis für eine Tonne ist nach Branchenangaben seit Jahresbeginn um 70 Prozent auf 170 Euro je Tonne gestiegen). Zweitens haben manche Hersteller in der Krise umgerüstet und produzieren statt Papier nun unter anderem Wellpappe für Kartons, die als Transportverpackung für Warenlieferungen der Versandhändler genutzt wird. Ein Grund dafür ist der wachsende Online-Handel, dessen Aufschwung sich in der Pandemie verstärkt hat. In der haben immer mehr Menschen im Internet gekauft, weil sie den Weg in die Städte aus Angst vor Ansteckung scheuten. Das gilt auch für ältere Menschen, die bis dahin nicht als übermäßig online-affin galten.
Wegen des Materialmangels in der Industrie hatten bereits mehrere Wirtschaftsinstitute ihre Wachstumsprognosen nach unten korrigiert. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) reduzierte seine Prognose von 3,2 auf 2,1 Prozent Wachstum, das Essener RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung von 3,7 auf 3,5 Prozent.