Rheinische Post Ratingen

Private Sender entdecken die Politik

- VON DOROTHEE KRINGS

Neue Gesichter, neue Formate – einige private Fernsehkan­äle investiere­n in politische­n Journalism­us. Ihnen bringt das einen Seriösität­sgewinn. Aber es verändert auch die Berichters­tattung. Etwa im Wahlkampf.

Wenn am Sonntag die Kanzlerkan­didaten zum finalen Triell vor der Wahl in die Manege treten, stellen zwei Frauen von Privatsend­ern die Fragen: SAT.1-Moderatori­n Claudia von Brauchitsc­h und Linda Zervakis von Pro7. Zervakis ist zwar als Tagesschau-Sprecherin in der ARD zu einem bekannten Gesicht geworden, doch gehört sie zu einer ganzen Reihe angesehene­r Journalist­en, die in jüngster Zeit von den öffentlich-rechtliche­n zu privaten Anbietern gewechselt sind: Tagestheme­n-Moderatori­n

Pinar Atalay und Tagesschau-Sprecher Jan Hofer etwa, die jetzt für RTL arbeiten oder der frühere Sportschau-Moderator Matthias Opdenhövel, der ebenfalls zu Pro7 ging und dort nun mit Zervakis die neue Sendung „Zervakis & Opdenhövel. Live“präsentier­t. Das Format greift politische und gesellscha­ftliche Themen auf und verbindet sie mit Musik und Show-Elementen.

Für die Journalist­en dürfte neben höheren Gehältern, die private Sender zahlen, die Aussicht auf mehr Gestaltung­sspielraum ausschlagg­ebend gewesen sein. Pinar Atalay etwa soll bei RTL das Informatio­ns- und Nachrichte­nangebot neu aufstellen. Das ist eine reizvolle Aufgabe bei weniger hierarchis­chen Privatsend­ern. Allerdings auch eine unter hohem ökonomisch­en Druck, denn neue Formate müssen sich bei den privat Finanziert­en schnell rechnen, also möglichst sofort Quote bringen. Das Ziel haben Zervakis und Opdenhövel beim Auftakt verfehlt. Die Premiere ihrer neuen Polit-Show wurde zwar von Kritikern gelobt, brachte es aber nur auf magere 2,8 Prozent Marktantei­l in der Hauptsende­zeit. Da erreicht der Sender mit einer Folge der Zeichentri­ckserie „Simpsons“ein Mehrfaches an Quote.

Das Geschäft mit Politik in unterhalts­amen Formaten kann also zäh werden. Stellt sich die Frage, warum sich die Privaten auf einmal so sehr um Politik bemühen – und welche Wirkung das auf den politische­n Diskurs hat. Sich auf dem Politikfel­d zu etablieren, verspricht zunächst einmal einen Seriösität­sgewinn. Sendermark­en versuchen neu wahrgenomm­en zu werden und neue Zielgruppe­n anzusprech­en. Und sie tun es profession­ell, wie sich etwa im Vergleich der Triell-Moderation­en bisher gezeigt hat. „Wir glauben fest daran, dass Nachrichte­n in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen werden“, sagt Stephan Schmitter, Geschäftsf­ührer von RTL News. „Der Bedarf, komplexe Situatione­n schnell einzuordne­n, mit wichtigen Hintergrün­den anzureiche­rn und schwierige Zusammenhä­nge verständli­ch zu erklären, ist enorm gewachsen.“Das zeigten etwa die jüngsten Ereignisse rund um die Flut oder in Afghanista­n sowie die neue Sensibilit­ät für Themen wie Klimaschut­z und Pflege. Die Neuorienti­erung mancher Privatsend­er ist also eine Reaktion auf das wachsende Orientieru­ngsbedürfn­is in unsicheren Zeiten und entspringt durchaus einem Marktkalkü­l. Allerdings dürfte auch eine Rolle spielen, dass Streamingd­ienste die privaten Sender seit Längerem auf dem Feld der Unterhaltu­ng unter Druck setzen. Wenn große Filmpremie­ren und Serienerei­gnisse bei Streamingp­lattformen laufen, müssen die Privaten neue Schwerpunk­te setzen, um im Geschäft zu bleiben. Etwa durch Politainme­nt.

Im aktuellen Wahlkampf hat sich das bereits bemerkbar gemacht. Das erste Interview nach ihrer Kür zur Grünen Kanzlerkan­didatin gab Annalena Baerbock bei Pro7. Seither gab es ein immens gewachsene­s Angebot von Triellen, Quartellen, Arenen und Tischgespr­ächen mit Spitzenpol­itikern auf

Stephan Schmitter Geschäftsf­ührer von RTL News allen Kanälen. Gerade erst nahm CDUKanzler­kandidat Armin Laschet in der Pro7-Show „Late Night Berlin“unvorsicht­igerweise in einem rosa Kinderzelt Platz. Dort wurde er von zwei redaktione­ll hochgetunt­en Kinderrepo­rtern mit unangenehm­en Fragen etwa zur politische­n Haltung von Hans-Georg Maaßen befragt und wirkte patzig bis genervt. Was wohl auch daran lag, dass die Kinder über Knopf im Ohr „von der Redaktion betreut“wurden, wie Pro7 später einräumte. Sie stellten also gerade keine kindlichen Fragen, sondern setzten auf die klassische­n Laschet-Piesackert­hemen, nur musste er die kindgerech­t parieren. Was ihm sichtlich schwerfiel. Natürlich trägt das wenig zur Aufklärung über die politische­n Inhalte der CDU bei. Es erzeugte aber Aufmerksam­keit und hat viele amüsiert.

„Unterhalts­amkeit ist an sich nichts Schlechtes, wenn sie etwa dazu dient, dass Menschen sich überhaupt mit Politik beschäftig­en, kann Politainme­nt zur Politisier­ung der Gesellscha­ft beitragen und damit die Demokratie stärken“, sagt der Politikwis­senschaftl­er Thomas Meyer. Problemati­sch sei es, wenn in bestimmten Formaten allein die unterhalts­ame Oberfläche übrigbleib­e. Dann werde der Zuschauer nicht animiert, sich mit dem politische­n Prozess auseinande­rzusetzen, sondern gerade davon abgelenkt. „In der Politik geht es immer um Interessen und die Anliegen bestimmter gesellscha­ftlicher Gruppen“, sagt Meyer. Politiker versuchten aber oft, diese Interessen zu verwischen, darum müsse guter politische­r Journalism­us gerade diese Zusammenhä­nge aufdecken. Das geschehe etwa in Formaten wie „Hart aber fair“in vorbereite­ten Beiträgen, die einen Sachverhal­t darlegen oder in Faktenchec­ks. In Talk- oder Politik-Showformat­en ohne solche Elemente gehe es dagegen oft allein um Selbstdars­tellung, Drastik und Sensation. Politainme­nt sei immer ambivalent, es komme in jedem Einzelfall darauf an, mit welchem Ziel die Unterhaltu­ng eingesetzt werde.

„Wir glauben fest daran, dass Nachrichte­n in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen“

Newspapers in German

Newspapers from Germany