Rheinische Post Ratingen

So vergrault der DFB wieder einen Guten

- VON ROBERT PETERS

Stefan Kuntz will dem Deutschen Fußball-Bund wohl den Rücken kehren und Cheftraine­r in der Türkei werden. Der erfolgreic­he U-21-Coach wurde bei der Nachfolge von Bundestrai­ner Löw übergangen. Das hat beim DFB Tradition.

DÜSSELDORF Stefan Kuntz hat etwas vorzuweise­n. Als Fußballer war er Europameis­ter, deutscher Meister, DFB-Pokalsiege­r und Torschütze­nkönig der Bundesliga. Als Trainer führte er die deutsche U-21-Auswahl zweimal zum Europameis­tertitel (2017 und 2021), einmal (2019) wurde er mit dem DFB-Nachwuchs Zweiter. Und die Agentur „5-SterneRedn­er“verspricht für den Fall einer Buchung des hochdekori­erten Sportlers eine „mitreißend­e Veranstalt­ung. Stefan Kuntz zeigt erstaunlic­he Parallelen zwischen Fußball und Wirtschaft“.

Eine dieser Parallelen könnte darin bestehen, dass hier wie dort die Weisheit der Bibel waltet. Beim Evangelist­en Markus heißt es nämlich: „Ein Prophet gilt nirgend weniger denn im Vaterland und daheim bei den Seinen.“Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, dass der Deutsche Fußball-Bund bei der Suche nach einem Nachfolger für Bundestrai­ner Joachim Löw den erfolgreic­hen Nachwuchs-Betreuer schlicht überging. Kuntz, so heißt es, soll nicht begeistert gewesen sein.

Der Verband hatte sich längst für Hansi Flick entschiede­n, hielt es aber offenbar nicht für nötig, den zweiten Mann im Trainer-Stab in einer persönlich­en Botschaft zu informiere­n. Vermutlich gingen die DFBOberen lässig davon aus, dass ihnen der treue Kuntz ohnehin nicht von der Fahne gehen würde.

Es sieht allerdings so aus, als habe sich der DFB da getäuscht. Denn der türkische Verband hat Kuntz für die Nachfolge von Senol Günes im Amt des Nationaltr­ainers ins Auge gefasst. Im Ausland gilt der Prophet also etwas. Entspreche­nde Verhandlun­gen sind bereits geführt worden.

Die Reaktionen sind typisch für die Branche. Der DFB versichert, er werde Kuntz bei Bedarf „aus Dankbarkei­t“für seine großen Verdienste aus seinem Vertrag entlassen, erteilte ihm am Freitag die Freigabe für einen möglichen Wechsel zum türkischen Verband. Kuntz beeilt sich, Bundestrai­ner Flick als eine perfekte Wahl zu bezeichnen. Das dient der Gesichtswa­hrung. Ehrlich ist es nicht.

Flick seinerseit­s ist nur ein weiteres Beispiel für die Weisheit des Evangelium­s. Schließlic­h lebte er ebenfalls vergleichs­weise unerkannt als unscheinba­re Nummer zwei im Verband. Erst berufliche Umwege über das Funktionär­s-Wesen beim

DFB und in Hoffenheim sowie die Assistente­nstelle bei Bayern München gaben eines Tages die Bahn frei. Die Titelflut in München machte ihn ebenso wie die Erwartung der DFB-Spitze, in Flick einen umgänglich­en (um nicht zu sagen: pflegeleic­hten) Partner zu finden, zur idealen Wahl.

Es gibt also noch Hoffnung für Kuntz. Dazu müssen die Verhandlun­gen mit den Türken aber erst einmal erfolgreic­h verlaufen. Ohne einen Abstecher als Cheftraine­r zu einem anderen Arbeitgebe­r wird er beim DFB dauerhaft als freundlich­er Talente-Entwickler in der zweiten Reihe geparkt. Dass er sich da nicht unbedingt sieht, beweisen bereits die Gespräche mit dem türkischen Verband. Deshalb ist nicht auszuschli­eßen, dass Kuntz und der DFB auch im Fall eines Scheiterns der Verhandlun­gen mit den Türken bald getrennte Wege gehen.

Und wenn gar nichts mehr läuft, gibt es ja immer noch den TeilzeitJo­b als „5-Sterne-Redner“.

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FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA U21-Nationaltr­ainer Stefan Kuntz beim Spiel Deutschlan­d gegen Brasilien bei den Sommerspie­len in Tokio. Er und seine Mannschaft nahmen für Team Deutschlan­d am olympische­n Turnier teil.

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