Private Sender entdecken die Politik
Neue Gesichter, neue Formate – einige private Fernsehkanäle investieren in politischen Journalismus. Ihnen bringt das einen Seriösitätsgewinn. Aber es verändert auch die Berichterstattung. Etwa im Wahlkampf.
Wenn am Sonntag die Kanzlerkandidaten zum finalen Triell vor der Wahl in die Manege treten, stellen zwei Frauen von Privatsendern die Fragen: SAT.1-Moderatorin Claudia von Brauchitsch und Linda Zervakis von Pro7. Zervakis ist zwar als Tagesschau-Sprecherin in der ARD zu einem bekannten Gesicht geworden, doch gehört sie zu einer ganzen Reihe angesehener Journalisten, die in jüngster Zeit von den öffentlich-rechtlichen zu privaten Anbietern gewechselt sind: Tagesthemen-Moderatorin
Pinar Atalay und Tagesschau-Sprecher Jan Hofer etwa, die jetzt für RTL arbeiten oder der frühere Sportschau-Moderator Matthias Opdenhövel, der ebenfalls zu Pro7 ging und dort nun mit Zervakis die neue Sendung „Zervakis & Opdenhövel. Live“präsentiert. Das Format greift politische und gesellschaftliche Themen auf und verbindet sie mit Musik und Show-Elementen.
Für die Journalisten dürfte neben höheren Gehältern, die private Sender zahlen, die Aussicht auf mehr Gestaltungsspielraum ausschlaggebend gewesen sein. Pinar Atalay etwa soll bei RTL das Informations- und Nachrichtenangebot neu aufstellen. Das ist eine reizvolle Aufgabe bei weniger hierarchischen Privatsendern. Allerdings auch eine unter hohem ökonomischen Druck, denn neue Formate müssen sich bei den privat Finanzierten schnell rechnen, also möglichst sofort Quote bringen. Das Ziel haben Zervakis und Opdenhövel beim Auftakt verfehlt. Die Premiere ihrer neuen Polit-Show wurde zwar von Kritikern gelobt, brachte es aber nur auf magere 2,8 Prozent Marktanteil in der Hauptsendezeit. Da erreicht der Sender mit einer Folge der Zeichentrickserie „Simpsons“ein Mehrfaches an Quote.
Das Geschäft mit Politik in unterhaltsamen Formaten kann also zäh werden. Stellt sich die Frage, warum sich die Privaten auf einmal so sehr um Politik bemühen – und welche Wirkung das auf den politischen Diskurs hat. Sich auf dem Politikfeld zu etablieren, verspricht zunächst einmal einen Seriösitätsgewinn. Sendermarken versuchen neu wahrgenommen zu werden und neue Zielgruppen anzusprechen. Und sie tun es professionell, wie sich etwa im Vergleich der Triell-Moderationen bisher gezeigt hat. „Wir glauben fest daran, dass Nachrichten in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen werden“, sagt Stephan Schmitter, Geschäftsführer von RTL News. „Der Bedarf, komplexe Situationen schnell einzuordnen, mit wichtigen Hintergründen anzureichern und schwierige Zusammenhänge verständlich zu erklären, ist enorm gewachsen.“Das zeigten etwa die jüngsten Ereignisse rund um die Flut oder in Afghanistan sowie die neue Sensibilität für Themen wie Klimaschutz und Pflege. Die Neuorientierung mancher Privatsender ist also eine Reaktion auf das wachsende Orientierungsbedürfnis in unsicheren Zeiten und entspringt durchaus einem Marktkalkül. Allerdings dürfte auch eine Rolle spielen, dass Streamingdienste die privaten Sender seit Längerem auf dem Feld der Unterhaltung unter Druck setzen. Wenn große Filmpremieren und Serienereignisse bei Streamingplattformen laufen, müssen die Privaten neue Schwerpunkte setzen, um im Geschäft zu bleiben. Etwa durch Politainment.
Im aktuellen Wahlkampf hat sich das bereits bemerkbar gemacht. Das erste Interview nach ihrer Kür zur Grünen Kanzlerkandidatin gab Annalena Baerbock bei Pro7. Seither gab es ein immens gewachsenes Angebot von Triellen, Quartellen, Arenen und Tischgesprächen mit Spitzenpolitikern auf
Stephan Schmitter Geschäftsführer von RTL News allen Kanälen. Gerade erst nahm CDUKanzlerkandidat Armin Laschet in der Pro7-Show „Late Night Berlin“unvorsichtigerweise in einem rosa Kinderzelt Platz. Dort wurde er von zwei redaktionell hochgetunten Kinderreportern mit unangenehmen Fragen etwa zur politischen Haltung von Hans-Georg Maaßen befragt und wirkte patzig bis genervt. Was wohl auch daran lag, dass die Kinder über Knopf im Ohr „von der Redaktion betreut“wurden, wie Pro7 später einräumte. Sie stellten also gerade keine kindlichen Fragen, sondern setzten auf die klassischen Laschet-Piesackerthemen, nur musste er die kindgerecht parieren. Was ihm sichtlich schwerfiel. Natürlich trägt das wenig zur Aufklärung über die politischen Inhalte der CDU bei. Es erzeugte aber Aufmerksamkeit und hat viele amüsiert.
„Unterhaltsamkeit ist an sich nichts Schlechtes, wenn sie etwa dazu dient, dass Menschen sich überhaupt mit Politik beschäftigen, kann Politainment zur Politisierung der Gesellschaft beitragen und damit die Demokratie stärken“, sagt der Politikwissenschaftler Thomas Meyer. Problematisch sei es, wenn in bestimmten Formaten allein die unterhaltsame Oberfläche übrigbleibe. Dann werde der Zuschauer nicht animiert, sich mit dem politischen Prozess auseinanderzusetzen, sondern gerade davon abgelenkt. „In der Politik geht es immer um Interessen und die Anliegen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen“, sagt Meyer. Politiker versuchten aber oft, diese Interessen zu verwischen, darum müsse guter politischer Journalismus gerade diese Zusammenhänge aufdecken. Das geschehe etwa in Formaten wie „Hart aber fair“in vorbereiteten Beiträgen, die einen Sachverhalt darlegen oder in Faktenchecks. In Talk- oder Politik-Showformaten ohne solche Elemente gehe es dagegen oft allein um Selbstdarstellung, Drastik und Sensation. Politainment sei immer ambivalent, es komme in jedem Einzelfall darauf an, mit welchem Ziel die Unterhaltung eingesetzt werde.
„Wir glauben fest daran, dass Nachrichten in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen“