Die Kraft der Zerstörung
LONDON Die Oxford Street in London im Jahr 2001. Durch die leeren Räume der kürzlich geschlossenen C&A-Filiale läuft ein gewaltiges Förderband, das jenen ähnelt, von denen man am Flughafen die Koffer pflückt. Hier fahren nun aber gelbe Plastikkisten im Kreis, darin befinden sich nach Material und Farbe sortierte Objekte aus dem Besitz von Michael Landy. Der Künstler ist damals Ende 30, und das hier ist seine neue Aktion: Er inventarisiert alles, was er besitzt, und schreddert es dann. „Break Down“heißt die Mischung aus Performance und Installation. 50.000 Menschen sehen innerhalb von zwei Wochen zu, wie 7227 Dinge zerstört werden.
Zwanzig Jahre ist das nun her, und es passiert nicht oft, dass sich Menschen an ein so lange zurückliegendes Kunst-Ereignis erinnern, von dem es keine Überbleibsel gibt. Zwölf Mitarbeiter in blauen Overalls zerlegten damals die Habseligkeiten. Über ihnen stand Landy auf einem Podest und regierte den Ameisenhaufen des Rückbaus. Nichts blieb verschont. Der rote Saab 900 Turbo, eigene Kunst und die von Freunden, Familienfotos, Vitaminpillen, Geburtsurkunde, Katzenfutter, Zahnbürste und Liebesbriefe: Alles landete zu Granulat gehäckselt in großen Säcken.
Als Letztes kam die Plattensammlung an die Reihe: Kurz zuvor spielten die Mitarbeiter noch „Love Will Tear Us Apart“von Joy Division und „Breaking Glass“von David Bowie in Dauer-Rotation. Dann herrschte Stille. Sechs Tonnen Abfall wurden schließlich auf einer Mülldeponie in Essex entsorgt. Zum Jubiläum fragte die englische Zeitung „Guardian“Landy jüngst, ob er die Sache denn nicht bereue. Der heute 58-Jährige schüttelte den Kopf und sagte, das er keinen Gegenstand vermisse. Im Gegenteil, die Sache habe ihm einen Neuanfang ermöglicht. Und vielleicht liegt genau darin die Faszination dieses zunächst destruktiv anmutenden Kunstwerks. Landy wurde in eine Working-Class-Familie geboren, der Vater arbeitete als Tunnelbauer. Landy studierte am renommierten Goldsmith-College und gehörte neben Tracey Emin und Damien Hirst zu der Gruppe der „Young British Artists“, die in den 1990er und frühen 2000er Jahren die Gesetze des Kunstmarkts auf den Kopf stellten. Gegenstand ihrer
Er schredderte alle 7227 Dinge, die er besaß: Vor 20 Jahren vernichtete der britische Künstler Michael Landy sein Hab und Gut. Die Aktion „Break Down“wurde zum Spektakel. Und stellte Fragen, die noch heute aktuell sind.
mitunter grellen und provozierenden Arbeiten waren oft Reflexionen über soziale Klasse und über den Konsum und seine Auswirkungen.
„Breaking Down“möchte Landy nun aber als leises Werk verstanden wissen. Im Grunde habe er seiner eigenen Beerdigung beigewohnt, sagte Landy dem „Guardian“. Einmal sei seine Mutter bei der Aktion aufgetaucht. Sie schluchzte in einem fort, und er musste sie bitten zu gehen. Warum? Es habe sich für ihn angefühlt, als weinte sie an seinem Grab. Ein Gegenstand, der erst kurz vor knapp zerstört wurde, war ein alter Mantel aus Schaffell. Er gehörte Landys Vater. Die Mutter hatte ihn auf Kredit gekauft, kurz danach stürzte der Tunnel ein, in dem ihr Mann arbeitete. Landys Vater wurde an der Wirbelsäule verletzt und konnte den Mantel nun nicht mehr