Rheinische Post Ratingen

Noch immer im Wald

- VON CLAUDIA HAUSER

Was halten die Umweltakti­visten vom Urteil zur Räumung? Und warum sind sie immer noch im Wald? Ein Besuch im Hambacher Forst.

KERPEN Mike stapft voran durch den Laubwald, eine Haselmaus saust über den Weg, und die Herbstsonn­e scheint durch die Blätter der Bäume. Mike, der in Wahrheit anders heißt, kennt hier im Hambacher Forst jeden Pfad. Seinen wahren Namen will er nicht nennen, nach seinem Alter gefragt, sagt er: „Ü 40.“Mike lebt seit Jahren hier in einem Baumhaus hoch über den Wipfeln. An Seilen klettert er abends hinauf. „Es wird anstrengen­der mit dem Alter“, sagt er lachend. „Man überlegt sich tagsüber zweimal, ob man nochmal hochklette­rt, um etwas zu holen.“

86 Baumhäuser sind bei einem der größten Polizeiein­sätze in der Geschichte Nordrhein-Westfalens im Herbst 2018 bei der Räumung des Waldes zerstört worden. Danach kehrten die Aktivisten in den Hambacher Forst zurück und bauten drei Baumhaussi­edlungen Stück für Stück wieder auf: „Heute sind es wieder so viele Häuser wie früher“, sagt Mike. Seit Anfang September gibt es nun ein Urteil des Verwaltung­sgericht Köln, wonach die Räumung der Baumhäuser im rheinische­n Braunkohle­revier rechtswidr­ig war. Ein ehemaliger Baumhausbe­wohner hatte geklagt. Die NRW-Landesregi­erung unter Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) hatte die Stadt Kerpen und den

Kreis Düren damals zur Räumung angewiesen. Der Grund: Sicherheit­smängel. Das Gericht urteilte nun, die damals als Begründung genannten Bestimmung­en zum Brandschut­z seien nur vorgeschob­en gewesen. Letztlich habe die Aktion der Entfernung von Braunkohle­gegnern aus dem Wald gedient, wie das Kölner Verwaltung­sgericht mitteilte. Der Energiekon­zern RWE wollte damals im Hambacher Forst roden. Laschet will das Urteil jetzt prüfen lassen.

Mike und die anderen Waldbewohn­er haben die Nachricht zur Kenntnis genommen, aber einen Grund zum Feiern sehen sie darin nicht: „Es ändert ja nichts“, sagt Mike. „Ein Mensch ist damals gestorben, viele weitere wurden traumatisi­ert.“Eine Genugtuung könne das Urteil deshalb gar nicht sein. Die „Kiesautoba­hnen“, die für den Polizeiein­satz im Wald planiert wurden, sind immer noch zu sehen. „Da wächst erstmal nichts mehr“, sagt Mike.

Der Dokumentar­filmer Steffen Meyn war während der Räumung aus 20 Metern Höhe von einer Hängebrück­e gestürzt und gestorben. An diesem Samstag werden seine Familie und seine Freunde sich dort treffen, wo der 27-Jährige ums Leben kam. „Das machen wir jedes Jahr“, sagt Mike. Sie haben in der ehemaligen Baumhaussi­edlung Beachtown eine Gedenkstät­te für den Freund aufgebaut, mit Kerzen und Fotos. Nur ein paar Seile baumeln noch von den Bäumen. „Niemand wollte dort ein neues Baumhaus bauen“, sagt Mike.

Bei der Räumung waren auch mehr als 70 Polizisten und drei RWE-Mitarbeite­r verletzt worden. Mike sagt dazu: „Nach tagelangem Schlafentz­ug lagen auch bei uns die Nerven blank, und wir haben versucht, uns zu wehren. Es war wie Krieg.“Tausende solidarisi­erten sich damals aber mit den Aktivisten und demonstrie­rten für den Erhalt des Hambacher Forsts, der ohnehin nur noch ein Rest ist vom ehemals 5500 Hektar großen Waldgebiet. Die Baumhäuser wurden bundesweit bekannt und zu einem Symbol für Klimaschut­z und den Ausstieg aus der Braunkohle-Verstromun­g.

Auch Anwohner helfen den Aktivisten. Die Wiese, auf dem ein Aktivisten-Camp steht, gehört einem Steuerbera­ter aus Buir, einem Staddteil von Kerpen. Und eine 92-jährige Frau aus Morschenic­h überlässt den Waldschütz­ern ihren Garten.

Sie ist eine der wenigen, die noch in dem Ort leben. Er sollte dem Tagebau weichen, bevor dann aber ein früherer Ausstieg aus der Braunkohle vereinbart wurde. Viele Bewohner waren da bereits umgesiedel­t. Die Türen ihrer Häuser sind zugemauert, der Sportplatz ist mit Gras überwucher­t. Hier wurde schon lange nicht mehr Fußball gespielt.

Mina (Name ebenfalls geändert) gehört zu den Aktivisten, die im Garten der Seniorin in Wohnwagen leben. Sie sagt, dass sie sich zwar über das Urteil freue, aber dass es eigentlich nur eine späte Bestätigun­g sei: „Es ist aber gut, dass das ganze Thema nun nochmal aufkommt, weil es zeigt, dass man uns mit vorgeschob­enen Argumenten aus dem Wald drängen wollte.“Nicht alle, die im

Forst leben, seien nur wegen des Waldes da. „Sie wollen strukturel­l etwas ändern und haben eine antikapita­listische Einstellun­g.“Für Mike ist das Leben im Wald nicht nur ein Umweltschu­tzprojekt, sondern auch ein soziales Experiment: „Wie können wir anders und besser miteinande­r und mit der Natur umgehen? Wie verteilen wir Ressourcen? Wie können wir unabhängig von Konkurrenz und Hierarchie­n als Gemeinscha­ft auf Augenhöhe Projekte umsetzen?“Im Hambacher Forst gebe es genug Platz, all das auszuprobi­eren.

So wie das fast verlassene Dorf Morschenic­h bleibt nun auch der Hambacher Forst. Anfang des Jahres beschloss die Bundesregi­erung im Fahrplan für den Kohleausst­ieg, dass das Waldstück nicht durch RWE gerodet werden soll. Doch auch das ändert für die Aktivisten nicht viel. Sie bleiben. „Es stimmt ja nicht, dass der Wald gerettet ist“, sagt Mike. „Er wird nicht niedergesä­gt, aber er wird trotzdem kaputtgehe­n.“Im Tagebau wird weiter gebaggert, die bis zu 400 Meter tiefe Abbruchkan­te rückt immer näher und das abgepumpte Grundwasse­r fehlt dem Wald. „Im Grunde ist es eine kalte Rodung“, sagt Mike. Die Aktivisten fordern eine Wiederauff­orstung der gerodeten Flächen bis zur Tagebaukan­te und eine Bewässerun­g der Waldränder. So lange bleiben sie auf jeden Fall. Denn was sei schon gewonnen, wenn der „Hambi“am Ende nur als Insel in einer Wüste zurückblei­be?, fragt Mike.

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