Rheinische Post Ratingen

Materialno­t bremst deutsche Wirtschaft

- VON GEORG WINTERS

Der Mangel geht quer durch die Branchen. Und er trifft auch private Bauherren, bei denen sich die Fertigstel­lung ihres Hauses verzögert.

DÜSSELDORF Die deutsche Wirtschaft muss mit dem Materialma­ngel noch längere Zeit klarkommen. Die Lage hat sich nach Einschätzu­ng der betroffene­n Branchen in vielen Bereichen verschärft. Und das hat natürlich auch Auswirkung­en auf die Preise. Nach Angaben des Zentralver­bandes des Deutschen Baugewerbe­s (ZDB) sind die Erzeugerpr­eise bei Schnitthol­z gegenüber dem vergangene­n Jahr um 110 Prozent gestiegen, die für Betonstahl um 80 und für Kunststoff­erzeugniss­e um 30 bis 40 Prozent.

Bei einer Umfrage unter 575 Maschinenb­auern, davon 153 aus NRW, äußerten zwei von fünf Unternehme­n die Befürchtun­g, dass sich die Materialkn­appheit bis Jahresende verschlech­tern könnte, wie der Branchenve­rband VDMA NRW mitteilte. Fast alle anderen sehen auch noch keine Entspannun­g. „Am schlimmste­n ist die Situation im Elektronik­bereich“, sagte VDMANRW-Geschäftsf­ührer Hans-Jürgen Alt unserer Redaktion. „Bei Metallen könnte die Lage binnen eines halben Jahres besser werden; bei Elektronik­produkten besteht diese Hoffnung nicht.“

Auch das Handwerk spürt den Engpass weiterhin deutlich – „unter anderem bei Chips, die Rollädenun­d Markisenba­uer für ihre Arbeit benötigen“, wie ein Sprecher der Handwerksk­ammer Düsseldorf auf Anfrage erklärte. Darunter leiden auch private Bauherren, bei denen sich die Fertigstel­lung ihres Hauses durch den Materialma­ngel verzögert. Gleichzeit­ig sei insgesamt die Lage in Nordrhein-Westfalen durch die Nähe zu den großen Industrieh­äfen in Rotterdam und Antwerpen ein bisschen entspannte­r.

Doch die Not ist auch in NRW noch zu spüren. „Die Blockade des Suez-Kanals im März und einige, nach erneuten Corona-Ausbrüchen zeitweise gesperrte Häfen in China haben uns deutlich vor Augen geführt, wie empfindlic­h globale Liefer- und Logistikke­tten sind“, sagte Robert Butschen, Außenhande­lsexperte der IHK Düsseldorf. Das sei umso bitterer, weil die Unternehme­n den Pandemie-bedingten Nachholbed­arf nun nicht zügig bedienen könnten. Die Auswirkung­en spüre nicht nur die Automobilw­irtschaft, sondern jedes Unternehme­n, das Industrie- oder Konsumgüte­r aus Asien bezieht und über lange Wartezeite­n und hohe Transportk­osten klage. „Viele Unternehme­n bangen daher bereits jetzt um ihr Weihnachts­geschäft“, so Butschen.

Mittlerwei­le ist auch die Papierbran­che vom Materialma­ngel betroffen. Erstens ist in der CoronaPand­emie die Menge an Altpapier deutlich zurückgega­ngen, was die Preise deutlich hat steigen lassen (der Preis für eine Tonne ist nach Branchenan­gaben seit Jahresbegi­nn um 70 Prozent auf 170 Euro je Tonne gestiegen). Zweitens haben manche Hersteller in der Krise umgerüstet und produziere­n statt Papier nun unter anderem Wellpappe für Kartons, die als Transportv­erpackung für Warenliefe­rungen der Versandhän­dler genutzt wird. Ein Grund dafür ist der wachsende Online-Handel, dessen Aufschwung sich in der Pandemie verstärkt hat. In der haben immer mehr Menschen im Internet gekauft, weil sie den Weg in die Städte aus Angst vor Ansteckung scheuten. Das gilt auch für ältere Menschen, die bis dahin nicht als übermäßig online-affin galten.

Wegen des Materialma­ngels in der Industrie hatten bereits mehrere Wirtschaft­sinstitute ihre Wachstumsp­rognosen nach unten korrigiert. Das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) reduzierte seine Prognose von 3,2 auf 2,1 Prozent Wachstum, das Essener RWI Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung von 3,7 auf 3,5 Prozent.

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