So vergrault der DFB wieder einen Guten
Stefan Kuntz will dem Deutschen Fußball-Bund wohl den Rücken kehren und Cheftrainer in der Türkei werden. Der erfolgreiche U-21-Coach wurde bei der Nachfolge von Bundestrainer Löw übergangen. Das hat beim DFB Tradition.
DÜSSELDORF Stefan Kuntz hat etwas vorzuweisen. Als Fußballer war er Europameister, deutscher Meister, DFB-Pokalsieger und Torschützenkönig der Bundesliga. Als Trainer führte er die deutsche U-21-Auswahl zweimal zum Europameistertitel (2017 und 2021), einmal (2019) wurde er mit dem DFB-Nachwuchs Zweiter. Und die Agentur „5-SterneRedner“verspricht für den Fall einer Buchung des hochdekorierten Sportlers eine „mitreißende Veranstaltung. Stefan Kuntz zeigt erstaunliche Parallelen zwischen Fußball und Wirtschaft“.
Eine dieser Parallelen könnte darin bestehen, dass hier wie dort die Weisheit der Bibel waltet. Beim Evangelisten Markus heißt es nämlich: „Ein Prophet gilt nirgend weniger denn im Vaterland und daheim bei den Seinen.“Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, dass der Deutsche Fußball-Bund bei der Suche nach einem Nachfolger für Bundestrainer Joachim Löw den erfolgreichen Nachwuchs-Betreuer schlicht überging. Kuntz, so heißt es, soll nicht begeistert gewesen sein.
Der Verband hatte sich längst für Hansi Flick entschieden, hielt es aber offenbar nicht für nötig, den zweiten Mann im Trainer-Stab in einer persönlichen Botschaft zu informieren. Vermutlich gingen die DFBOberen lässig davon aus, dass ihnen der treue Kuntz ohnehin nicht von der Fahne gehen würde.
Es sieht allerdings so aus, als habe sich der DFB da getäuscht. Denn der türkische Verband hat Kuntz für die Nachfolge von Senol Günes im Amt des Nationaltrainers ins Auge gefasst. Im Ausland gilt der Prophet also etwas. Entsprechende Verhandlungen sind bereits geführt worden.
Die Reaktionen sind typisch für die Branche. Der DFB versichert, er werde Kuntz bei Bedarf „aus Dankbarkeit“für seine großen Verdienste aus seinem Vertrag entlassen, erteilte ihm am Freitag die Freigabe für einen möglichen Wechsel zum türkischen Verband. Kuntz beeilt sich, Bundestrainer Flick als eine perfekte Wahl zu bezeichnen. Das dient der Gesichtswahrung. Ehrlich ist es nicht.
Flick seinerseits ist nur ein weiteres Beispiel für die Weisheit des Evangeliums. Schließlich lebte er ebenfalls vergleichsweise unerkannt als unscheinbare Nummer zwei im Verband. Erst berufliche Umwege über das Funktionärs-Wesen beim
DFB und in Hoffenheim sowie die Assistentenstelle bei Bayern München gaben eines Tages die Bahn frei. Die Titelflut in München machte ihn ebenso wie die Erwartung der DFB-Spitze, in Flick einen umgänglichen (um nicht zu sagen: pflegeleichten) Partner zu finden, zur idealen Wahl.
Es gibt also noch Hoffnung für Kuntz. Dazu müssen die Verhandlungen mit den Türken aber erst einmal erfolgreich verlaufen. Ohne einen Abstecher als Cheftrainer zu einem anderen Arbeitgeber wird er beim DFB dauerhaft als freundlicher Talente-Entwickler in der zweiten Reihe geparkt. Dass er sich da nicht unbedingt sieht, beweisen bereits die Gespräche mit dem türkischen Verband. Deshalb ist nicht auszuschließen, dass Kuntz und der DFB auch im Fall eines Scheiterns der Verhandlungen mit den Türken bald getrennte Wege gehen.
Und wenn gar nichts mehr läuft, gibt es ja immer noch den TeilzeitJob als „5-Sterne-Redner“.